zum Hauptinhalt
Gutes Auge. Die 30-Jährige Mary Jean Paschke (l.) macht im Hotel Steigenberger eine Ausbildung zur Restaurantfachfrau. Nicht nur dabei, sondern auch in Lebensfragen hilft ihr Personalchefin Birgit Langholz.

© Andreas Klaer

Arbeiten in Potsdam: Immer mehr Lehrstellen in Potsdam bleiben leer

Auf 1150 Stellen kamen nur 756 Interessierte. Arbeitsagentur-Chefin Schröter: „So weit geöffnet war die Schere noch nie“

Von Valerie Barsig

Potsdam - 1150 Lehrstellen – aber nur 756 Interessenten. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist für die regionale Wirtschaft weiter dramatisch, auch in Potsdam. „So weit geöffnet war die Schere noch nie“, sagte Ramona Schröder, Chefin der Arbeitsagentur Potsdam, am Donnerstag.

Im Potsdamer Hotel Steigenberger Sanssouci stellte Schröder gemeinsam mit Industrie- und Handelskammer (IHK) und Handwerkskammer (HWK) Potsdam die Bilanz des aktuellen so genannten Berufsberatungsjahrs vor. Es lief von 1. Oktober 2016 bis zum 30. September 2017.

Das Fazit: „Wir haben keine Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt.“ Im kompletten Bezirk der Arbeitsagentur Potsdam, der Stadt und Umland umfasst, gab es 4108 gemeldete Ausbildungsstellen. Sie standen 3183 Interessenten gegenüber.

Jugendliche haben oft Probleme, sich für den richtigen Beruf zu entscheiden

Für Jugendliche sei es extrem schwer, sich für einen Beruf zu entscheiden, sagte Agenturchefin Schröder. „Unsere Berufsberater müssten oft erstmal eine Lebensberatung durchführen.“ Schröder plädiert für mehr Jugendberufsagenturen, wie es sie in Teltow-Fläming und ab Dezember auch in Potsdam geben wird. In den Agenturen wird Jugendarbeit durch Angebote der Kommunen, des Jobcenters und der Arbeitsagentur gebündelt.

„Für uns werden dort Probleme von Jugendlichen transparenter“, so die Agenturchefin. Denn wer Schulden wegen zu hoher Handyrechnungen habe oder Probleme mit den Eltern, könne sich keine Gedanken über eine Berufsausbildung machen. Werde Hilfe vom Jugendamt oder Beratung gebraucht, passiere das in der Jugendberufsagentur unter einem Dach. „Die Jugendlichen gehen uns so nicht mehr zwischen Institutionen verloren.“ Daher seien Jugendberufsagenturen eine große Chance, Jugendliche zu erreichen und sie in einen Beruf zu bringen, meint die Arbeitsagenturchefin.

Sprachkenntnisse in Englisch helfen ausländischen Azubis oft weiter 

Doch auch Unternehmen können aktiv werden, sich ihre Azubis selbst finden. Ein gutes Beispiel dafür ist Mary Jean Paschke. Sie macht im Hotel Steigenberger eine Ausbildung als Restaurantfachfrau. Drei Jahre lang wird sie dabei für den gehobenen Service in der Gastronomie ausgebildet, nächstes Jahr wird die Ausbildung abgeschlossen sein. Die Berufsschule allerdings ist für die gebürtige Philippinerin sprachlich noch eine Herausforderung. „Doch die Kollegen helfen mir gern“, sagt Paschke.

Angefangen hat die 30-Jährige im Hotel Steigenberger Sanssouci als Minijobberin in der Reinigungskolonne. „Irgendwann haben wir uns zusammengesetzt und überlegt: Warum nicht eine Ausbildung?“, sagte Birgit Langholz, Personalchefin im Hotel. Paschke begann zunächst eine zweijährige Ausbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe. „Das erste Jahr war für mich sehr schwierig wegen der Sprache“, berichtete sie. Doch dann lief es immer besser und Langholz bot ihr die Ausbildungsverlängerung zur Restaurantfachfrau an. Gerade Auszubildende wie Paschke seien im Hotelgewerbe ein Gewinn, berichtete Langholz. „Denn was gerade Azubis aus dem Ausland perfekt beherrschen ist Englisch.“ Die große Herausforderung sei aber nach wie vor, Auszubildende auch zu halten.

„Wir stehen mit Popcorn-Stand und Fotoautomat für Bewerbungsbilder auf Ausbildungsmessen“

Nach wie vor sei aber auch das Marketing einiger Branchen ein Problem, sagte Wolfgang Spieß, Geschäftsführer des Geschäftsbereichs Bildung der IHK. Nicht umsonst werde in der Online-Lehrstellenbörse der Industriekaufmann zwei Millionen Mal angeklickt, die Fachkraft für Abwassertechnik nur 85 000-mal. „Wir stehen mit Popcorn-Stand und Fotoautomat für Bewerbungsbilder auf Ausbildungsmessen“, sagte Spieß. Neben den Jugendlichen, die auch in den sozialen Netzwerken und Schulen erreicht werden müssten, müsse man auch die Eltern überzeugen – denn zu 80 Prozent seien sie diejenigen, die über die Ausbildung ihres Kindes entschieden.

Ein vorsichtig optimistisches Fazit zieht die Handwerkskammer. Im fünften Jahr in Folge sei man mit einem Plus an abgeschlossenen Verträgen ins Ausbildungsjahr gestartet. Das liege laut der Abteilungsleiterin Berufsbildung, Eva Gatzky, auch an übervollen Auftragsbüchern. Zuwächse an Verträgen gab es vor allem im Baugewerbe, bei Kraftfahrzeugmechatronikern und Elektronikern. Trotzdem seien 382 Stellen im Kammerbezirk unbesetzt. Offene Stellen gebe es laut Geschäftsführer Spieß im IHK-Kammerbezirk vor allem in den Transportberufen. Insgesamt habe man noch 450 Ausbildungsplätze im Angebot.

Trotz des großen Angebots bleiben aber auch immer mehr Jugendliche ohne Ausbildungsstelle. Nach dem 30. September seien 439 Bewerber ohne Ausbildungsstelle – 104 mehr als Ende 2016 und doppelt so viele wie 2015. Gleichzeitig waren laut der Agentur für Arbeit noch 639 Ausbildungsstellen im Bezirk Potsdam unbesetzt. In Potsdam waren 92 Bewerber noch ohne Ausbildungsplatz, 113 Lehrstellen unbesetzt.

Zur Startseite