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Wie Norwegen in Potsdam: Das Kapitänshaus soll spätestens im Mai schlüsselfertig sein. 

© Andreas Klaer

Am Jungfernsee in Potsdam: Ein Traum aus Holz

Das Kongsnaes-Ensemble steht vor der Fertigstellung. In den Häusern norwegischen Stils entstehen Wohnungen mit Seeblick. Ein Besuch vor Ort mit Eigentümer Michael Linckersdorff.

Von Carsten Holm

Potsdam - Es könnte ein Stoff für das Drehbuch eines Historienfilms sein: Kapitän Carl Velten legt mit der „Royal Louise“ an der Kaiserlichen Matrosenstation an, Kaiser Wilhelm II. schreitet mit Gefolge zur Ventehalle, der mit Drachenköpfen verzierten Empfangshalle. Kurzes Umkleiden, dann mit einer Kutsche zum Schloss Cecilienhof.

Lebhaft ging es vor gut 120 Jahren am Jungfernsee zu, wenn Wilhelm II. an Land ging. Dort, wo einst der Kaiser stand, steht an diesem sonnigen Märztag Michael Linckersdorff. Einst besaß der letzte Hohenzollern-Herrscher das traumhaft gelegene Gelände in der Berliner Vorstadt, nun gehört es dem Berliner Immobilienentwickler. Mit einem Gebot von einer Million Euro erhielt er 2009 den Zuschlag, als die Stadt das 12.000 Quadratmeter große Areal ausschrieb.

"Das Norwegische wiederbeleben"

Linckersdorff hatte eine Vision: In Potsdam gebe es italienischen Baustil, das Holländische Viertel und die Russische Kolonie Alexandrowka: „Und ich wollte mit Kongsnaes das Norwegische wiederbeleben.“ Linckersdorff, heute 63 Jahre alt, verpflichtete sich, die Ventehalle zu rekonstruieren, die im Zweiten Weltkrieg durch Artilleriebeschuss zerstört wurde – und die drei weiteren Gebäude, Kapitänshaus, Matrosenkaserne und Bootshalle, zu restaurieren. Der Anlass des Treffens mit den PNN: Die Ventehalle wurde 2019 als Restaurant eröffnet, das Kapitänsdomizil und die Kaserne werden spätestens im Mai schlüsselfertig sein, das Bootshaus im Sommer.

„Ich bin hinsichtlich der Investition vielleicht etwas blauäugig gewesen, mit zehn Millionen hatte ich nicht kalkuliert“, sagt er, als er durch die drei Häuser führt. Sein ständiger Begleiter, der quirlige Foxterrier Ruby, patrouilliert derweil kläffend durch das Areal: „Aber mir war bewusst, dass das eine Lebensaufgabe wird.“

Zu DDR-Zeiten führte die Mauer über das Grundstück, die Mieter waren Staatsbürger von erprobter Zuverlässigkeit, Stasi-Leute und andere geschulte Getreue. Nach der Wende gründeten alternative Städter dort Wohngemeinschaften.

Dachgeschoss der ehemaligen Matrosenkaserne während der Sanierung.
Dachgeschoss der ehemaligen Matrosenkaserne während der Sanierung.

© Andreas Klaer

Linckersdorffs Lebenselexier ist die Freude an der Restaurierung. Im Wohnzimmer der Kapitänswohnung zeigt er auf ein Fries: „Sehen Sie hier, wie fein die Pinselstriche sind. Die Denkmalschützer waren begeistert.“ Wohnzimmer, Esszimmer, Schlafzimmer, Küche im Erdgeschoss auf 110 Quadratmetern, lichtdurchflutet und mit Blick auf den See. Hell auch die 100-Quadratmeter-Wohnung im Dachgeschoss, schöne Schrägen und auch dort neben der Fußbodenheizung einer dieser historischen Kachelöfen, die mit Holz befeuert werden. Die Matrosenkaserne beherbergt jetzt zwei Wohnungen auf zwei Etagen mit insgesamt 250 Quadratmetern Wohnfläche. Umwerfend ist die Atmosphäre in der offenen, etwa 200 Quadratmeter großen Wohnung im früheren Bootshaus.

Der historischer Kachelofen im Innenbereich wird mit Holz geheizt.
Der historischer Kachelofen im Innenbereich wird mit Holz geheizt.

© Andreas Klaer

Mit Zahlen geht es Linckersdorff so wie den meisten Menschen, wenn sie in glühende Sommerhitze geraten: Man hält sich bedeckt. Immerhin dementiert er nicht, dass eine Nettokaltmiete zwischen 20 und 30 Euro für die 1200 Quadratmeter Wohnfläche „erzielbar“ sein müsste. Das heißt: Sicher 2750 Euro für das Erdgeschoss in der Kapitänswohnung und 5000 Euro Kaltmiete für das Bootshaus. Schätzungen von Experten, die den Gesamtwert des Ensembles auf bis zu 20 Millionen Euro taxieren, hält er für überzogen: „Im oberen einstelligen Bereich, das liegt näher an der Wirklichkeit.“

"Ich habe alles riskiert"

Draußen, auf der Terrasse des wegen Corona geschlossenen Restaurants kommt Wind auf, trotz der Sonne ist es kalt. Hand aufs Herz: Ist er dem Glaubensgrundsatz der Betriebswirte gefolgt, nie das gesamte Vermögen zu riskieren? Linckersdorff schaut schweigend hinüber zur Sacrower Heilandskirche, dann sagt er: „Nein. Ich habe alles riskiert. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Nachbarn, die das Kongsnaes verhindern wollten, den Bau durch ihre Klagen fünf Jahre lang verhindern würden.“ Es war ein jahrelanger Schlagabtausch. Die Nachbarn, unter ihnen der TV-Moderator Johannes B. Kerner und der damalige „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, argwöhnten, dass Linckersdorff in der Ventehalle eine Großgastronomie und einen Biergarten betreiben wolle. Sie fürchteten die Apokalypse am See: Massenhafter Publikumsverkehr, vollgeparkte Straßen, Fahrgastschiffe an den Stegen, biertrunkenes Gejohle.

Linckersdorff bestritt, solche Pläne zu haben. Dennoch zog die Stadt die erste Baugenehmigung nach dem Protest der Anlieger zurück, mit seinem zweiten Antrag aber kam er durch. Festgelegt und von den Gerichten bestätigt wurden Öffnungszeiten für das Restaurant von 10 bis 23 Uhr, eine Begrenzung der Sitzplätze auf 92 im Innen- und 30 im Außenbereich.

Die rekonstruierte Ventehalle am Ufer des Jungfernsees.
Die rekonstruierte Ventehalle am Ufer des Jungfernsees.

© Andreas Klaer

Als ehrabschneidend empfand er, was am Rande des Streits über ihn verbreitet wurde. Ein unseriöser Investor, in Wahrheit nur ein kleiner Schmuckhändler, wolle sich da breitmachen. Einen Moment sann er auf subtile Rache. Linckersdorff ließ seine Anwälte prüfen, ob er seine Gegner im Vertrag mit dem Restaurantpächter mit einem Hausverbot belegen könne. Die Antwort der Juristen: Ja, das könne er. Aber er ging einen anderen Weg. „Ich wollte Frieden und habe dann keine Hausverbote ausgesprochen.“ Er verschweigt nicht, wie sehr es genoss, als einige der ehemaligen Feinde zu den ersten Gästen im Kongsnaes gehörten: „Sie haben ja nicht verhindern können, dass ich mir hier ein Denkmal gesetzt und einen Lebenstraum erfüllt habe.“

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Inzwischen scheinen die Kriegsparteien ihre Waffen eingeschmolzen zu haben. Götz von Kayser, ein Finanzdienstleister und damals Sprecher der Anwohner, bewertet das Ensemble „so, wie es sich jetzt präsentiert, als Gewinn für Potsdam“. Es sei „ansprechend und gelungen“, die Geräuschkulisse vor dem Lockdown nicht störend gewesen, die Maßnahmen der Stadt und des Pächters „wirksam“. Das Objekt sei nach Nutzung und Dimension „das Ergebnis unserer Interventionen“. Das, was jetzt entstanden sei, „hätte mit großer Sicherheit gar keinen Widerstand ausgelöst“.

Ins großbürgerliche Milieu hochgearbeitet

Als eines von fünf Kindern eines Stuttgarter Finanzbeamten und einer Lehrerin hat Linckersdorff sich aus dem bürgerlichen ins großbürgerliche Milieu hinaufgestrampelt. Er finanziert sein Studium mit dem Handel erlesener Uhren und etablierte in der Fasanenstraße am Ku’damm ein renommiertes Fachgeschäft für die Sammler wertvollster Chronographen. Seit 40 Jahren kauft er Armbanduhren von 1920 bis heute und Zeitmesser von Rolex, Patek Philippe, Breitling, Cartier und anderen Rolls Royce der Branche auf.

Als „größten Traum von allen“ bezeichnet Michael Linckersdorff die Rekonstruktion von Kongsnaes.
Als „größten Traum von allen“ bezeichnet Michael Linckersdorff die Rekonstruktion von Kongsnaes.

© Andreas Klaer

Da hat sich wohl sein „Hang zur Ästhetik“ (Linckersdorff) Raum verschafft – immerhin studiert er in Tübingen auch Kunstgeschichte, Kulturwissenschaften und Politologie. Exklusive Uhren verkörpern für ihn das Schöne. Ende der 1970er-Jahre beginnt er, damit zu handeln. Er fliegt nach Brasilien, Argentinien, Chile und Mexiko, nach Tokio, ins indische Kalkutta, nach San Francisco und New York. Überall stöbert er die Gelben Seiten nach Händlern durch und schlägt zu: Im pakistanischen Karachi eine Rolex und noch eine Patek Philippe, dann weiter nach Hongkong, Verkauf mit Tausenden Dollar Gewinn. Mitunter hat er Zehntausende Dollar im Gepäck. „Im Einkauf wurde nur Cash akzeptiert“, erzählt Linckersdorff. Bares für Rares eben.

Schleusensiedlung in Kleinmachnow

Von den Erlösen baut er sein zweites Standbein auf, den Erwerb von Immobilien. Er lässt historische Gebäude restaurieren und vermietet sie. 2011 entdeckt er die Schleusensiedlung von Kleinmachnow. Er entkernt und restauriert die denkmalgeschützten Häuser, vor denen Frachter gemächlich über den Teltowkanal gleiten. Vor Ort schätzt man ihn, weil er den schmalen Rad- und Fußweg dort von allen nutzen lässt. Gemeinde und Investor, heißt es aus dem Kleinmachnower Rathaus, arbeiteten „sehr gut zusammen“.

Zieht er eine Bilanz seines Lebens, macht er einen sehr zufriedenen Eindruck. Der Handel mit Zeitmessern ist ein lukratives Hobby, die Suche nach alten Immobilien Haupterwerb und Leidenschaft. Der Betriebswirt kann ausrechnen, dass die Investition in das Projekt Kongsnaes sich durch die Mieten zu seinen Lebzeiten nicht amortisieren wird. „Das ist völlig ausgeschlossen“, sagt Linckersdorff, „aber ich empfinde es als großes Privileg, dass ich mir etwas leisten kann, das keinen schnellen Profit bringt, sondern in Wahrheit Liebhaberei ist“.

Stiftung für die Tochter

Linckersdorff spricht nicht gern über Privates. Es ist schon viel, wenn er preisgibt, mit einer Ärztin verheiratet zu sein und eine 14-jährige Tochter mit ihr zu haben. Und dass er mit seiner Familie gern reist, ob in die Arktis oder nach Namibia. Wie wohl die meisten Väter ist er ein Fan seiner Tochter, und so erzählt er mit einer gewissen Bewunderung, dass sie sich „für Rosa Luxemburg begeistert und Marx und Engels liest“. Er versteht, dass sie es „gar nicht gut findet, was ich mit Immobilien mache“. Aber er ist froh, „dass sie sich dafür interessieren könnte, später einen Platz in der Stiftung einzunehmen“, die sich in Gründung befinde und in die er Immobilien, auch das Kongsnaes-Ensemble, einbringen wolle.

Am Ende des langen Gesprächs sieht Linckersdorff nachdenklich auf den See. Dann sagt er: „Ich habe das große Glück gehabt, mir meine Träume verwirklichen zu können. Und dies hier, das ist der größte von allen.“

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