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Zensiert. Hannes Balla (Manfred Krug) in Spur der Steine. Der Film wurde kurz nach der Premiere verboten und erst 1989 wieder aus dem Keller geholt. Das Bild rechts: Regisseur Frank Beyer bei den Dreharbeiten. Der Film ist im Progress-Filmverleih, die DVD bei Icestorm erschienen.

© Progress Film-Verleih/ Foto Klaus D. Schwarz

Landeshauptstadt: Balla Balla in den Keller

Seit 1912 wird in Babelsberg Kino gemacht. Die PNN haben zum Potsdamer „Jahr des Films“ zwölf wichtige Babelsberg-Filme ausgewählt und erzählen ihre Geschichten: Meilensteine auf dem Weg von der Wiege des deutschen Films zum Hollywood der Republik. Heute Teil 6: Spur der Steine

Die eigentliche Arbeit für den Film begann nach dem Ende der Dreharbeiten. Kaum war die letzte Klappe für „Spur der Steine“ gefallen, begann die Agitation. Mit welch subtilen Methoden und welchem Eifer Funktionäre der SED das Werk von Regisseur Frank Beyer zu einem der zahlreichen „Kellerfilme“ degradiert haben, gleicht einer eigenen Romanvorlage. Zensur, Überarbeitung verschiedener Szenen auf Geheiß der Partei, organisierte öffentliche Proteste und mit einer persönlichen Maßnahme gegen Beyer, die einem Arbeitsverbot gleicht, endet die Arbeit an dem Film aus dem Jahr 1966. Erst mit der politischen Wende 1989 und der Wiederaufführung in vielen Kinos und bei der Berlinale 1990 wird der Streifen mit Manfred Krug in der Hauptrolle nachträglich nicht nur zum berüchtigsten, sondern auch zu einem der erfolgreichsten Defa-Filme. Er steht fortan wie kein zweiter Film seiner Zeit für die Unterdrückung von Kunst und Freiheit in der DDR.

„Der Ruf des Films ist ihm ein bisschen vorausgeeilt, sonst wären wir da nicht hingegangen“, erinnert sich der Potsdamer Wolfgang Straube an die Aufführung des Films im Rahmen der XIII. Arbeiterfestspiele im Juni 1966 im Potsdamer Thalia-Kino. Heute meint er, DDR-Filme hätten damals keinen hinter dem Ofen vorgelockt. Doch dieser Film hat regelrecht für Angst bei den Kommunisten im Berliner Machtapparat gesorgt. Manfred Krug in lässiger, cooler Art als Vorarbeiter mit Schnauze, der nicht viel von der Planwirtschaft hält. Fehlendes Baumaterial auf der Großbaustelle „Schkona“ beschafft er sich mit seinen Kumpels notfalls mit Gewalt, doch die Methoden werden wegen des Erfolgs der Brigade geduldet. Dann kommt der Parteifunktionär Werner Horrath (Eberhard Esche) und beide verlieben sich in dieselbe Frau. Horrath als Parteibonze ist verheiratet und beginnt eine Dreiecksbeziehung, wird unehelich Vater und leugnet das Kind. Erst spät bekennt er sich und soll von der Partei ausgeschlossen werden.

Warum die rasant erzählte und kurzweilige Geschichte auf dem Bau, deren Handlung an Cowboy-Filme erinnert, parteischädigend sein soll, fragen sich bis heute viele. Klaus Wischnewski, damals Chefdramaturg bei der Defa, beschrieb es im Buch „Spur der Filme“ in einem Satz: „Es ging um Parteischädigung durch einen schlechten, weil wirksamen Film“. Er griff die Argumentation des damaligen Ministers für Kultur, Klaus Gysi, auf. Der hatte den Filmemachern vorgeworfen, von der Ideologie des Kampfes gegen den Stalinismus getrieben worden zu sein und diese besonders geschickt im Film „Spur der Steine“ verpackt zu haben. Aus der Akte „Spur der Steine“ geht hervor, was Gysi tatsächlich gegen den Film hatte. „– Film richtet sich unmittelbar gegen die Partei. Sie befaßt sich in muffigster Heilsarmeeatmosphäre mit Dreiecksproblemen. Die große Leistung der Partei wird umgewandelt in Abneigung gegen die Partei“, wird Gysi in der Akte zitiert.

Vor allem ein Satz im Film von Balla – Manfred Krug – führte immer wieder zum Dissens zwischen Regisseur und Machtapparat. Der Vorarbeiter Balla verlässt den Parteisekretär Horrath mit den Worten: Horrath „hat mir abgeraten in die Partei einzutreten“. Die Szene war eine von drei Stellen, die trotz angeordneter Überarbeitung von 17 Szenen von Beyer nicht verändert worden sind. Immerhin, 14 Szenen hatte Beyer, der selbst in der SED war und nicht als parteikritisch galt, geändert.

Der Film ist im Progress-Verleih, die DVD bei Icestorm erschienen.

Dabei geriet der Film erst nach dem Ende der Dreharbeiten ins Visier der politischen Agitation. Hauptverantwortlich dafür waren die Beschlüsse des 11. Plenums des Zentralkomitees der SED Mitte Dezember 1965. In die Geschichte geht das Plenum als Zäsur der Kultur- und Jugendpolitik der DDR ein. Der damalige Defa-Chef Jochen Mückenberger erinnert sich in einem Interview mit Ralf Schenk, abgedruckt im Jahrbuch der Defa-Stiftung von 2001, genau an die Ereignisse. „Ich ahnte, dass es Kritik an der Defa geben würde. Aber ich ahnte nicht, wie geharnischt das sein würde“, so Mückenberger. Er wurde von der SED geladen und saß gemeinsam mit Frank Beyer und Konrad Wolf im Plenum. „Die Stimmung uns gegenüber war feindlich, als ob wir nicht dazugehörten“, erinnert er sich. Und „übrigens wusste ich, dass von all jenen, die gegen uns schossen, nur ganz wenige überhaupt die Filme kannten, die sie verurteilten.“ Mückenberger, der die Ausführungen auf dem Plenum nach eigener Aussage in Steno mitgeschrieben hatte, zitierte auch den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht: „Ulbricht zum Beispiel ereiferte sich mit deutlicher Drohgebärde: Wenn die Defa glaubt, sie könne ungestraft derartige Filme machen, werden wir ihr zeigen, wer hier Herr im Hause ist.“ Das Ende des Plenums hatte ein Schrecken: Elf Filme sind verboten oder zensiert worden, darunter „Das Kaninchen bin ich“ von Kurt Maetzig, „Denk bloß nicht, ich heule“ von Frank Vogel und „Spur der Steine“.

Nach dem Plenum hatte auch Frank Beyer sich bei der Arbeit an dem Film eine Auszeit genommen. Offiziell, wie er formulierte, um nach den Beschlüssen des Plenums nochmals die Szenen und Inhalte des Films zu überdenken. Angenommen wird hingegen, dass er versuchte Zeit für sich zu schaffen, um den Film aus dem SED-Aktionismus der Folgemonate herauszuhalten. Es gelang ihm nicht.

Das Telegramm in die Redaktion der SED-Parteizeitung „Neues Deutschland“ in Berlin kam direkt vom Zentralkomitee der SED. „-hinweis:- wir bitten, keinerlei veröffentlichungen - auch keine werbung - für den film „spur der steine“ vorzunehmen. = gez. Lamberz +“ Einen Tag vor der geplanten Premiere des Films im Kino International in Berlin sollten die Medien der DDR nicht mehr über Manfred Krug in der Rolle des Brigadeleiters Balla berichten. Die Maßnahmen gleichen einem ausgearbeiteten Marketingplan – allerdings mit dem Ziel, so wenig wie möglich Öffentlichkeit zu erreichen. Das einige Tage vor der Berliner Premiere vom Politbüro der DDR und Minister Klaus Gysi besprochene Antimarketing für den Gegenwartsfilm, einer Mischung aus Drama und Komödie, hat vielerlei Facetten: Der Film sollte nur acht Tage laufen, Massenstarts gibt es nicht, es seien keine Plakate mehr zu kleben, keine Handzettel mehr auszugeben und wenn der Film läuft, werden die Plakate mit Ankündigungen zu „Der Zug“ und „Sommerfilmplakate“ überklebt.

Am Tag der Premiere wurde Beyer zu Kulturminister Klaus Gysi bestellt. Beyer wusste, dass es um die Sanktionen für seinen Film geht. Er war vorbereitet, hatte eine Protestnote geschrieben und sie gegenüber Gysi auch verlesen. Bei dem Gespräch, bei dem auch Erik Neutsch, Autor des vielfach ausgezeichneten Romans „Spur der Steine“, anwesend war, sprach sich Neutsch für die Verfilmung aus. Er habe in manchen Details Einwände gegen den Film, insgesamt halte er ihn jedoch für eine Verfilmung seines Buches, soll Neutsch damals zu Gysi gesagt haben. Nun wurde das Buch von der DDR höchstselbst ausgezeichnet, der Film zum Buch hingegen verboten.

Zur Premiere am Abend des 30. Juni erschienen Claqueure der Partei, die mit Zwischenrufen provozierten. Beyer und Hauptdarsteller Manfred Krug waren ebenfalls im Kino: „Das war für mich ein Grunderlebnis. So etwas kannte ich nur vom Hörensagen, aus der Nazizeit. Daß die Partei, der ich angehörte, etwas derartiges inszeniert, hätte ich nicht für möglich gehalten“, wird Beyer zitiert. Chefdramaturg Klaus Wischnewski erinnert sich ebenfalls: „Man hatte dann diesen verkrampften Sarkasmus beim Begrüßen, auch Krug war sehr laut, so betont aufgeräumt“. Einer aus dem Team habe den Störern neben ihm Prügel angedroht, die seien dann ruhig gewesen. Die Stimmung im Kino bezeichnete Wischnewski als „aufgeheiztes pogromartiges Klima“. „Nach der Premiere haben wir mit Konrad Wolf und dem bulgarischen Autor Angel Wagenstein im Berolina-Keller zusammengesessen, und Wagenstein sagte zu Konrad: Jetzt gibt es nur noch eins: auf den Alex gehen und sich selbst verbrennen“, erinnert sich der Chefdramaturg im Buch „Spur der Filme“. Dabei war die Uraufführung bereits zwei Wochen zuvor ruhig verlaufen und hatte tagelang für ausverkaufte Kinos in Potsdam gesorgt. Selbst der Filmbeirat des Kulturministeriums hatte sich im Mai ’66 für die Aufführung des Films entschieden. Der Film wurde zudem für das staatliche Prädikat „Besonders wertvoll“ vorgeschlagen und zum Filmfest Karlovy Vary gemeldet. Doch der Arm der Partei war länger.

Der Film und der Kampf Beyers, ihn in die Kinos zu bekommen, hatten Konsequenzen. Das Parteiaktiv der Defa Studios für Spielfilme kam am 5. und 13. Juli 1966 zu Beratungen über den Film zusammen. Offizielle Aufzeichnungen darüber gibt es nicht – allerdings schreibt Axel Geiss in seinem Buch „Repression und Freiheit“, erschienen bei der Brandenburgischen Landeszentrale für Politische Bildung: „Frank Beyer ließ sich abermals nicht hinreißen, seinen Film zu verurteilen“. Fürsprecher hatte Beyer einzig in Konrad Wolf, der zwar abwesend, weil in Moskau war, aber dessen Brief an das Parteiaktiv gegen den Willen der Parteileitung verlesen wurde.

Die Sanktionen in der DDR- Filmindustrie nach dem 11. Plenum haben unter anderem Beyers Schaffen unterbrochen. Er erhielt am 9. September vom Leiter der Hauptverwaltung Film, Wilfried Maaß, eine Art Berufsverbot und durfte die nächsten Jahre keine Filme mehr drehen. Er wechselte ans Theater. „Ich wusste, wenn ich mich jetzt fallen ließe, dann wird möglicherweise ein Säufer aus mir“, hat Beyer später über diese Zeit gesagt. Er habe sich verletzt und schlecht behandelt gefühlt. „Und ich habe in meinem Beruf Jahre verloren.“ Erst Anfang der 70er Jahre kam er zurück zur Defa. Sein nächster Film „Jakob der Lügner“ wurde übrigens mit einer Oscar-Nominierung der erfolgreichste Film der Defa-Geschichte.

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