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Die Macher. Jakob Lass (M.) mit Ines Schiller und Golo Schultz.

© Manfred Thomas

Babelsberg: „Tiger Girl“ von Filmuni-Absolvent Jakob Lass im Thalia Kino

Potsdam - Es sind zwei Momente, die in Jakob Lass’ neuem Film „Tiger Girl“ besonders in Erinnerung bleiben. Der eine ist relativ zu Beginn zu sehen: Es ist dunkel, die Protagonistin Maggie steht allein im U-Bahnhof, unsicher drückt sie sich an der Wand entlang, um nicht aufzufallen.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Es sind zwei Momente, die in Jakob Lass’ neuem Film „Tiger Girl“ besonders in Erinnerung bleiben. Der eine ist relativ zu Beginn zu sehen: Es ist dunkel, die Protagonistin Maggie steht allein im U-Bahnhof, unsicher drückt sie sich an der Wand entlang, um nicht aufzufallen. Trotzdem – oder gerade deswegen – kommen drei Typen auf sie zu, quatschen sie doof an, bedrängen sie. Entkommen kann sie nur mit Hilfe. Einige Szenen später schlägt sie eine Passantin nieder. Ohne erkennbaren Grund, aber mit sichtlicher Freude. Beklemmend sind beide Momente, der erste, weil sich der Zuschauer mit der Hauptfigur identifiziert, der zweite, weil er sich total von ihr distanziert. Zwischen diesen beiden Extremen schwankte auch das Publikum am Freitagabend im Babelsberger Thalia Kino, in dem Lass den Film gemeinsam mit den Produzenten Ines Schiller und Golo Schultz vorstellte. Ein paar wenige verließen noch während der Vorstellung den Kinosaal, viele andere lobten ihn im sich anschließenden Filmgespräch geradezu überschwänglich.

„Der war einfach gut, Punkt“, sagte beispielsweise ein Besucher. Eine junge Kinobesucherin drückte sich etwas komplexer aus: „Der hat total viel in mir ausgelöst. An einigen Szenen war ich voll dabei, dann war ich total distanziert und manchmal habe ich mich für meine Schadenfreude geschämt.“ Und die kommt zunächst tatsächlich auf, wenn Protagonistin Maggie (Maria Dragus) beginnt sich aufzubäumen, sich wehrt gegen jene, die sie ausgelacht haben. Anfangs ist sie noch das schüchtern höfliche Mädchen, das durch die Aufnahmeprüfung bei der Polizei fällt und den Avancen des gutaussehenden Kollegen kaum widerstehen kann. Dann lernt sie Tiger (Ella Rumpf) kennen, eine wilde junge Frau, die am Rand der Gesellschaft lebt und sich Autoritäten nicht unterwirft. Maggie wird ihre Schülerin, lernt von ihr zurückzuschnauzen, Regeln zu brechen. Aus Maggie wird Vanilla. Doch was am Anfang noch mit harmlosen Aktionen wie Geschirr zerdeppern beginnt, wandelt sich bald zu unkontrollierbarer Gewalt und Tiger merkt zu spät, was für Kräfte sie in Vanilla freigesetzt hat.

Genau um diese Kräfte ging es Lass, der an der Filmuniversität Babelsberg Regie studierte und mit seinem Film „Love Steaks“ große Erfolge feierte. „Letztendlich stand zu Beginn nur der Titel des Films und das Thema der Ohnmacht“, erzählte er am Donnerstagabend. Vor allem die Beschäftigung mit unterdrückten Aggressionen und nicht gelebter Wut seien die Auslöser für die Handlung des Films gewesen. Gearbeitet wurde ohne Drehbuch. Lediglich 34 Szenen wurden mit ein paar Zeilen zu Papier gebracht, der Rest entwickelte sich spontan am Set – größtenteils mit Laiendarstellern. Die so entstandenen, manchmal etwas hilflos wirkenden Szenen geben dem Film seinen besonderen Charme. Vor allem in Kombination mit den sehr drastischen, professionell durchchoreografierten Kampfszenen bekommt „Tiger Girl“ dann eine fast schon comichafte Ästhetik, die visuell höchst ansprechend ist. Der Spagat zwischen den beiden Stilen habe ihn besonders gereizt, erzählte Lass. Genauso wie die etwas überhöhten Figuren, die nicht so leicht zu fassen sein sollen, wie er sagte. „Für mich ist Tiger Girl eher ein Märchen als ein psychologisierender Film und soll auch gar nicht zu viel Anleitung geben“, erklärte der Filmemacher. Deswegen seien die Hintergrundstorys der Protagonistinnen auch nicht auserzählt. Vielleicht löst gerade das die ambivalenten Gefühle beim Zuschauen aus. Irgendwie stellt sich nämlich schon die Frage, ob Maggie keine Familie hat, die ihr den Kopf zurechtrückt und warum sie zu Beginn eigentlich Polizistin werden will, wenn sie gar kein Durchsetzungsvermögen hat.

Die Zuschauer am Donnerstag scheinen Jakob Lass’ Vision dennoch verstanden zu haben. „Ich habe die Story gespürt ohne sie zu sehen“, sagte eine Kinobesucherin. Am Ende bleibt trotzdem ein Unbehagen – und eine lange Zeit des Nachdenkens. 

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