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Tatort Schlaatz. Dort kommt es besonders häufig zu Übergriffen, selbst vor dem Flüchtlingsheim.

© A. Klaer

Alltagsrassismus in Potsdam: Mehr rechte Straftaten in der Landeshauptstadt

Bislang galt Potsdam beim Umgang mit Flüchtlingen landesweit als Vorbild. Dabei steigt auch hier die Zahl rechter Übergriffe auf Ausländer. Manche Vorfälle werden erst spät bekannt. Oder gar nicht.

Potsdam - Das sächsische Heidenau ist weit weg und Nauen liegt im Havelland? Potsdam lebt die Willkommenskultur für Flüchtlinge und hat kaum Probleme mit rechter Gewalt? Das stimmt so nicht ganz. Auch in Potsdam werden Flüchtlinge zunehmend angefeindet und attackiert. Wie Brandenburgs Innenministerium auf PNN-Anfrage mitteilte, stieg die Zahl rechter Straftaten in der Landeshauptstadt in diesem Jahr deutlich an.

Laut kriminalpolizeilichem Meldedienst gab es in den ersten acht Monaten des Jahres 60 rechtsmotivierte Straftaten. In sieben Fällen ging es um Gewaltdelikte wie etwa Körperverletzung. Im vergleichbaren Vorjahreszeitraum waren es nur 44 Vorfälle, darunter vier Gewaltdelikte. Als Straftaten werden dabei auch beispielsweise Hakenkreuzschmierereien oder Beleidigungen gewertet. Dies bedeute eine „deutlich warnehmbare Zunahme der Straftaten“, betonte Ministeriumssprecherin Susann Fischer.

Rassismus in vielen Köpfen vorhanden

Die rechtsextremistische Szene ist laut Fischer nicht unbedingt dafür verantwortlich zu machen. Zwar gab es in den vergangenen Jahren eine Gruppierung der Freien Kräfte in Potsdam (FKP). Vor allem ab 2009 war diese verstärkt durch öffentliche Aktionen wie die Verteilung von Flyern oder die Teilnahme an Demonstrationen und im Internet aufgefallen. Seit 2013 wurde es aber ruhig um die Gruppe. Dennoch existieren die FKP weiter: Nach gegenwärtigen Erkenntnissen geht der Verfassungsschutz von einem Mobilisierungspotenzial in der Region von 35 bis 40 Personen aus.

Der Potsdamer siehe Interview).

Kapitän von "Welcome United" hat schlechte Erfahrungen gemacht

Für dieses Jahr listet der Verein vier Vorfälle auf, in denen in Potsdam rechte Gewalt gegen Asylbewerber ausgeübt wurde. Im Juni wurde demnach eine syrische Frau mit ihren vier Kindern beleidigt und mit dem Tode bedroht. Eine mutige Zeugen stellte sich dazwischen – und bekam selbst einen Schlag ins Genick. Bevor der Täter flüchtete, drohte er den Kindern und der Familie noch mit einer Schreckschusswaffe. Die Polizei nahm den Mann wenig später fest.

Auch der Kapitän des Babelsberger Flüchtlingsteams „Welcome United 03“, Abdihafid Ahmed, sammelte schon schlechte Erfahrungen. So werde er öfters abschätzig angeschaut, wenn er im Supermarkt einkaufe, im Bus sitze oder jemanden nach dem Weg frage, sagte er am Mittwoch dem ZDF-Morgenmagazin.

Betroffene verzichten auf Anzeigen

Teilweise werden die Ereignisse auch gar nicht bekannt, aus welchen Gründen auch immer. So bewarf etwa ein Rechtsextremer im Januar einen 28-jährigen Senegalesen mit einem Silvesterböller. Die Polizei teilte den Vorfall nicht mit. Brügmann erklärt sich das damit, dass die Betroffenen auf eine Anzeige häufig verzichten – aus Angst vor Nachteilen.

Dass es sich dabei nicht um Kleinigkeiten handelt, sondern auch lebensbedrohliche Situationen entstehen können, zeigt ein Fall aus dem vergangenen Monat.

Attacke vor dem Flüchtlingsunterkunft Am Schlaatz

Im August wurden laut Opferperspektive eine kenianische Frau und ihr Begleiter beim Aufschließen der Haustür zu ihrer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus von Nachbarn beschimpft und aufgefordert, in ihr Heimatland zurückzukehren. Einer der Männer drohte sogar mit einem Küchenmesser, ein anderer zückte ein Springmesser. Zuvor war die Frau nachts in ihren eigenen vier Wänden von Unbekannten zu Boden geschlagen und getreten worden. Die Polizei ermittle hierzu, hieß es auf PNN-Anfrage.

Und ausgerechnet vor dem Flüchtlingsheim an der Alten Zauche Am Schlaatz wurde am 14. Mai ein somalischer Asylbewerber attackiert und geschlagen. Das Opfer floh in die Unterkunft, mehrere Angreifer rannten hinterher und schlugen unter anderem mit einem Schraubenschlüssel auf ihn ein. Laut Opferperspektive griff der anwesende Wachschutz nicht ein. Der Betroffene konnte sich leicht verletzt in das Gebäude flüchten.

Wachpersonal schätzte die Situation falsch ein

Das Opfer habe zunächst keine Anzeige erstattet, sagte Brügmann. Ein Polizeisprecher bestätigte den Fall, wollte aber wegen des laufenden Verfahren zum Verdacht der gefährlichen Körperverletzung keine weiteren Auskünfte geben. Grundsätzlich könne die Polizei nur einen Querschnitt des Einsatzgeschehens berichten. Es sei nicht möglich, jeden Sachverhalt zu vermelden. „Dies ist auch presserechtlich nicht geboten.“

Auch das Diakonische Werk bestätigte den Vorfall. Es habe ein internes Gespräch gegeben, an dem auch der Wachschutz teilgenommen habe, sagte Sprecherin Heidrun Spengler. Offenbar habe das Wachpersonal die Situation aus Unerfahrenheit falsch eingeschätzt. Der Mitarbeiter habe nicht die „zwingende Notwendigkeit“ gesehen, die Polizei zu alarmieren. Er arbeite nicht mehr in der Einrichtung, betonte Spengler.

Hohe Dunkelziffer

Laut Brügmann von der Opferperspektive werden viele Fälle von Gewalt nicht bekannt, da die Flüchtlinge häufig den Kontakt mit der Polizei vermeiden. Sie verwies auf mögliche schlechte Erfahrungen in ihren Heimatländern. Die Dunkelziffer ist hoch, soviel ist klar.

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Stefan Engelbrecht

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