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Intensive Vorbereitung. Die Studenten von Marc Deckers (rechts) bereiten sich in seinem Deutschkurs für Geflüchtete auf die Abschlussprüfung im September vor. Alle, die bestehen, werden als Assistenzlehrer an Schulen in ganz Brandenburg arbeiten können.

© Andreas Klaer

Arbeiten nach der Flucht: Neue Hoffnung im alten Beruf

Seit 2016 läuft das Programm für geflüchtete Lehrer der Uni Potsdam. Sie hoffen auf eine Chance, wieder in dem Beruf arbeiten zu können, den sie erlernt haben.

Potsdam - In einem bundesweit einzigartigen Programm an der Universität Potsdam lernen Flüchtlinge zurzeit das deutsche Bildungssystem kennen. Seit Monaten lernen sie intensiv die deutsche Sprache, Didaktik und Pädagogik. In ihrer Heimat haben sie viele Jahre als Lehrer und Erzieher gearbeitet. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien. Der Krieg und seine Folgen haben sie aus ihrem Zuhause nach Deutschland vertrieben.

Das „Refugee Teacher Program“ an der Uni Potsdam startete im April vergangenen Jahres durch die Initiative von Miriam Vock und Frederik Ahlgrimm vom Lehrstuhl für Empirische Unterrichts- und Interventionsforschung. Die Nachfrage für das Projekt war zu Beginn riesig. 75 Plätze konnte die Universität zum Start des Programms anbieten. Etwa 700 Flüchtlinge aus ganz Deutschland bewarben sich. Mittlerweile habe sich der Andrang etwas gelegt, sagt der Mitinitiator Ahlgrimm. „In der letzten Runde hatten wir auf die 40 Plätze, die wir anbieten, etwa doppelt so viele Bewerbungen.“ Im nächsten Semester, ab Oktober, beginnt das Programm für die neuen Studenten.

80 Flüchtlinge nehmen am neuen Projekt teil

Mit dem Qualifizierungsprogramm soll die berufliche Integration der Lehrer gefördert und eine Beschäftigungsperspektive in ihrem Beruf angeboten werden, wie das Ministerium für Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) auf Anfrage erklärte. Das Ministerium unterstützt das Programm finanziell. Die Lehrer sollen an den Schulen unter anderem geflüchteten Kindern helfen und zu deren Verständigung beitragen.

An dem Projekt nehmen zurzeit etwa 80 Flüchtlinge teil. So wie Muath Alrifai, der zurzeit in Cottbus lebt und sich im letzten Jahr beworben hatte. „Eine sehr nette Frau, die ich kenne, hat mir davon erzählt und mir gesagt, dass ich vielleicht eine Chance habe.“ Für das Programm nimmt der 29-jährige Syrer über zwei Stunden Fahrtzeit in Kauf. Das sei keine Seltenheit, wie der Dozent Marc Deckers, der den Flüchtlingen Deutsch beibringt, bestätigt. Viele Studenten wohnen außerhalb Potsdams und müssen beispielsweise aus Senftenberg oder Guben anreisen.

"Ähnliche Maßnahmen haben eine Abbrecherquote von 50 Prozent"

Das Programm ist anspruchsvoll, wie Ahlgrimm erklärt. Vor allem die Sprachkurse sind intensiv. 24 Stunden die Woche lernen die Teilnehmer Deutsch. „Wir brauchen zu Hause mindestens vier Stunden, um alles aufzuarbeiten“, erklärt Wafaa Mahmoud. Die 34-jährige Syrerin hat, bevor sie nach Deutschland kam, fünfeinhalb Jahre in Hama Englisch unterrichtet. Viel Zeit für andere Dinge hat die junge Mutter von zwei Kindern derzeit nicht. Dennoch engagiert sie sich neben ihrem Studium im Frauenzentrum in Potsdam und in einem Verein in Bornstedt.

Die meisten ziehen das Programm durch, wie Ahlgrimm erklärt. „Eigentlich haben viele ähnliche Maßnahmen eine Abbrecherquote von 50 Prozent. Obwohl unser Programm ja recht anspruchsvoll ist, liegen wir deutlich darunter.“ Alrifai und Mahmoud sind bereits seit Juni vergangenen Jahres dabei und haben schon ein Praktikum an einer Schule absolviert. „Das Praktikum dauerte zehn, elf Tage“, erzählt die 30-jährige Mathematiklehrerin Alesar Saed, die mit Alrifai und Mahmoud zusammen Deutsch lernt. „Ich habe im Praktikum auch einmal die Woche Mathematik unterrichtet. Wir sind alle sehr positiv in den Schulen aufgenommen worden. Von den Lehrern, von den Kindern und Eltern.“

Beruf auch ein Teil der Identität

Anfang September haben sie, wie diejenigen, die im April angefangen haben, ihre Abschlussprüfung. Sie müssen dafür in Deutsch das Sprachniveau C1 erreichen. Feierlicher Abschluss ist am 20. September. Eine feste Anstellung als Lehrer werden sie zunächst nicht bekommen, da in Deutschland andere Bestimmungen als in vielen anderen Ländern gelten. So müssen Lehrer in Deutschland unter anderem zwei Hauptfächer studiert haben. In anderen Ländern reicht dafür ein Bachelorabschluss in einem Hauptfach. „Wir gehen davon aus, dass sie noch weiterhin eine Lern- und Qualifizierungsphase vor sich haben, so wie andere die in den Schuldienst ohne Lehramtsabschluss einsteigen“, sagte Ahlgrimm. Die Lehrer können aber alle nach erfolgreicher Prüfung an einer Schule in Brandenburg als zusätzliche Assistenzlehrkräfte arbeiten, wie das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) auf Anfrage bestätigte. Demnach hätten insbesondere Schulen, an denen zahlreiche geflüchtete Kinder und Jugendliche unterrichtet werden, ihr Interesse Lehrkräften bekundet. Sie sollen, so das MBJS, überwiegend an Potsdamer Schulen, aber auch in anderen Städten und Regionen Brandenburgs wie Fürstenwalde, Cottbus, Kleinmachnow, Großbeeren oder Teltow eingesetzt werden.

Für die Lehrer ist das Programm auch wichtig, weil ihre langjährige Berufs- und Lehrerfahrung ein Stück weit anerkannt wird. „Ich glaube, das ist für die Identität der Teilnehmer ganz wichtig, nicht immer nur zu hören, dass sie ja Flüchtlinge sind, sondern sie über ihre Profession anzusprechen“, findet Ahlgrimm. „Als ich nach Deutschland gekommen bin, hatte ich die Hoffnung verloren, jemals wieder als Lehrerin arbeiten zu können“, erzählt Mahmoud. „Das Programm hat mir und den anderen unsere Hoffnungen und Ziele wiedergegeben.“

Sarah Stoffers

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