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„Schauspieler“, 1941/42. Ortrud Westheider vor dem zentralen Werk der Ausstellung, einer Leihgabe des Harvard Art Museums.

© Andreas Klaer

Barberini-Chefin Ortrud Westheider im Interview: „Max Beckmann war ein radikaler Individualist“

Ortrud Westheider über Max Beckmann und sein Welttheater, das ab Samstag im Museum Barberini die Welt auf den Kopf stellt

Frau Westheider, die Masken der DDR-Kunst sind gerade abgehängt, nun folgen die aus dem Welttheater von Max Beckmann. Gibt es zwischen den Ausstellungen Anknüpfungspunkte?

Wir haben die Ausstellung zusammen mit der Kunsthalle Bremen gemacht. Aber in Potsdam können wir neue Verbindungen ziehen. Die gerade zu Ende gegangene Ausstellung „Hinter der Maske. Künstler in der DDR“, in der es um die künstlerische Souveränität ging, wird bei Beckmann in der Figur des Narren und auch des Königs wieder aufgegriffen. Beckmann wurde von Künstlern aus der DDR stark rezipiert. Ich nenne nur die Kaspar- Figur von Hartwig Ebersbach, den Janus- Kopf von Harald Metzkes oder das Triptychon „Die Umerziehung der Vögel“ von Hans-Hendrik Grimmling. Der Besucher der vorigen Ausstellung wird also in der jetzigen viele Bezüge finden.

Beckmann war für Künstler der DDR nicht nur als Figurenmaler wichtig, sondern aufgrund seiner künstlerischen Qualität. Wie sah das die DDR-Obrigkeit?

Beckmann gehörte zu den modernen Künstlern des Westens, die nicht in Richtung einer sozialistischen Kunst wiesen. Er gab viele Rätsel auf und hatte nicht die Erzählstringenz, die man sich für den Sozialistischen Realismus wünschte. Insofern war er ein Gegenbeispiel.

War er nach dem Krieg im Westen sofort anerkannt?

Beckmann ging 1937 ins Exil, nachdem er als „entarteter Künstler“ seine Professur an der Städel-Schule in Frankfurt verloren hatte und nicht mehr ausstellen durfte. In Amsterdam blieb er zehn Jahre und konnte auch dort nicht ausstellen. Erst 1948 konnte er sich wieder frei bewegen und ging in die USA. Dort bekam er eine Professur und wurde schnell berühmt. Amerikanische Künstler feierten ihn als den großen deutschen Expressionisten. Seine Bilder hingen sofort im Museum of Modern Art. Viele Bilder, die wir hier in Potsdam zeigen, kommen aus den USA, weil er dort nach seinem Tod 1950 besonders stark gesammelt wurde.

Im Exil lebte er in prekären Verhältnissen und war froh, dass er überhaupt ein Bild verkaufen konnte, so auch an den umstrittenen Sammler Gurlitt.

Es gab nur wenige Sammler in Deutschland, die sich über das Verbot hinwegsetzten, seine Kunst zu kaufen. Seine Sammler befanden sich zumeist im Exil in den USA. Er hatte aber vor allem in dem Schriftsteller Stephan Lackner, der in Paris lebte, einen Unterstützer. Er gab ihm monatlich Geld und erhielt dafür Bilder.

Lackner hat auch den Begriff Welttheater im Zusammenhang mit Beckmann geprägt. Was versteht man darunter?

In der Zeit des Barock verstand man darunter ein scheinhaftes Spiel, in dem jeder eine Rolle übernehmen muss. Man glaubte an Gott als den Lenker des Weltgeschehens. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die barocke Metapher wieder aufgegriffen, allerdings unter modernen Vorzeichen. Die Rolle des Schöpfers wurde nun in Frage gestellt. Stattdessen ging es um die menschliche Souveränität. Kann der Mensch über sich selbst verfügen, selbst bestimmen? Das fragten sich gerade Teilnehmer des Krieges. Beckmann fühlte sich auf dem Schlachtfeld einem schicksalhaften Treiben ausgesetzt, das ihm zum Nachdenken über die Souveränität des Einzelnen anregte. Später, in den Jahren des Nationalsozialismus, verkam Deutschland für ihn zum „Termitenstaat“, der das Individuum nur geringschätzte. Dagegen hat sich Max Beckmann aufgelehnt.

Warum zog Beckmann als Sanitäter freiwillig in den Krieg?

Viele Künstler, wie auch Franz Marc oder August Macke, zogen damals in den Krieg. Es war eine Psychologie des Aufbruchs. Man hatte sich nicht vorstellen können, was für Grausamkeiten durch die moderne Kriegstechnik entstehen würden.

Beckmann erlitt einen Nervenzusammenbruch und kehrte Berlin den Rücken, wo seine Frau und sein achtjähriger Sohn Peter lebten. Warum?

Beckmann hat mit allem gebrochen und sich auch von seiner Frau getrennt. Er hat die Familie aber immer wieder in Berlin besucht.

Vor dem Krieg, 1910, wurde Beckmann in den Vorstand der Berliner Secession gewählt, nachdem Liebermann sich zurückgezogen hatte. Beckmann soll mit dafür gesorgt haben, dass die Expressionisten der „Brücke“ nicht ausstellen durften. Er, der selbst zu den Expressionisten gehört.

Den Fall kenne ich nicht. Beckmann zählte anfangs zu den Spätimpressionisten. Er schloss sich nie einer Künstlergruppe an und blieb immer unabhängig. Er war ein radikaler Individualist. Dass man ihn als Expressionisten bezeichnet, ist eine späte Einordnung, die aus Amerika kommt. In den 1920er-Jahren stand er der Neuen Sachlichkeit nahe. Aber er selbst bekannte sich nie zu einem Stil.

Was war der Ausgangspunkt Ihrer gemeinsamen Ausstellung mit Bremen, in der erstmals Beckmanns Welttheater thematisiert wird?

Bremen hat eine der größten Beckmann-Sammlungen und auch das Werk „Apachentanz“. Dieses Bild war der Ausgangspunkt für das Thema des Zur-Schau-Stellens. Dann war es für uns wichtig, das zentrale Triptychon „Schauspieler“ von 1941/42 aus dem Harvard Art Museum Cambridge aus den USA dazu zu bekommen. Auf Grundlage unseres Symposiums vor einem Jahr in Potsdam entwickelten wir einen gemeinsamen Katalog und schließlich die Themenkapitel.

Die mit Bremen identisch sind?

Ja, aber wir zeigen einige Arbeiten mehr, darunter Druckgrafiken aus verschiedenen Sammlungen. Eine Sammlung konzentriert sich auf Zustandsdrucke. Darin kann man wie im Daumenkino Beckmanns Arbeitsweise verfolgen.

Was heißt das?

Man sieht, wie Beckmann an einer Druckplatte gearbeitet hat: wie er sie druckte, veränderte, wieder neu druckte, weiter arbeitete ... mit erheblichen Unterschieden der Zustände. Man ist mitten drin im Schaffensprozess.

Wie aktuell wirken seine Bilder auf Sie?

Seine Bilder wirken ganz direkt. Sie sprechen einen unmittelbar an. Man muss sie nicht mögen, aber man reagiert darauf. Und das ist eine Aktualität, die aus der Kunst kommt. In unserem Begleitprogramm legen wir großen Wert auf politische Themen, die sich aus der Kunst Beckmanns schöpfen lassen. So spricht Nobert Lammert zum Thema „Alles nur Theater?“, der ZDF-aspekte-Moderator Jo Schück lädt Gäste zum Thema Selbstdarstellung in den Neuen Medien ein und Thomas Oberender spricht über die Metapher des Welttheaters heute. Beckmann war kein politischer Maler, aber durch die Offenheit der Szenen provozierte er immer eine Reaktion, eine direkte Stellungnahme. Und diese Selbstdarstellung ist sehr aktuell.

Inwiefern erzählt die Ausstellung auch Biografisches?

Beckmanns Malerei trägt immer persönliche Züge. Er malte Menschen aus seiner Umgebung und oft auch sich selbst. Er ist steter Zeitzeuge, obwohl er oft mit Metaphern arbeitet und Bezüge zu den Alten Meistern aufweist.

Muss man Detektiv spielen, um ihn zu erkennen? Oder geben Sie dem Zuschauer Erklärendes an die Hand?

Es gibt die Museums-App mit verschiedenen Touren, außerdem eine Zusammenfassung der Ausstellungskapitel im Katalog. Und in den Wandtexten liefern wir unseren Besuchern ganz konzentriert die neuesten Forschungsergebnisse.

Was in der Ausstellung zur Kunst in der DDR auch kritisiert wurde.

Wir lassen uns dennoch nicht davon abbringen. Man muss die Texte ja nicht lesen, sie sind ein Angebot. Wir wollen unsere Gäste einbeziehen, ihnen erklären, warum wir eine Ausstellung machen, warum die Bilder so weit gereist sind und warum wir so einen großen Aufwand betreiben, um sie zu zeigen.

Welches Bild mögen Sie besonders?

Es gibt viele. Da muss ich nachdenken. Eigentlich schon der „Apachentanz“. Es hat eine unglaubliche Dynamik und Kraft und erzählt auch über die Zeit des Exils. Ein Tanz auf der politischen Bühne.

Aber es wird auch brutal mit Frauen umgegangen.

Ja, in diesem Fall ist der Mann dominant und gewalttätig. Beckmann malte aber auch die Frauen als Heroinnen, wie bei den Luftakrobaten.

Beckmann sieht auf den Selbstbildnissen immer sehr zugeknöpft aus. Was für ein Mensch war er?

Er gab sich sehr bürgerlich, schlug aber spontan auch auf einer Hand ein Rad und hielt mit der anderen seinen Hut fest.

Was glauben Sie, wie die Potsdamer auf ihn regieren werden?

Beckmann ist ein Künstler, der für sich spricht. Wir haben die tollsten Leihgaben, von den 1920er-Jahren bis zu seinem Tod. Alle sind neugierig, das merkt man allein an den Vorbuchungen.

Hat Ihr Museum auch einen Beckmann in der eigenen Sammlung?

Nein. Aber Beckmann gilt nun unsere erste monografische Ausstellung. Es folgen Gerhard Richter, Henri Edmond Cross und Pablo Picasso.

Auf Beckmann, den „deutschen Picasso“, folgt 2019 dann also der richtige. Die Stadt fürchtet sich schon vor dem Ansturm. Was wünschen Sie sich als Hausherrin für den Alten Markt?

Eine andere Lebendigkeit. Aber die wird die Zeit unweigerlich bringen. Ich möchte, dass unsere Gäste das vorfinden, was sie sich wünschen.

Das Gespräch führte Heidi Jäger.

Zur Person

Ortrud Westheider, 1964 in Versmold geboren, hat unter anderem Kunstgeschichte und Geschichte studiert. 2006 wurde sie Leiterin des Bucerius Kunst Forums in Hamburg, seit 2016 ist sie Direktorin des Museums Barberini. Die Ausstellung „Max Beckmann. Welttheater“ hat sie gemeinsam mit Eva Fischer-Hausdorf von der Kunsthalle Bremen kuratiert. Die Schau im Museum Barberini ist ab Samstag für das Publikum geöffnet und bis zum 10. Juni zu sehen.

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