zum Hauptinhalt

Barrierefrei zum Zeugnis: Oberlinschule für Kinder mit Förderbedarf ist begehrt

Für Bastian Salewski und Gabriel Gleich war die Oberlinschule ein Glückfall. Beide sind jetzt fit für neue Wege in ein selbstständiges Leben.

Potsdam - Als Bastian Salewski vor zwölf Jahren in eine erste Klasse der Babelsberger Oberlinschule aufgenommen wurde, war er ein schüchternes und verunsichertes Kind. „Er traute sich nicht mal, bei der Einschulung nach vorn zu gehen und seine Zuckertüte abzuholen“, sagt Mutter Michaela Salewski. Der einstige Schulanfänger ist heute 18 Jahre alt und ein selbstbewusster, großer junger Mann, der am Dienstag zur Zeugnisübergabe einen schicken Anzug trägt. Bastian ist einer von 29 Absolventen, die jetzt die Schule verlassen. Am letzten Schultag am Mittwoch wird das Jahr für alle Kinder mit der traditionellen Schulglocke im Hof ausgeläutet.

Insgesamt 306 Kinder aus Potsdam und dem Land Brandenburg haben hier im vergangenen Jahr von der ersten bis zur zehnten Klasse gelernt. Die Oberlinschule nimmt Kinder mit diversen Behinderungen und Förderbedarfen auf. Die Klassen sind klein und durchlässig. Das heißt, die Kinder können je nach Entwicklung schneller oder langsamer lernen und während ihrer Schulzeit den angestrebten Abschluss verändern.

"Ich werde die Schule vermissen"

Bastian, der es schon im Kindergarten aufgrund komplexer Entwicklungsstörungen schwer hatte, machte in Potsdam seinen regulären Schulabschluss mit sonderpädagogischem Schwerpunkt geistige Entwicklung, der der Berufsbildungsreife gleichgestellt ist. Zum Unterricht pendelte er zuletzt selbstständig mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von Falkensee nach Babelsberg. „Er hat sich hier sehr gut entwickelt, die Schule war ein Glücksfall“, sagt seine Mutter. „Ich war hier glücklich, es war eine schöne Zeit. Ich werde die Schule vermissen“, sagt Bastian. Allerdings bleibt er ja in der Nähe. Ab Herbst hat Bastian eine Stelle im Küchenbereich der Aktiva Werkstätten des Oberlinhauses und wird Geld verdienen. „Ich habe schon ein eigenes Konto.“ Er wäre zwar lieber Busfahrer geworden, sagt Bastian, aber der andere Job sei auch gut. „Ich kenne mich hier gut aus und ich mag Menschen.“ Vielleicht wird er später noch eine Ausbildung im Berufsbildungswerk machen. Wie die anderen seiner nun ehemaligen Mitschüler hat er dadurch eine echte Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Etwas mehr Zeit

Gabriel Gleich ist 15 Jahre alt und bekam am  Dienstag sein Zeugnis, das ihm Fachoberschulreife und die Zulassung zur gymnasialen Oberstufe bescheinigt. „Unsere Schüler legen die gleichen 10-Klasse-Prüfungen wie an anderen Oberschulen oder Gesamtschulen ab. Sie bekommen lediglich als Nachteilsausgleich etwas mehr Zeit“, sagt Fachlehrer und stellvertretender Schulleiter Stefan Schwarz.

Nach den Ferien geht es für Gabriel, der in Zossen zu Hause ist, am Oberstufenzentrum (OSZ) in Luckenwalde weiter. Von seiner Zukunft hat Gabriel recht genaue Vorstellungen. „Nach dem Abi möchte ich ein duales Studium in einem technischen Fachgebiet machen und später vielleicht bei Mercedes anfangen.“ Seit der 7. Klasse war er Oberliner. Bis zum Ende der 6. Klasse blieb er noch auf seiner normalen Grundschule, obwohl er damals schon überwiegend im Rollstuhl saß. Seine Krankheit, progrediente Muskeldystrophie, ein fortschreitender Muskelabbau, ist chronisch. Während er früher noch etwas laufen konnte, geht es heute nur noch mit einem Elektrorollstuhl. „Das Beste an der Oberlinschule ist, dass sie komplett barrierefrei ist“, sagt Gabriel. Er kann sich hier überall, in Gebäuden und dem weitläufigen Außengelände, selbstständig bewegen, ohne um Hilfe bitten zu müssen. Dazu kam, dass die wichtige Physiotherapie in den Schulalltag integriert werden konnte. Künftig wird er solche Termine nach dem Schultag absolvieren müssen. Dafür ist das Gebäude des OSZ barrierefrei. „Das war die Bedingung.“ Die Umstellung auf das neue Leben nimmt er gelassen. „Ich kann mich gut anpassen“, sagt Gabriel. „Die Eltern sorgen sich immer mehr als wir selbst.“ Gabriels Vater Norman Gleich ist am Dienstag zunächst erleichtert. „Wir hatten uns die Entscheidung damals nicht leicht gemacht. Man will sein Kind ja möglichst normal behandeln.“ Letztlich sei es die richtige Schule für Gabriel gewesen. Auch, weil andere Schulen nicht über die nötige Logistik für inklusives Lernen verfügten. Es sei wichtig, dass es noch Förderschulen gibt, sagt auch Bastians Mutter. „Bastian brauchte viel Zuwendung und auch gute, individuelle Betreuung, sonst wäre er bald unterfordert gewesen.“

Englischnote gerade noch gerettet

Was waren aus Sicht der Absolventen die Höhepunkte der Schulzeit? „Klassenfahrten, Feiern, Landschultage auf dem Oberlin-Pferdehof“, sagt Bastian. Gabriel konnte noch in diesem Jahr an einer Englisch-Projektwoche mit Muttersprachlern teilnehmen. Das rettete ihm zuletzt die Englischnote, die sonst weniger berühmt ausgefallen wäre. Englisch, sagt er, war nun mal nicht sein Lieblingsfach. Gabriels Klasse, die jetzt in alle Winde zerstreut wird, will in Kontakt bleiben, sie haben schon eine WhatsApp-Gruppe gegründet. Dass es eines Tages eine gymnasiale Oberstufe direkt an der Oberlinschule geben wird, sei aus rechtlichen Gründen und aus Platzmangel eher unwahrscheinlich, sagt Schulleiter Uwe Plenzke. Schon jetzt können nicht alle Kinder, die sich hier bewerben, aufgenommen werden. Es gibt Wartelisten. Mindestens 30 Neue werden bei der Einschulung nach den Ferien dabei sein, wenn dann wieder die große Schulglocke geläutet wird.

Zur Startseite