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Viele der Exponate sind Alltagsgegenstände, wie diese im April 1945 im Belower Wald bei Wittstock/Dosse zurückgelassenen Schuhe.

© Andreas Klaer

Ausstellung „Bruchstücke ’45“: Todesmarsch-Karten und vergrabene SS-Uniformen

Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zeigt eindrucksvolle Gegenstände und Zeugnisse brandenburgischer KZ-Häftlinge aus dem Jahr 1945.

Potsdam - Auf den ersten Blick sieht es nach nichts Besonderem aus: Eine verrostete Blechdose, flachgedrückt, mit einigen Schlitzen versehen. Doch der unscheinbare Gegenstand war stummer Zeuge eines Todesmarsches von KZ-Häftlingen in den letzten Tagen des Krieges 1945. „Die Häftlinge haben damit versucht, im Wald Rinde von Bäumen abzuschaben, um irgendwie an Nahrung zu kommen“, sagt Kurt Winkler, Geschäftsführer der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte. „Es sind die scheinbar kleinen Alltagsgegenstände, die eine Brücke in die Vergangenheit schlagen – das berührt einen.“

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Die Dose ist eines von insgesamt 45 Exponaten der Ausstellung „Bruchstücke ’45. Von NS-Gewalt, Befreiungen und Umbrüchen in Brandenburg“ die am 7. Mai im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte eröffnet wurde. Es ist das erste Mal, dass die KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück, die Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald bei Wittstock (Dosse), die Gedenkstätte Zuchthaus Brandenburg-Görden in Brandenburg/Havel und die Gedenkstätte Leistikowstraße in Potsdam eine gemeinsame Ausstellung durchführen, betont Axel Drecoll, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.

HBPG-Chef Winkler: Wichtiger Teil demokratischer Kultur

„Bruchstücke ’45 ist eine Spurensuche in der Zeitgeschichte, eine Archäologie von Terror und Verfolgung, Befreiung und Hoffnung“, sagt Winkler. Gerade vor dem Hintergrund der wachsenden zeitlichen Distanz zum Holocaust, dem Verschwinden von Zeitzeugen und dem Erstarken rechter Tendenzen, sei die Schau ein wichtiger Teil demokratischer Kultur.

Viele Objekte beeindrucken auch durch ihre Schlichtheit: Da ist etwa ein kleines Holzkästchen mit Davidsstern und der Inschrift, das in einem Massengrab des KZ-Außenlagers Lieberose im Landkreis Dahme-Spreewald gefunden wurde. Zwischen dem 2. und 4. Februar 1945 hatte die SS hier etwa 1350 Menschen erschossen und in einer Kiesgrube verscharrt, die meisten der Opfer waren jüdische Häftlinge. Gegenstände wie Schuhe und Karten von Gefangenen, auf denen mit Bleistift die Route des Todesmarsches eingezeichnet wurde, geben in ihrer Einfachheit das Grauen wieder, das mit Worten kaum zu fassen ist.

Der Häftlingsanzug des 48-jährigen Lehrer Mikas Slaza aus Litauen.
Der Häftlingsanzug des 48-jährigen Lehrer Mikas Slaza aus Litauen.

© Andreas Klaer

Auch der Todesmarsch, der am 8. Februar durch die Potsdamer Innenstadt führte, wird in der Ausstellung nachvollzogen: „Viele der Verbrechen in den letzten Tagen des Krieges sind vor den Augen der Bevölkerung passiert“, sagt Maren Jung-Diestelmeier, Kuratorin und Projektkoordinatorin.

Ein Schaukasten zeigt den Häftlingsanzug von Mikas Šlaža, der zu den Überlebenden des Todesmarsches von KZ Sachsenhausen nach Raben Steinfeld gehörte. In den letzten Tagen vor dem Sieg der Alliierten bekam die eigentlich stigmatisierende Kleidung der Gefangenen plötzlich eine neue Bedeutung: „SS-Leute versuchten an solche Häftlingsanzüge heranzukommen, um ihre Identität zu verschleiern. Sie tauschten sie unter anderem gegen Brot“, sagt Jung-Diestelmeier. „Šlaža hat seinen behalten.“

Besonders bezeichnend ist in diesem Zusammenhang ein anderes Objekt, das 2019 von einem Bombensuchdienst nahe der Gedenkstätte Sachsenhausen gefunden wurde: Eine luftdicht abgeschlossene Tonne, in der sich eine SS-Uniform, entsprechende Schulterstücke, eine Kamera, persönliche Dokumente, Seife und ein Kamm befanden. Ihr Besitzer: SS-Unterscharführer Johannes Patzke. „Viele Nazis haben damals ihre Kleidung weggeworfen oder vernichtet, doch Patzke scheint darauf spekuliert zu haben, sie irgendwann später wieder anziehen zu können“, sagt Mareike Otters von der Gedenkstätte Sachsenhausen. Nun ist das Gegenteil dessen eingetreten, was er mit dem Verstecken der Kleidung bezwecken wollte: Nach mehr als 70 Jahren kann die Identität des SS-Mannes einwandfrei festgestellt werden.

Verfolgte stehen im Mittelpunkt der Schau

Doch nicht die Täter, sondern die Verfolgten stehen im Mittelpunkt der Ausstellung, nicht nur als Opfer, sondern auch als Menschen, die nach den Gräueln der Nazis und der Befreiung durch die Alliierten den Weg in eine neue, noch unklare Zukunft beschritten. So erzählt etwa ein Stück Seife vom Roten Kreuz von den Tagen, als die SS vor der Roten Armee geflüchtet war und die Insassen des KZs Ravensbrück sich selbst überlassen hatte. Die Häftlinge, die unter katastrophalen Hygienebedingungen leben mussten, durchsuchten das Lager und fanden dabei unter anderem die Rote Kreuz-Seife, mit der sie sich ein kleines Stück Gesundheit und Menschenwürde zurückeroberten.

Bislang ist die Ausstellung nur digital zu besichtigen

Ein anderes Exponat aus Ravensbrück erzählt von der Zeit, als das KZ bereits befreit war: Ein grün lackiertes Fenster, das einst zu einer Baracke des Konzentrationslagers gehörte. Eine Fürstenberger Familie baute es aus und verwendete es für ihre Gartenlaube.

Neben vielen Gegenständen wie Koffern, Bechern, Bombensplittern, Stempeln oder Schreibmaschinen umfasst die Ausstellung auch Audiostationen mit Berichten von Zeitzeug:innen und Animationsvideos. Aufgrund der Infektionslage kann „Bruchstücke ’45“ aktuell nur digital besucht werden: Auf der Internetpräsentation der Schau gibt es eine 350 Grad-Ansicht der Ausstellung, auf der  Seite der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten stehen zahlreiche Videoclips zur Verfügung. Alle Texte sind in Deutsch, Englisch und Einfacher Sprache.

Flankiert wird die Schau von einer Vielzahl von Veranstaltungen: So gibt es etwa am 20. Mai eine digitale Live-Führung, am 16. Juni eine Online-Podiumsdiskussion zu den Todesmärschen und am 11. August eine Lesung mit Texten von Überlebenden des KZs Ravensbrück. Das Programm ist auf der Webseite des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu finden, auch die Anmeldungen für die Veranstaltungen laufen darüber. Zusätzlich bietet das Filmmuseum Potsdam eine Online-Filmreihe zur Ausstellung an, gezeigt werden unter anderem „Die Mörder sind unter uns“ oder der Dokumentarfilm „Potsdam baut auf“, beide von 1946.

„Bruchstücke ’45“ läuft bis zum 19. September in Potsdam, danach werden die Exponate zu den jeweiligen Gedenkstätten zurückkehren und dort bis Oktober 2022 in eigenen Ausstellungen gezeigt.

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