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Julius H. Schoeps ist Gründungsdirektor des Potsdamer Moses Mendelsohns Zentrums für europäisch-jüdische Studien. Er erhält das Große Bundesverdienstkreuz.

© MMZ/Thomas Heil

Auszeichnung für Julius H. Schoeps: Ein Versöhner mit Haltung

Der Gründer des Moses Mendelssohn Zentrums, Julius H. Schoeps, wird am Montag mit dem Großen Bundesverdienstkreuz geehrt.

Potsdam - Wer Julius H. Schoeps mit einer Frage aufsucht, kann sicher sein, nicht nur eine Antwort zu bekommen. Am Ende verlässt man den Historiker vielmehr mit mindestens drei, vier ganz neuen Themen. Als Schoeps noch Direktor des von ihm 1992 gegründeten Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien war, empfing er seine Besucher am barocken Neuen Markt in Potsdam. Im Sommer manchmal auch barfuß in Jeans und Sakko, das Haar ein wenig wirr. Er sei gerade zum Wein kaufen in Italien gewesen, erzählte er einmal bei einem Treffen. Im nächsten Atemzug schon sprach er von der Idee, im kroatischen Zagreb eine Zweigstelle des Instituts zu eröffnen, das sich mit der Geschichte der dortigen Juden befassen könnte.

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Am Montag erhält der 78-jährige Historiker das Große Bundesverdienstkreuz für den „unermüdlichen Einsatz für Toleranz und friedliche Koexistenz zwischen Kulturen und Religionen“ sowie für Verdienste um die Aussöhnung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen.

Professor der ersten Stunde an Potsdamer Uni

Früh nach der Wende war Schoeps nach Potsdam gekommen, als einer der Professoren der ersten Stunde an der neu gegründeten Potsdamer Universität. Aus Duisburg geholt hatte man ihn, weil er dort schon ein Institut für deutsch-jüdische Geschichte gegründet hatte. Etwas Ähnliches erwartete man von ihm nun in Brandenburg, wo ein Fach wie Jüdische Studien Neuland war – zumal sich im Osten seinerzeit der Rechtsextremismus ausbreitete. Genau deswegen war es die richtige Zeit für Schoeps.

Heute fällt ihm noch etwas anderes ein, ein Spruch an einer Potsdamer Häuserwand Anfang der 1990er Jahre: „Ausländer rein, Rheinländer raus!“, stand dort. Das hat ihn damals beschäftigt, den Westler, der nun im Osten eine neue Hochschule mit aufbaute. „Da musste ich erst einmal schlucken.“ Doch Schoeps zählte nicht zu den Hardlinern, die überall Stasiverwicklungen witterten und einen Schlussstrich forderten. Im Rückblick sagt er, dass sich die Übernahme der ehemaligen DDR-Wissenschaft bisweilen wie ein „Akt der Kolonisierung“ gestaltet habe. Heute noch ist er froh, im damaligen Potsdamer Uni-Senat nicht die Hand gehoben zu haben, als es um die Entlassung von Mitarbeitern aus der ehemaligen DDR ging. „Wir haben im Gründungssenat einen vergleichsweise weichen Kurs gefahren“, sagt er. Schoeps ist ein Mensch, der die Lebenswege seiner Mitmenschen achtet, so gerne er in fachlichen Fragen polarisiert, im Menschlichen steht er vor allem für Integration.

In Potsdam schloss sich für Schoeps ein Kreis

Vielleicht auch, weil er sich damals selbst integrieren musste, hier im Osten, der trotz allem doch nicht so fern war. Denn eigentlich war es eine Art Rückkehr für Schoeps, der aus der ehemals preußischen Mendelssohn-Bartholdy-Familie abstammt und ein Nachfahr des deutsch-jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn ist. In Potsdam schloss sich für Schoeps ein Kreis. 1942 war er im schwedischen Exil geboren worden, sein Vater der Religionsphilosoph und Historiker Hans-Joachim Schoeps empfand sich als Preuße. 1948 folgte Schoeps seinem Vater nach, der 1946 aus dem Exil nach Deutschland zurückgekehrt war. Für Julius H. Schoeps folgten Studium in Erlangen und Berlin, eine Schauspielausbildung, dann die Politisierung in der 68er-Zeit und schließlich die Umorientierung ins Politisch-Historische.

Koryphäe deutsch-jüdischer Beziehungsgeschichte

1991 kam Schoeps in die Stadt, in der sein Vorfahr Moses Mendelssohn 250 Jahre zuvor beim Einlass am Berliner Tor auf die Frage des wachhabenden Offiziers, womit der Jude denn handele, geantwortet haben soll, er handele mit Vernunft. Eine Anekdote, die Schoeps immer wieder gerne erzählt, vielleicht auch weil dies so gut zu ihm selbst passt. Und wie sein Vorfahr lebt Schoeps heute wieder in Berlin. Schoeps entwickelte sich zu einer Koryphäe der deutsch-jüdischen Beziehungsgeschichte, ein sensibler Geist, der feinfühlig die Bezüge der Gegenwart zur Geschichte aufspürt – und sich als Mahner auch mal etwas weiter aus dem Fenster lehnt. Dass er dafür bisweilen angefeindet wird, kann er ertragen. „Wer sich laut und vernehmlich äußert, muss damit rechnen, dass er ab und zu eine Ohrfeige verpasst bekommt“, sagte er einmal. „Das gehört zum Geschäft.“ Dass Kollegen nun wieder behaupten, die deutsch-jüdische Geschichte habe nichts oder nur am Rande mit deutscher Geschichte zu tun, bringt ihn auf. „Wenn ich so etwas höre, frage ich mich, ob es schon wieder losgeht.“

Zum Nationalsozialismus hat der Historiker eine klare Haltung. Die sogenannte Stunde Null habe es nie gegeben, sagte er mit Blick auf die vielen Ehemaligen die gleich nach dem Krieg wieder Positionen bezogen. Schoeps ist wichtig, dass es nicht eine Handvoll Nazis waren, die über Nacht Deutschland überfallen hatten. „Die Ausgrenzung der Juden setzte nicht erst mit der Machtübernahme Ende Januar 1933 ein, sondern geschah schon sehr viel früher“, sagt der Historiker. Das habe schon in den völkisch gesinnten Zirkeln des Kaiserreichs und noch früher gewurzelt. Der Judenhass eines Martin Luther oder eines Richard Wagner habe das Denken der Menschen seinerzeit geprägt.

"Antisemitismus integraler Bestandteil deutscher Kultur"

Und Schoeps’ Blick auf die Gegenwart fällt kaum lichter aus: „Der Antisemitismus scheint integraler Bestandteil der deutschen Kultur zu bleiben.“ Insofern sieht der Wissenschaftler heute auch keine Normalität im deutsch-jüdischen Verhältnis: „Anormalität ist die Normalität.“ Es sei extrem schwierig, den wiederauflebenden Antisemitismus zu bekämpfen. „Im kulturellen Denken und Fühlen gibt es da leider eine lange, verhängnisvolle Tradition.“ Egal, wo man hinblicke: Sprache, Lieder, Gedichte – überall finde man antijüdische Stereotypen, die das Denken der Menschen bis heute bestimmen. Beispielsweise auch bei Gustav Freytag und Wilhelm Busch.

Nicht Deutscher und Jude, sondern „deutscher Jude“

Warum er überhaupt als Nachfahre einer im Holocaust verfolgten Familie, dessen Großeltern in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden, in das Land der Täter zurückkam? Als Historiker, der sich mit der deutsch-jüdischen Beziehungsgeschichte befasst, könne er kaum in einem anderen Land wirken, sagte er einmal auf diese Frage. Er sehe sich als Bürger der Bundesrepublik mit jüdischer Identität, vom protestantischen Milieu geprägt, einer der deutsch fühlt und denkt. Gleich dem Titel seiner Autobiografie empfindet sich Schoeps nicht als Deutscher und Jude, sondern als „deutscher Jude“.

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