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Landeshauptstadt: Auf Tuchfühlung mit goldenen Tressen

Potsdamer Kinder entdeckten am Sonntag das Neue Palais und versuchten sich als Textil-Restauratoren.

Das soll ein Schlafzimmer sein? Die vier Kinder und ihre Eltern stehen mit dicken Jacken in dem eisig kalten, hohen Raum und schauen sich prüfend um. Das gewaltige Gebilde in der Mitte ist tatsächlich ein Bett, auch wenn es mit all der vergoldeten, roten Seide fast zu kostbar zum Schlafen aussieht. „Wo könnt ihr noch Stoffe sehen?“, fragt Silke Hollender von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. „An den Stühlen, an den Wänden und an den Vorhängen!“, zeigt ein Mädchen nacheinander im Raum. Genau darum geht es heute: „Goldene Fäden und edle Quasten“, so der Titel der Sonntagswerkstatt der Schlösser-Stiftung, bei der drei Familien eine Einführung in die Arbeit von Textil-Restauratorinnen erhielten.

Eine Besonderheit dabei: Es ist das erste Mal, dass die Sonntagswerkstatt in Zusammenarbeit mit KidsKultür Potsdam stattfindet. Das Projekt ermöglicht es Kindern aus armen Familien, kostenlos an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Allein im letzten Jahr besuchten durch KidsKultür mehr als 400 Kinder über 900 Kulturveranstaltungen. „Wir werden dies künftig bei vier Veranstaltungen im Jahr für jeweils zwei Familien anbieten“, so Hollender. „Wir sind der Stiftung sehr dankbar, dass sie an Familien denken, die sich Kulturangebote sonst kaum leisten können“, sagt Luise Lützkendorf, Projektleiterin von KidsKultür. Die Veranstaltungen sind dabei gemischt, es kommen also sowohl Familien über KidsKultür als auch reguläre Teilnehmer.

Sowohl Kinder als auch Erwachsene sind sichtlich beeindruckt von der heutigen Führung: Hollender macht auf zahlreiche Details in den königlichen Gemächern aufmerksam: „Die Vorhänge am Bett sind Kopien, da die Original-Stoffe auch schon sehr stark gedunkelt sind.“ Stoffe machen einen wichtigen – und empfindlichen – Teil der Inneneinrichtung im Neuen Palais aus: Die zum Teil Hunderte Jahre alten Seiden-Bezüge und -Tapeten des Barock-Schlosses sind sehr anfällig gegen Licht, weshalb viele der Räume, in die es heute geht, abgedunkelt sind. Anfassen ist trotzdem erlaubt: Textil-Restauratorin Nadja Kuschel gibt den Kindern eine restaurierte Gold-Tresse in die Hand, ein Seidenband, das mit vergoldeten Silberfäden bestickt ist. Am Bett hängen die 250 Jahre alten Original-Tressen – fast schwarz, da die Silberfäden längst korrodiert sind.

Wie fein Seide ist, davon können sich die Kinder ebenfalls überzeugen: Kuschel wickelt von einer Spule einen roten Faden ab, der kaum zu sehen ist. „Daraus wurde damals Damast gemacht. Und zwar in Rot, der Farbe der Könige“, sagt Kuschel. „Das könnte man auch für ein Kleid nehmen!“, findet die fünfjährige Helena. Wobei zu beachten ist: „Seide ist ein Naturprodukt, das sich bei diesem nasskalten Wetter zusammenzieht“, erklärt Restauratorin Sigrid Gerlitz.

Anschließend geht es in die „Schatzkammer“, das Tressen-Zimmer: Hier ist es besonders dunkel, denn es ist einer von nur zwei Räumen im Neuen Palais, in denen tatsächlich noch über 200 Jahre alte Originalstoffe an den Wänden hängen. „Der Raum war jahrelang geschlossen, denn die Seidentapeten waren zu kaputt“, verrät Kuschel. Fünf Jahre hat die Restauration gedauert, die aufgestickten Goldtressen mussten am Ende auf den Stoff aufgeklebt werden. „Nähen konnte man das nicht mehr, denn jeder Stich hätte den Stoff verletzt“, so Kuschel.

Besonders kostbar: Eine vergoldete Quaste, die an einem der Vorhänge baumelt. „So etwas können heute nur noch wenig Leute herstellen, das muss ein Meister seines Fachs machen“, sagt Kuschel. Rund 2000 Euro ist so eine Goldquaste nach historischem Vorbild wert. Einen kleinen Einblick ins Quasten-Handwerk gibt es bei der eigentlichen Sonntagswerkstatt, zu der es nach der kurzen Führung geht. Kuschel macht es vor: „Ihr nehmt zwei Fäden, spannt sie zum Beispiel an einem Stuhlbein, steckt dann am anderen Ende einen Bleistift dazwischen und dreht.“ Nach einer Weile ist bei den meisten ein stabiler, zweifarbiger Faden entstanden, sogar echtes Goldgarn dürfen die Kinder miteinweben.

Nun noch ein Busch aus Schnüren um den Faden gewickelt und mit einem sogenannten Chirurgenknoten verzurrt – fertig sind ein gutes Dutzend verschiedenfarbige Troddeln, denn die Eltern haben fleißig mitgedreht und geknotet. Ihr Urteil über die Sonntagswerkstatt fällt durchweg positiv aus: „Es war eine tolle Führung, vor allem fand ich gut, dass die Kinder auch die Stoffe anfassen konnten“, sagt ein Vater. „Ich fand es sehr informativ, auch für Erwachsene“, sagt Nina Cierpka aus Potsdam. „Und den Kindern macht es viel Spaß. Meine Tochter bastelt sehr gerne und das Schloss zu sehen war natürlich auch schön.“ Ihre Tochter Helena ist sichtlich begeistert von der bunten Troddel, die sie gerade angefertigt hat und hängt sie sich probehalber ums Ohr. „Ich will sie irgendwo in mein Zimmer hängen“, sagt sie, doch dann kommt ihr noch ein anderer Einfall: „Wir könnten sie doch an den Weihnachtsbaum hängen!“ „Nächstes Mal!“, verspricht ihre Mutter.

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