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Ausstellung „Ost-Berlin, die halbe Hauptstadt“: Mit der Interflug aus Potsdam in die Welt

Marina Bethig, geboren und aufgewachsen in Potsdam, arbeitete in der DDR als Stewardess. Ihr Leben zwischen Freiheit und Pflicht ist nun Teil einer Ausstellung.

Potsdam/Berlin - Reisen nach Zypern, Kanada, Kuba, Nigeria, Vietnam oder Pakistan – DDR-Bürgerin Marina Bethig dachte nicht an Flucht. Die heute 59-jährige Stewardess ist in Potsdam geboren und bis zu ihrem 14. Lebensjahr auch hier aufgewachsen, bevor es sie zur DDR-Staatslinie Interflug zog. Auf ihren Flügen von 1980 bis 1987 repräsentierte sie die Deutsche Demokratische Republik, stand ihr aber immer kritisch gegenüber.

„Für mich war das Privileg nicht schön, weil ich reisen konnte, andere nicht“, sagt sie. Dass sie als Reisekader konform sein musste, ist klar. Da ist Marina Bethig offen: „Ich habe damals die DDR repräsentiert.“ Wie alle Ostdeutschen ihrer Generation hatte sie ein Leben vor dem Mauerfall und eines danach. Dabei mochte Marina Bethig beide Leben: Das eine als Kind eines Trainers der Nationalmannschaft im Turnen und als junge Frau und Mutter, heute das Leben als Oma. Der Gedanke an eine Flucht lag ihr fern.

Der Beruf der Stewardess sei zu DDR-Zeiten ein Traumjob wie Schauspielerin gewesen, erzählt Bethig, die heute in Berlin lebt. „Der Andrang war sehr groß.“ Um die Tauglichkeit im Gleichgewicht zu bestehen, übte Bethig mit ihrem Vater im Drehsessel. In der Ausbildung ging es um Psychologie, Kosmetik, Sprachen und Passagierbetreuung. Wie heute mussten die Stewardessen jeden Handgriff im Schlaf können.

Die ersten zwei Jahre war es üblich, dass die Interflug-Stewardessen ins sozialistische Ausland flogen, nach Prag, Warschau oder Moskau, dann durften sie auf die anderen Strecken. Ein geordnetes Privatleben war wichtig. Wenn jemand daheim an seiner Familie hing, galt eine Flucht aus der DDR als unwahrscheinlich. „Da wurde schon darauf geachtet, dass das Umfeld in Ordnung ist“, erzählt Bethig, auf die zuhause auch Mann und Kinder warteten. Wenn der Familienstand ins Wanken geriet, wurde es schwierig, im Prinzip hätte einen jeder denunzieren können.

Manchmal war es auch kurios: Zu Notfallübungen musste die Besatzung in Uniform in den Berliner Müggelsee springen, dort die Schwimmweste anziehen und mit vollgesogenen Klamotten in ein Floß klettern. Für besondere Vorkommnisse hatte die Besatzung immer Wodka dabei. Gegen lästige Männer bei einem Flug in die Sowjetunion banden sich die Stewardessen die Schürzen mit einer Doppelschleife. Und: „Man hat natürlich an Bord auch manchmal einen Heiratsantrag bekommen.“

Auf dem Flughafen von Beirut im Libanon hörte die Besatzung einmal den Geschützdonner des Bürgerkriegs. Es kam auch vor, dass die Interflug Kriegsverletzte aus Nicaragua zur Behandlung in die DDR brachte, da wurde das Flugzeug zum Lazarett und Marina Bethig zur Krankenschwester. Bedrückend war für sie, wenn DDR-Bürger nach einer missglückten Republikflucht zurückgebracht werden mussten. Das waren die dunklen Seiten des Berufs.

Bethig hat trotzdem gerne bei der Interflug gearbeitet. Die DDR-Staatslinie wurde 1958 gegründet und war 33 Jahre lang, sogar noch bis nach dem Mauerfall, in Betrieb. Sie schaffte es sogar mal ins „Guinness-Buch der Rekorde“: Am 21. November 1989 flog eine ihrer Maschinen in 13 Stunden und 25 Minuten von Kumamoto auf der japanischen Insel Kyushu nach Berlin-Schönefeld. Nie zuvor hatte damals ein Airbus A310 eine derartige Strecke nonstop bewältigt.

Der schwärzeste Tag in der Interflug-Geschichte war der 14. August 1972, als eine Iljuschin 62 bei Königs Wusterhausen abstürzte – 156 Menschen an Bord kamen ums Leben. 1991 hob zum letzten Mal eine Tupolew für die Interflug ab. Da arbeitete Marina Bethig schon nicht mehr als Stewardess. Das Aus kam mit einer umstrittenen Entscheidung der Treuhand, die damals viele DDR-Betriebe abwickelte.

Anders als für viele Westdeutsche war das Jahr 1989 für Bethig ein echter Einschnitt. Nach dem Mauerfall half sie in der Praxis ihres Mannes und arbeitete als Sporttrainerin. Sie gehört zu den Leuten, die der „Diktatur des Proletariats“ nicht hinterhertrauern und die Demokratie nach der Wiedervereinigung schätzen. Bereits in der Vorwendezeit sah sie nahe der Berliner Gethsemanekirche, wie die DDR gegen Andersdenkende vorging. Das war für sie ein Grund, ihr SED-Parteibuch abzugeben.

Sie begann, die DDR zu hinterfragen, auch durch ihren Mann, der Westverwandtschaft hatte. Reisen bildet, sagt man – für Marina Bethig stimmt es. Fernweh verspürt die frühere Vielfliegerin aber heute kaum: „Ich kann auch gut mal eine Woche Urlaub in Berlin machen.“

Die ehemaligen Stewardessen, so hießen die Flugbegleiterinnen damals, und die Piloten treffen sich heute nur noch zu Stammtischen. Sie haben viel zusammen erlebt, meint Marina Bethig.

Ausstellung noch bis zum 9. November zu sehen

Die Geschichten der Stewardess sind nun Teil der Ausstellung „Ost-Berlin, die halbe Hauptstadt“, die noch bis 9. November im Museum Ephraim-Palais in der Poststraße 16 in Berlin zu sehen sein wird. Sie hat dienstags, donnerstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr und mittwochs von 12 bis 20 Uhr geöffnet. Jeden 1. Mittwoch im Monat ist der Eintritt frei, ansonsten kostet er 7 Euro oder ermäßigt 5 Euro.

Caroline Bock dpa

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