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Auf eigene Faust: Potsdamer Ehepaar kümmert sich um 60 Flüchtlinge

Peter Kuttner und Bettina von Hardenberg kümmern sich seit vier Jahren um Flüchtlinge in Potsdam. Mittlerweile sind es fast 60 – doch das Ehepaar aus der Berliner Vorstadt will nicht lockerlassen.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Angefangen hat alles an Silvester 2014/2015. Peter Kuttner und seine Frau Bettina von Hardenberg saßen mit Freunden zusammen und sprachen über den Krieg in Syrien, die ersten Flüchtlinge, die damals nach Deutschland kamen und wie hilflos sie hier in der Fremde oft waren – mitten unter uns. „Wir haben uns gesagt, da muss man doch was machen“, erinnert sich Bettina von Hardenberg. „Und weil mein Mann ein Mensch ist, der gerne Nägel mit Köpfen macht, hat er auch gleich angefangen.“ Er hat angefangen und nicht mehr aufgehört: Mittlerweile ist Peter Kuttner – immerhin schon 77 Jahre alt – fast jede Minute mit nichts anderem beschäftigt. Rund 60 Flüchtlinge betreut das Potsdamer Ehepaar mittlerweile, außerdem sind sie in mehreren Vereinen aktiv.

Auf eigene Faust machten der gebürtige Münchner und seine zwei Jahre jüngere Potsdamer Frau sich damals auf den Weg zur Flüchtlingsunterkunft in der Werner-Seelenbinder-Straße und klopften an der Tür – ohne vorher groß nachzufragen, wie es eben so Kuttners Art ist. Die Container auf dem Hof der alten Feuerwache waren damals eine der ersten eilig geschaffenen Unterkünfte angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen in Potsdam. Mittlerweile sind sie längst abgebaut. Damals traf das gut situierte Ehepaar aus der Berliner Vorstadt dort auf einen Arzt, der gemeinsam mit seiner Frau und drei Kindern aus Syrien geflohen war – er wurde ihr erster Schützling.

Kuttner und von Hardenberg halfen dem Familienvater, der an der Universitätsklinik in Damaskus als Oberarzt gearbeitet hatte, eine Wohnung zu finden und vor allem einen Kitaplatz für seinen autistischen Sohn. „Der hat ihm solche Sorgen gemacht, dass er gar nichts für sich tun konnte“, sagt von Hardenberg. Erst als er seinen Sohn in einer Kita der Arbeiterwohlfahrt gut betreut wusste, fing er damit an, sich auf den langen Weg zur Wiederaufnahme seines Arztberufs zu machen. Mittlerweile ist er weit gekommen, berichtet Hardenberg stolz, die selbst Medizinerin ist und viele Jahre als Betriebsärztin tätig war: Er hat das zweithöchste Sprachniveau C1 erreicht, die schwierige Fachsprachen- und die Approbationsprüfung abgelegt. Jetzt muss er noch mindestens ein Jahr an einem deutschen Krankenhaus arbeiten, um seinen Facharzt machen zu können. „Und seine Tochter ist Klassenprimus“, fügt Kuttner noch hinzu.

Die beiden erzählen mit Begeisterung, wie weit viele der Menschen, die sie betreuen, schon gekommen sind. Eine junge Frau zum Beispiel habe eine Ausbildung zur Industriekauffrau angefangen, ein anderer gehe demnächst bei einem Notar in die Lehre. Und dann gibt es auch noch Majd, der sogar Zahnmedizin an der Charité studiert. Auf ihn waren die beiden durch die PNN gekommen, ein Reporter dieser Zeitung hatte die erschütternde Geschichte des Syrers aufgeschrieben. Sein Bruder, ein Friseur, wurde während der Arbeit von einer Granate zerfetzt und getötet, das Ereignis traumatisierte Majd schwer. Über Beirut, Algerien, Tunesien, Libyen und schließlich mit einem völlig überfüllten Schiff übers Mittelmeer erreichte er Europa. Nach vielen weiteren Stationen strandete er schließlich in Potsdam. Peter Kuttner nahm sich seiner an und half ihm, seine Familie nachzuholen – erst nur die Mutter und die drei weiteren Brüder, dann auch den Vater. Auch Alaa und Mehjar wollen die beiden unbedingt noch erwähnen, ein Brüderpaar, beides Musiker. Um deren Eltern nach Deutschland nachzuholen, hat Kuttner sogar persönlich gehaftet – nicht das erste Mal sprang der 77-Jährige mit seinem eigenen Vermögen in die Bresche.

Ins Herz geschlossen hat Kuttner auch einen anderen jungen Mann, den syrischen Kurden Kovan*. Momentan setzt er alle Hebel in Bewegung, um dessen Frau nach Deutschland nachzuholen, doch es ist wie immer kompliziert. Neulich hat Kuttner Kovan sogar mit in den Urlaub genommen, als er mit seinen drei Kindern aus erster Ehe nach Italien fuhr. „Das war eine Mordsgaudi“, sagt er und lacht. „Am Ende haben meine Kinder zu ihm gesagt: ,Du bist jetzt unser Bruder’“.

Ohnehin reagiere das Umfeld fast ausschließlich positiv auf das große Engagement der beiden, berichten sie, manche böten auch Hilfe an. Andere engagierte Potsdamer kennen die beiden, nicht zuletzt durch den Verein Mitmachmusik, der geflüchteten Kindern das Musizieren nahebringt – mittlerweile zusammen mit Potsdamer Kindern. „Mein Mann hat ein riesiges Netzwerk“, sagt Bettina von Hardenberg. „Und eine blühende Fantasie“. Immer, wenn er von einem Problem höre, habe er gleich zig Lösungsansätze im Kopf.

Dass vor allem er, Peter Kuttner, so viel Zeit in das Engagement steckt, scheint allerdings auch zwischen den beiden ein Thema zu sein: „Wir haben uns darauf geeinigt, dass ein Tag die Woche frei sein soll“, sagt sie. Daraufhin er: „Plus der Sonntag, der ist auch frei.“ Und sie: „Außer du hast wieder Kovan zum Frühstück eingeladen“.

Aber letztlich sind sie sich einig: anders geht es nicht. „Wie sollen die Menschen denn das ohne Hilfe alles schaffen?“, fragt Bettina von Hardenberg. „Außerdem bin ich ja 60-Stunden-Wochen aus meinem Beruf gewohnt“, sagt Kuttner augenzwinkernd.

Allerdings, und das sagt von Hardenberg auch noch, sei ihr Mann auch oft emotional sehr mitgenommen von all den Geschichten und Rückschlägen. „Ich als Ärztin habe wahrscheinlich besser gelernt, mich zu distanzieren. Er kann das weniger.“ Kuttner widerspricht nicht.

*Name von der Redaktion geändert

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