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Auf dem Gelände der ehemaligen Fachhochschule Potsdam wurde auch dieser Brunnenring aus Eichenholz gefunden.

© Andreas Klaer

Ausgrabungen in der Potsdamer Mitte: Ein Brunnen für jeden Hof

Archäologen stießen bei Ausgrabungen am Alten Markt in Potsdam auf Teller, tiefe Brunnen und Reste einer 5000 Jahre alten Kultstätte.

Potsdam - Von was für Tellern aß man im Potsdam des frühen 18. Jahrhunderts? Vielleicht von solchen, wie sie jetzt von Archäologen auf der Baustelle des Blocks III am Alten Markt gefunden wurden: „Wer nur den lieben Gott lässt walten“, steht fromm auf der bunt bemalten Keramik, die mit einer Bleiglasur überzogen ist. Ein anderer Teller ist da wesentlich weltlicher und zeigt als Motiv Messer, Gabel und ein Huhn. Darüber die Jahreszahl 1727.  

„Die Teller haben wir in einem Abfallhaufen gefunden, der vermutlich zu einer alten Bäckerei gehörte“, sagt Grabungsleiterin Nicola Hensel, die mit ihrem fünfköpfigen Team seit Februar die Baugrube auf Zeugnisse der Vergangenheit untersucht. „Wir haben daneben die Fundamente eines großen Backofens entdeckt.“  

Der weiche Sandboden bot gute Bedingungen für den Brunnenbau.
Der weiche Sandboden bot gute Bedingungen für den Brunnenbau.

© Andreas Klaer

Grundwasserspiegel wurde kurzzeitig abgesenkt

Zu den auffälligsten Funden gehören die 14 Brunnen auf dem Gelände, von denen die jüngsten aus dem 19. Jahrhundert, die ältesten aus dem 15. Jahrhundert stammen: Einer davon wird gerade von Hensels Kollegen am Boden einer Sandgrube freigelegt, der schwarze Holzring, auf dem einst die Backsteinwand des Brunnens ruhte, wird vorsichtig mit einer Bürste vom Erde und Schmutz befreit. Möglich ist das nur, weil kurzzeitig der Grundwasserspiegel abgesenkt wurde; rund um den Brunnen stecken große bogenförmige Schläuche im Boden. 

Ausgrabungsleiterin Dr. Nicola Hensel.
Ausgrabungsleiterin Dr. Nicola Hensel.

© Andreas Klaer

„Er stammt vielleicht aus dem späten 18. Jahrhundert oder frühen 19. Jahrhundert“, sagt Hensel. Tatsächlich wirken die trapezartig angeordneten Holzbohlen, die wie von einem Böttcher zur Brunnenwand zusammengefügt wurden, in ihrer Konstruktion recht modern. Zwickelhölzer und dicke Holzdübel halten das Ganze zusammen. Zwei der Archäologen sägen ein Stück vom Holz ab; dies ist nötig für die dendrochronologische Untersuchung, also die Datierung durch die die Anzahl der Jahresringe im Holz. 

Weicher Sandboden erleichterte den Brunnenbau

„Die Brunnen hier sind bis zu drei bis vier Meter tief gewesen“, sagt Hensel. Ungewöhnlich sei, dass es so viele Brunnen auf so kleinem Raum gebe, sagt die Archäologin, die auf der Baustelle noch weitere Brunnen vermutet. Eine mögliche Erklärung ist, dass der Grundwasserspiegel hier sehr niedrig war, zudem machte es der weiche Sandboden leicht, Schächte auszuheben. 

„So hatten viele Bewohner hier ihren eigenen Brunnen im Hof“, sagt Hensel. Überraschend findet sie auch, dass Brunnen erst aus dem 15. Jahrhundert nachgewiesen werden können, nicht jedoch aus dem Mittelalter. Der Stadtgrundriss in diesem Gebiet entstand im 13. Jahrhundert, die Straßenverläufe von Schwertfegerstraße und Schloßstraße stammen noch aus dieser Zeit. 

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Keine menschlichen Knochen entdeckt

Auch in den Brunnen selbst fanden sich Reste von Alltagsgegenständen, die etwas über die Potsdamer von einst verraten: So fanden sich zum Beispiel Ofenkacheln aus dem 18. Jahrhundert oder Fragmente von Pfeifenstielen. „Es wurde viel geraucht“, sagt Hensel. Dass selbst in der frühen Neuzeit Metallbesteck noch etwas Besonderes war, zeigt ein aus Knochen geschnitzter Löffel aus dem 16. Jahrhundert, auf dessen Rückseite ein unbekanntes Zeichen eingeritzt ist, vielleicht ein Buchstabe. Münzen hingegen – zum Beispiel ein Hildesheimer Stadtpfennig – wurden verhältnismäßig wenige gefunden. 

Auf menschliche Knochen stieß das Team dieses Mal nicht.
Auf menschliche Knochen stieß das Team dieses Mal nicht.

© Andreas Klaer

Menschliche Knochen haben die Archäologen diesmal nicht ausgegraben, nur neolithische Grabbeigaben wie Bernsteinketten. Was den Forschern hingegen immer wieder unter die Schaufel kam, waren komplette Skelette von Hunden, Pferden und Rindern. Tote Tiere im eigenen Hof zu vergraben war wegen des Seuchenschutzes zwar verboten, wurde aber trotzdem häufig gemacht, um die Kosten für den Abdecker zu sparen, sagt Hensel. Es gibt aber noch wesentlich ältere Fundstücke auf der Baustelle: Hensel hält die Scherbe eines Bechers hoch, deren Rand mit einem Riffelmuster bedeckt ist. 

Graben gibt Rätsel auf

Geschätztes Alter: Rund 5000 Jahre, ein Zeugnis der sogenannten Trichterbecherkultur, die im nördlichen Mitteleuropa verbreitet war. Aus derselben Zeit stammt das beeindruckendste Fundstück der Ausgrabungen, das für normale Beobachter nicht sofort erkennbar ist: Ein mehr als zehn Meter langer Graben, der irgendwann zwischen 3600 und 3300 vor Christus errichtet wurde, also in der Steinzeit. Ein großer Teil dieser Anlage wurde bereits 2007 bei den Bauarbeiten des Stadtschlosses entdeckt, nun haben die Forscher einen weiteren Teil des Grabens freigelegt, der zeigt, dass das Bauwerk wesentlich länger war, als bislang bekannt. 

Das Fragment eines über 5000 Jahre alten Trichterbechers.
Das Fragment eines über 5000 Jahre alten Trichterbechers.

© Andreas Klaer

Was auf den ersten Blick unspektakulär klingt, ist in Wahrheit überaus rätselhaft, denn laut den Untersuchungen führte der Graben kein Wasser, wurde aber auch nicht als Straße genutzt. Dafür gibt es links und rechts davon viele Gräber, die entlang der Anlage ausgerichtet sind; die Vermutung liegt nahe, dass es sich um eine Kultstätte handelte, die möglicherweise religiöse Bedeutung für die damals hier lebenden Menschen hatte. 

„So eine umfangreiche Anlage zu bauen war eine große Gemeinschaftsleistung, während der man nicht auf die Jagd gehen oder andere Dinge tun konnte, die das tägliche Überleben sicherten“, sagt Hensel. Ähnliche solcher Gräben wurden auch an vielen anderen Stellen in Europa gefunden, zum Beispiel in Dänemark. Hensel schätzt, dass der Graben in Potsdam bis an die Havel reichte.

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