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Im Testlauf. Oberbürgermeister Mike Schubert mit seiner Frau Simone und Ulrike Müller, Geschäftsführerin des Future Centers Europe (v.r.), in einem VW-Bus an der Schiffbauergasse. Schuberts ließen sich am Freitag als Testpersonen für autonomes Fahren von VW nach Hause bringen.

© Andreas Klaer

Autonomes Fahren testen: VW bietet eine Nachtfahrt in die Zukunft

"Event Shuttle" für Theaterbesucher: Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert und seine Frau waren am Freitagabend Testpersonen für VW. Dieses Angebot können auch andere Potsdamer wahrnehmen.

Potsdam - Oberbürgermeister Mike Schubert hat am Freitagabend eine Zeitreise erlebt: Erst schaute er im Hans Otto Theater bei der Premiere des Stücks „Wir sind auch nur ein Volk“ zurück in die jüngere Geschichte, dann, auf der Heimfahrt nach Golm, ermöglichten ihm die Potsdamer Softwareentwickler von Volkswagen einen Blick in die Zukunft des Autofahrens.

Denn in der brandenburgischen Landeshauptstadt wird das autonome Fahren getestet, das Projekt befindet sich noch in der Frühphase. Dahinter steckt das Potsdamer Future Center Europe von Volkswagen, das in einem ultramodernen Glaspalast an der Schiffbauergasse untergebracht ist – also in unmittelbarer Nähe zum Hans Otto Theater. In Kooperation mit diesem wird eine neue App erprobt: Ausgewählte Theaterbesucher, die sich mit einer Mail an neuemobilität@rathaus.potsdam.de dafür angemeldet haben, erhalten mit dem Kauf ihrer Eintrittskarte den kostenlosen Zugang zu der App.

Nach Ende der Theateraufführung können die Testpersonen die App anklicken, ein Fahrzeug bestellen und ihr Fahrtziel eingeben. Sie erhalten einen Hinweis, wo genau vor dem Theater das Auto steht, das sie kostenlos nach Hause bringen wird. Neun Theaterbesucher haben seit November an drei Shuttle-Fahrten teilgenommen, am Freitag waren die Schuberts dran.

92 Meter bis zum Einstieg: Mike Schubert hat die neue App getestet und einen Wagen gefunden, der vor dem Theater steht und ihn nach Hause bringen wird.
92 Meter bis zum Einstieg: Mike Schubert hat die neue App getestet und einen Wagen gefunden, der vor dem Theater steht und ihn nach Hause bringen wird.

© Andreas Klaer

Tatsächlich stießen der Oberbürgermeister und seine Frau bei der Premierenfeier nur kurz mit dem Ensemble an und ließen sich dann erklären, auf welche Weise er ein paar Minuten später Testperson für die zukunftsweisende Technik sein wird. Wenig später saßen sie im Fond eines VW-Busses des Modells T6, der Fahrgastraum mit einer Wand abgetrennt von Fahrer- und Beifahrersitz, der Chauffeur für seine Gäste also nicht sichtbar. Denn was das autonome Fahren betrifft, wird schließlich nur so getan als ob. Das Auto wird von einem Fahrer gelenkt. VW will zunächst herausfinden, ob Fahrgäste verstehen, was sie tun müssen, um sich von seinem neuen Mobilitätsservice nach Hause bringen zu lassen.

Die Schuberts müssen nur tun, was eine Stimme auf der App verlangt („Anschnallen“, „Starten“ oder „Aussteigen“). Sie verschwinden beim Selbstversuch nicht irgendwo in der brandenburgischen Walachei, sondern kommen auf dem kürzesten Weg daheim an. Ein Risiko gibt es nicht: Die Schuberts können ihren Heimweg wie auf einem Navigationsgerät verfolgen.

Schubert bewertete die Simulation autonomen Fahrens anschließend als „spannendes Erlebnis“. Er freue sich, sagte er den PNN, dass die „Zukunft des Fahrens nicht nur in Potsdam entwickelt, sondern auch ausprobiert“ werde. Dies sei „ein gutes Zeichen für die Zusammenarbeit von Forsch

ng, Wirtschaft und der Stadt“. Im August 2019 hatte der Oberbürgermeister mit Ulrike Müller, der Geschäftsführerin des Future Centers Europe, einen sogenannten Letter of Intent, eine Absichtserklärung über die Zusammenarbeit für die „Neue Mobilität für Potsdam“ und Umgebung unterzeichnet.

Alles automatisch. Die App zeigt an, wo das (theoretisch) selbstfahrende Auto steht.
Alles automatisch. Die App zeigt an, wo das (theoretisch) selbstfahrende Auto steht.

© Andreas Klaer

Schubert kann stolz sein auf die Präsenz der VW-Elite in Potsdam. Weltweit betreibt der Konzern nur in Peking ein weiteres Future Center. Die Potsdamer Mitarbeiter wollen ihr Zukunftsmodell nicht stillen Kämmerlein entwickeln. „Wir bringen unsere Arbeit vom Schreibtisch auf die Straße“, heißt es in einer Presseinformation.

Egal, wie lange es dauern wird, bis Potsdamer Theaterbesucher per App irgendwo herumstehende, tatsächlich autonom fahrende Taxis bestellen können – die Experten von Volkswagen haben ein gewichtiges Defizit in der Mobilität der Landeshauptstadt identifiziert: die „Angebotslücke zwischen ÖPNV und Taxi für die Besucher des Hans Otto Theaters“. Geduld ist gefragt, bis die Königsdisziplin autonomen Fahrens, die Fortbewegung von Fahrzeugen im Stadtverkehr, hierbei Abhilfe leisten kann. Es geht VW nicht darum, Träumereien zu befördern, sagen die Experten des Future Centers. Sie wissen, dass autonom fahrende Autos sich laut einer Studie des Prognos-Forschungsinstituts erst ab 2040 auf dem Markt durchsetzen lassen. 2050, schätzt Prognos, könnte der Anteil von Autos, die sich auf Autobahnen ohne jeden Eingriff eines Fahrers fortbewegen, aber schon 70 Prozent betragen. Überhaupt werden erst nach 2040 Fahrzeuge in großer Zahl angeboten, die völlig autonom von Tür zu Tür fahren.

Aber sie wissen auch, dass es bereits selbstfahrende Autos und Busse ohne Fahrer gibt. Im rasanten Wettbewerb der Technologien gelten die USA und China als führend, Deutschland hinkt um ein bis zwei Jahre hinterher, wie VW-Chef Herbert Dies meint. Im US-Bundesstaat Arizona etwa setzt die Firma Wayno in einem Vorort von Phoenix autonom fahrende Autos als Taxis ein, die Kunden per App bestellen. Noch begleitet ein Sicherheitsfahrer die Touren, zu tun hat er kaum etwas. Nach einer Statistik musste er pro 1000 Meilen nur 0,09 Mal eingreifen.

In Potsdam ist das Projekt „Event Shuttle“ noch nicht abgeschlossen: Weitere vier Tests sind geplant. Es gibt also noch Chancen, durch die Nacht gleichsam in die Zukunft zu fahren.

Carsten Holm

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