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Hauptsache zusammen. Jedes Jahr organisiert die Arche Potsdam ein Feriencamp. 41 Kinder bis14 Jahre sind in diesem Jahr für fünf Tage in die Perspektivfarbik an den Beetzsee nördlich von Brandenburg/Havel gefahren. Was den Schülern nach eigenem Bekunden am besten gefällt: die Gemeinschaft.

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Auszeit im Paradies: Potsdamer Arche organisiert Feriencamp

Die Potsdamer Arche organisiert für bedürftige Kinder ein Feriencamp am See

Potsdam - Luisa Kampets Frage klingt ungläubig: „Willst du wirklich alles auf einmal abheben?“ Vor ihr steht ein kleines Mädchen und kaut auf der Unterlippe. „Wenn du heute schon alles ausgibst, dann hast du ja morgen nichts mehr.“ Das Mädchen lässt sich überzeugen. Es nimmt nur zwei Euro und zieht damit weiter zum lockenden Kiosk nebenan – wo alsbald blaue Gummischlangen und Lollis in ihre Tüte wandern. Kampet macht ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Arche Potsdam. Gerade führt sie die Bank – eine große, unterteilte Plastikbox – im Sommercamp des christlichen Kinder- und Jugendwerks. Alljährlich organisiert die Arche diese Freizeit, 41 Kinder bis 14 Jahre sind in diesem Jahr für fünf Tage in die Perspektivfabrik an den Beetzsee nördlich von Brandenburg/Havel gefahren.

Die Preise am Kiosk, wo es alles gibt, was Kinder glücklich macht und den Zahnarzt reich, sind mehr als moderat: Selbstkostenniveau. Denn Geld spielt bei den Kindern, die regelmäßig zur Arche in der Oskar-Meßter-Straße nach Drewitz kommen, immer eine Rolle. In dem umgebauten Getränkemarkt gleich neben der Grundschule „Am Priesterweg“ bekommen sie ein warmes Mittagessen, Hausaufgabenhilfe, Zuspruch oder, wie es in den Statuten der Arche heißt, „Möglichkeiten für eine sinnvolle Freizeitgestaltung, um den Kindern zu helfen, ihr Leben zielorientiert, sucht- und gewaltfrei zu gestalten“.

Christoph Olschewski, gelernter Tischler und studierter Sozialpädagoge, leitet die 2008 gegründete Arche Potsdam. Er organisiert zum achten Mal das Kidscamp. „Mitkommen darf, wer will“, sagt Olschewski. Doch man habe zu tun, bis von allen Eltern die Erlaubnis zum Mitreisen vorliegt: Sprachbarrieren spielen eine Rolle, verbummelte Anmeldungen, oft auch Geld. Bei 40 Prozent der Kinder zahlen die Eltern den Beitrag von 60 Euro, bei 40 Prozent werden Zuschüsse beantragt. 20 Prozent können nur mit, weil die Arche Spender gefunden hat.

„Selbst die Eltern, die gar nichts haben, geben ihrem Kind noch was mit, damit es sich hier etwas leisten kann“

„Den größten Anteil an Förderungen erhalten mittlerweile gar nicht mehr die Kinder aus den klassischen Hartz-IV-Familien“, sagt Olschewski. „Sondern die an der sogenannten Abbruchkante, wo die Eltern ein bisschen mehr verdienen, als sie dürfen, um Hilfe zum Lebensunterhalt zu kriegen.“ Olschewski beantragt, wenn nötig, Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) des Bundes für die Kinder. Regelmäßig schenkt ein Seniorenehepaar aus Potsdam einem fremden Kind ein paar lustige Tage im Haus am See.

Und dazu gehört auch Taschengeld. „Selbst die Eltern, die gar nichts haben, geben ihrem Kind noch was mit, damit es sich hier etwas leisten kann“, sagt Olschewski. Im Camp können sie es in die Bank einzahlen. „Wir wollen die Kinder fit machen“, sagt Olschewski. Der Umgang mit Geld gehört dazu. Darum müssen die Kinder zum Schluss auch selbst ausrechnen, was sie ausgegeben haben. Wer nicht so viel Geld eingezahlt hat, weil einfach keines da ist, der kriegt schon mal was extra in die Tüte geschmuggelt. Man redet nicht drüber.

Der Bedarf an Hilfsangeboten für bedürftige Kinder ist da, das weiß auch André Saborowski, Vorstand des Bezirksverbandes Potsdam der Arbeiterwohlfahrt (Awo). „3600 Kinder und Jugendliche leben in Potsdam in Bedarfsgemeinschaften, die ein geringes Einkommen haben“, erklärt er. „Da wissen wir, dass sie nicht über Mittel verfügen, um in Urlaub zu fahren.“ Das Geld aus dem BuT-Topf sei gut gedacht – aber die Anträge aufwendig. Bei jeder Veränderung beim Einkommen neu ausfüllen – „alle paar Monate, für mehrere Kinder? Macht kaum einer!“ Das müsse einfacher gehen, fordert Saborowski. In einigen Städten in Nordrhein-Westfalen bekommen die Kinder eine Chipkarte, wenn die Eltern ALG-II-Leistungen beziehen. Damit ist klar, dass sie Zuschüsse kriegen, das entbürokratisiert das System.

Gefühle beobachten, beisammen sein, den Alltag loslassen

Ob solche Ansätze auch für Potsdam sinnvoll wären, überlegt man auch im Jugendamt. Seit der Konferenz im Frühjahr zum Thema Chancengerechtigkeit, wo sich Politik, freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe mit Spezialisten anderer Bundesländer trafen, gibt es eine Steuerungsgruppe im Jugendamt, die prüft, was auch hiesigen Kindern nutzen könnte. Im September soll der Maßnahmenkatalog vorgestellt und noch in diesem Jahr von der Stadtverordnetenversammlung verabschiedet werden. Bis dahin setzt man auf den Ferienpass, den jedes Grundschulkind bekommt. Zuschüsse von je rund 200 Euro für Ferienfahrten erhalten jedes Jahr 55 bis 60 Kinder, sagt Jugendhilfeplanerin Birgit Ukrow. Insgesamt 12 000 Euro hält die Stadt dafür bereit.

In der Perspektivfabrik spielen Olschewski und seine Kollegen indes ein selbst geschriebenes Theaterstück für die Kinder. Der Film „Alles steht Kopf“ über das Sortieren seiner Gefühle war Vorbild. Olschweski spielt die Wut, sprüht Funken – die Kinder sind hin und weg. Gefühle beobachten, beisammen sein, den Alltag loslassen. „Sie sind ausgetrocknet wie die Schwämme, suchen Zuwendung und Nähe, und dafür können wir uns hier richtig Zeit nehmen“, sagt der Arche-Leiter. Neun Betreuer kümmern sich um die Kinder.

Auch für Marlon, Jeremy und Rojbien ist Zusammensein das Wichtigste. „Gleich danach kommt das Zimmer“, sagt Marlon. „Das hat einen Balkon!“ Rojbien findet: „Hier macht alles Spaß! Ich freue mich die ganze Zeit!“ Klar gehören auch Konflikte zu so viel Nähe. Am Abend vorher hat jemand die Kleidung der Freunde aufs Dach geworfen. Aber Aron, einer der Pädagogen, hat sie herunter gefischt. „Der kann alles“, sagt Jeremy. So löst sich auch ein bisschen Ärger im Paradies schnell wieder auf.

Stefanie Schuster

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