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Eine Mitarbeiterin der Potsdamer Telefonseelsorge.  

© Patrick Pleul

Anonyme Beratung: Immer mehr einsame Menschen suchen Hilfe bei Potsdamer Telefonseelsorge

Es gibt viele verschiedene Krisen, in denen sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene an die Potsdamer Telefonseelsorge wenden. Offensichtlich sehr viele, denn viele Anrufer können gar nicht angenommen werden.

Potsdam - „Im Nachtdienst rief mich eine ältere Dame an, die um ihren gerade verstorbenen Mann trauerte“, erzählt ein Mitarbeiter der Potsdamer Telefonseelsorge. „Ich habe sie dann gefragt, was sie mir denn über ihren Mann erzählen möchte.“ Dies sei ein besonders berührender Fall gewesen, sagt der 67-Jährige, der seit fünf Jahren ehrenamtlich für die Telefonseelsorge arbeitet. Ein zunehmendes Thema sei Einsamkeit der Ratsuchenden, erzählt er. „Die alte Dame in Berlin, die in der Nachbarschaft keinen mehr kennt, zählt genauso dazu wie Senioren auf dem Land, deren Kinder in den Westen gezogen sind.“

Pro Jahr 20.000 Gespräche

Seit 25 Jahren bieten die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Potsdamer Telefonseelsorge den Ratsuchenden in sechs Schichten rund um die Uhr ihren Dienst an - auch an Feiertagen. Am 28. September feiert die Potsdamer Telefonseelsorge das Jubiläum. Mehr als 410.000 Gespräche wurden in dieser Zeit mit Ratsuchenden geführt, sagt die Leiterin Beate Müller. Pro Jahr seien es rund 20.000. Weitere Standorte der Telefonseelsorge in Brandenburg gibt es in Cottbus und Frankfurt (Oder), die auf 7000 beziehungsweise 6000 Gespräche pro Jahr kommen.

Die Menschen können sich anonym an die Telefonseelsorge wenden. Es erscheint keine Nummer auf dem Display und die Anrufe werden von der Telekom, die den Dienst sponsort, auch nicht dokumentiert. „Wir arbeiten vornehmlich für die Region Berlin-Brandenburg bis Mecklenburg-Vorpommern“, sagt Müller. 

Beate Müller leitet die Telefonseelsorge Potsdam. 
Beate Müller leitet die Telefonseelsorge Potsdam. 

© Patrick Pleul

Doch bei der Telefonseelsorge suchen viel mehr Menschen Rat, als Anrufe entgegengenommen werden können. „In der Stoßzeit zwischen 17 und 24 Uhr kommen schätzungsweise nur 25 Prozent der Anrufe durch“, erläutert Müller.

Schwer depressive Menschen melden sich häufig

Entsprechend geben die Telefonseelsorger Zeit und Raum für ein Gespräch je nach den Bedürfnissen der Anrufenden. „Es gibt Menschen, die allein sind und bei uns anrufen, um den Tag beginnen“, nennt Müller als Beispiel. „Manchmal braucht es nur einen kurzen Kontakt, in schwierigen Situationen auch über eine Stunde.“ Neben Alltagsproblemen gehören beispielsweise Konflikte in der Familie, Trennungen und schwere Krankheiten, Einsamkeit zu den Themen der Ratsuchenden.

Häufig melden sich auch schwer depressive Menschen. „Wir versuchen im Gespräch die Anrufenden emotional aufzufangen“, erläutert der Telefonseelsorger. „Es kann sein, dass ein Mensch mit Suizidabsichten dann zum ersten Mal etwas ausspricht, was er zuvor noch nie ausgesprochen hat.“ Auch in diesen Fällen achten die Telefonseelsorger streng auf die Anonymität. „Manchmal werden auch weitergehende Hilfsangebote genannt“, erläutert Müller.

Seit 20 Jahren gibt es in Potsdam auch das Kinder- und Jugendtelefon. „Bei uns melden sich Kinder ab 8 Jahren und bis Mitte 20“, berichtet Leiterin Sabine Theuerkauf. „Ihre Themen sind etwa Mobbing in der Schule, Ablösung vom Elternhaus, die erste Partnerschaft - aber auch Gewalterfahrung, Missbrauch oder psychische Probleme.“ Teilweise mailen die Seelsorger auch mit den Kindern und Jugendlichen. Seit 10 Jahren gibt es auch ein Sorgentelefon, bei dem Jugendliche Gleichaltrigen zuhören beziehungsweise Mailberatung anbieten.

Für die Telefonseelsorger ist ihr ehrenamtlicher Dienst eine Herausforderung - aber auch die Chance für neue Erfahrungen und eigene Weiterentwicklung. „Für mich war die Ausbildung eine große Umstellung, weil ich aus einem eher technischen Beruf kam“, sagt der 67-jährige Telefonseelsorger. Wie seine 120 Kollegen in der Potsdamer Telefonseelsorge macht er jeden Monat vier Schichten sowie eine Nachtschicht und erhält regelmäßig Fortbildungen.

Telefonseelsorger gesucht 

Was ist seine Motivation?: „Menschen zu unterstützen und zu begleiten, ein sinnvolles und erfüllendes Ehrenamt auszuüben. Und ich erfahre viel über mich selbst“, sagt der 67-Jährige. „Man stellt sich die Frage: „Wie würde ich in dieser Situation handeln?““

Im Herbst beginnt bei der Potsdamer Telefonseelsorge ein neuer Lehrgang für Telefonseelsorger. „Die Ausbildung dauert neun Monate und wir haben 14 Plätze“, sagt Müller. Sie hofft darauf, auch in diesem Jahr wieder genügend Interessenten zu finden: „Die Interessierten sollten Aufgeschlossenheit, Einfühlungs- und Reflexionsvermögen, Belastbarkeit und Flexibilität mitbringen.“ (dpa)

Wer sich als Zuhörer bewerben möchte oder wer Hilfe braucht: Hier gibt es weitere Infos. 

Klaus Peters

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