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Anita Tack und Frank T. Hufert leiten die Untersuchungskommission für den Coronaausbruch im Bergmann-Klinikum.

© Stadtverwaltung Potsdam/Robert Schnabel

Bergmann-Klinikum: Die Aufklärer beginnen ihre Arbeit

Potsdams Coronakommission steht: 13 Experten müssen aufarbeiten, wie es zu dem schweren Virusausbruch und zahlreichen Toten im Klinikum kommen konnte. Die Opposition nimmt die Stadt ins Visier.

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Potsdam - Die Aufarbeitung des schweren Coronaausbruchs im kommunalen Bergmann-Klinikum hat offiziell begonnen. Am Donnerstag (14.05.2020) hat sich die vom Aufsichtsrat des Krankenhauses beauftragte unabhängige Untersuchungskommission konstituiert, die den Ausbruch des Coronavirus im Klinikum untersuchen und mögliche Fehler benennen soll. Im Bergmann-Klinikum sind seit 26. März insgesamt 44 Menschen verstorben, die an Covid-19 erkrankt waren.

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Der Potsdamer Corona-Kommission gehören 13 Mitglieder an, deren Namen die Stadt am Donnerstag erstmals öffentlich nannte. Leiten soll das Gremium neben Brandenburgs früherer Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) der Virologe Frank Torsten Hufert, der seit 2014 Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Virologie der Medizinischen Hochschule Brandenburg ist. Darüber hinaus gehören der Kommission eine Reihe von Gesundheits- und Rechtsexperten, Krankenhausbauspezialisten, Gewerkschaftern und Organisationsspezialisten an (siehe unten).

Abschlussbericht spätestens in sechs Monaten

Die Kommission soll „die internen Abläufe und Verantwortlichkeiten“ im Klinikum während der Coronapandemie aufklären. Das Klinikum hatte bereits Mitte April Fehler und Versäumnisse im Umgang mit dem Ausbruch des gefährlichen Virus im 1100-Betten-Krankenhaus eingestanden. Es habe den Ausbruch zu spät erkannt und deshalb nicht adäquat reagiert, hieß es in einer Pressemitteilung. Der beurlaubte Klinikum-Geschäftsführer Steffen Grebner hatte in der Erklärung die Fehler bedauert und Aufarbeitung und Konsequenzen versprochen.

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Mehr als 40 Personen starben im Bergmann-Klinikum nach einer Coronainfektion.
Mehr als 40 Personen starben im Bergmann-Klinikum nach einer Coronainfektion.

© Ottmar Winter

Die Experten in der Corona-Kommission sollen in einem zweiten Schritt auch „Empfehlungen für die Optimierung der Unternehmenskultur und des Betriebsklimas abgeben“ und Vorschläge für eine künftig verbesserte Zusammenarbeit zwischen der Klinikum-Spitze, dem Aufsichtsrat, der Stadt als Gesellschafter und den Stadtverordneten machen. Der Abschlussbericht soll in spätestens sechs Monaten dem Aufsichtsrat und der Stadtverordnetenversammlung vorgelegt werden. In drei Monaten wird ein Zwischenbericht erwartet, über den auch der Hauptausschuss informiert werden soll.

Frage nach organisatorischen und hygienischen Defiziten

Stützen soll sich die Kommission bei ihren Untersuchungen auch auf den Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) zu den Geschehnissen im Klinikum. Das Interventionsteam der Bundesbehörde war angesichts des Coronaausbruchs von Stadt und Gesundheitsministerium zur Hilfe gerufen worden. Nach einem Vor-Ort-Termin hatte das RKI in einem Bericht zahlreiche Mängel und Versäumnissen festgestellt. Das Bergmann-Klinikum hat dazu in einer Stellungnahme, über die wir hier berichten, gegenüber den PNN am 15. Mai erklärt, es handele sich nicht um eine "Mängelliste". 

Die Corona-Kommission soll jetzt prüfen, ob diese Mängel „auf grundlegenden organisatorischen und hygienischen Defiziten“ beruhen und „ob es deshalb zu Fehleinschätzungen und Fehlhandlungen beim Ausbruchsgeschehen“ gekommen ist. Dies ist kritischer Punkt, denn dabei geht es um die Verantwortung der beurlaubten Geschäftsführung. Gegen Grebner und die ebenfalls seit 25. April für sechs Monate beurlaubte medizinische Geschäftsführerin Dorothea Fischer sowie gegen drei leitende Ärzte hatte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) wie berichtet Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet. Diese liegen bei der Potsdamer Staatsanwaltschaft, die prüfen soll, ob es sich um Straftaten handeln könne.

Die Kommissionsmitglieder bekommen für ihre Arbeit eine Aufwandsentschädigung. Sollten sie Expertisen verfassen, wird dafür ein Honorar gezahlt. Unterstützt wird das Gremium von einer externen Geschäftsstelle.

35 Punkte umfassender Fragenkatalog für Stadt und Klinikum

Für das Bergmann-Klinikum gilt seit 1. April ein Aufnahmestopp, der derzeit langsam gelockert wird. Ziel der Kommission, die im Auftrag des Aufsichtsrats des kommunalen Krankenhauses arbeitet, sei es auch, dass das Bergmann wieder „den medizinischen Versorgungsauftrag vollumfassend erfüllen kann“, sagte Kommissionsleiterin Tack.

Zu den Unterlagen, die die Kommission auswerten kann, gehören nun auch die Antworten auf eine 35 Punkte umfassende Anfrage der Oppositionsfraktionen von CDU, Bürgerbündnis und FDP im Stadtparlament, die den PNN vorliegen. Dabei haben Klinikum und Stadt jeweils getrennt geantwortet. Ziel der Anfrage war unter anderem, eine mögliche Verantwortung der Stadtspitze und des Gesundheitsamts beim Umgang mit dem Coronaausbruch in den Fokus zu nehmen. Die Dokumente stammen vom 20. und 22. April, wurden diese Woche nun den Stadtverordneten zugestellt.

Stadt: Klinikum ist Pflichten nicht nachgekommen

Aus den Antworten der Stadt geht erneut mit großer Deutlichkeit hervor, dass das Klinikum seinen Pflichten nach Infektionsschutzgesetz nicht nachgekommen sei. So sei der so genannte nosokomiale Zusammenhang der Infektionen – damit ist ein Ausbruchsgeschehen in einer medizinischen Einrichtung gemeint, und als solches gelten schon zwei Infektionen, die möglicherweise miteinander zusammen hängen – nicht gemeldet worden.

Der beurlaubte Klinik-Cjef Steffen Grebner ist mit vielen Vorwürfen konfrontiert.
Der beurlaubte Klinik-Cjef Steffen Grebner ist mit vielen Vorwürfen konfrontiert.

© Andreas Klaer

Das Klinikum habe am Wochenende des 28. und 29. März zwar von infizierten Patienten und Mitarbeitern berichtet, aber keinen Ausbruch gemeldet. Gesundheitsbeigeordnete Brigitte Meier und Oberbürgermeister Mike Schubert (beide SPD) hätten wegen der steigenden Zahlen von Coronainfektionen im Klinikum am Sonntag, dem 29. März, an der Sitzung des dortigen Krisenstabs teilgenommen. Doch auch dort sei nicht von einem Ausbruch berichtet worden – auch ein Bericht wurde nicht vorgelegt, obwohl dieser laut Infektionsschutzgesetz innerhalb von 24 Stunden nach einem nosokomialen Geschehen verpflichtend ist. Die Stadt beschreibt das Geschehen am Nachmittag des 29. März so: „Aufgrund der Schilderungen von Frau Meier riet die Amtsärztin beim Klinikum in Richtung eines nosokomialen Zusammenhangs Nachfragen zu stellen und einen Bericht anzufordern.“ Dies habe Meier dann um 17.49 Uhr schriftlich getan.

Auskünfte verspätet und unvollständig

Die ersten beiden offiziellen Coronainfektionen bei Patienten in der Urologie und Geriatrie wurden laut einer Tabelle des Klinikums bereits am 25. März registriert, zwei Tage später kamen zwei Infizierte in der Nephrologie dazu – und am 28. März noch einmal fünf Coronainfizierte auf unterschiedlichen Stationen.

Laut Rathausspitze habe Klinikumchef Grebner den OB erstmals am Abend des 28. März am Telefon informiert, „dass aufgrund von Verdachtsfällen“ auf mehreren Stationen eine Testung von Patienten sowie Personal durchgeführt werde und weitere Maßnahmen geplant seien. Die offiziellen Labormeldungen der Bergmann-Befunde gingen laut Rathaus erst am Montag im Gesundheitsamt per Fax ein – auf solchen Meldungen seien nur Namen und Geburtsdaten vermeldet, nicht aber der Infektionsort. „Die Ausbruchsmeldungen sind erst deutlich verspätet und unvollständig eingegangen“, so das Rathaus. Zudem hätten laut Infektionsschutzgesetz selbst Covid-19-Verdachtsfälle sofort vom Klinikum an das Gesundheitsamt weitergemeldet werden müssen, um rechtzeitig gegenzusteuern.

Nach PNN-Recherchen gibt es Hinweise darauf, dass auch Infektionen von Klinikummitarbeitern, die schon vor dem 25. März aufgetreten sind, nicht ordnungsgemäß gemeldet worden sein könnten. So sollen bereits zuvor sechs Mitarbeiter infiziert gewesen sein. Vom Klinikum heißt es, ab dem 24. März habe man begonnen, das Coronageschehen im Haus zu dokumentieren. Mitarbeiter, die positiv getestet wurden, habe man „unmittelbar in häusliche Quarantäne geschickt“. Eine Auskunft, wie man vor dem 23. März mit Verdachtsfällen umging, wurde von den Oppositionsfraktionen nicht verlangt. Das Klinikum teilte den PNN im Nachgang mit, am 25. März Kenntnis von vier bestätigten Infektionen bei Mitarbeitern gehabt zu haben.

+++ Das ist die Expertenkommission +++

Die Untersuchungskommission besteht aus 13 Mitgliedern. Geleitet wird sie von Brandenburgs früherer Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) und dem Virologen Frank T. Hufert von der Medizinischen Hochschule Brandenburg. Mitglieder sind Heidrun Grünewald, ehemalige Geschäftsführerin des Carl-Thiem-Klinikums in Cottbus, Sonja Hansen, Oberärztin im Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité, Thomas Barta, ehemaliger Abteilungsleiter in Brandenburgs Gesundheitsministerium, der auf Krankenhausbau spezialisierte Architekt Peter Maron, Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Thomas Boggatz, Professor für Pflegewissenschaft an der BTU, die Organisationsberaterin Annette Gebauer, Verdi-Funktionärin Meike Jäger, Michaela Hofmann, Amtsleiterin in der Kreisverwaltung Prenzlau, der Arbeitsmediziner Till Geißler und der Rechtsanwalt Wolfgang Kuhla. Letzterer war in Potsdam bereits an der Aufarbeitung der Stadtwerke-Affäre beteiligt.

Hinweis: Den Satz "Das Klinikum teilte den PNN im Nachgang mit, am 25. März Kenntnis von vier bestätigten Infektionen bei Mitarbeitern gehabt zu haben." haben wir nach Eingang einer Stellungnahme des Klinikums am 15. Mai 2020 am 16. Mai 2020 um 16 Uhr dem Text hinzugefügt.

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