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Die App kann von jeder volljährigen Person kostenlos genutzt werden, die über Erste-Hilfe-Kenntnisse verfügt. 

© Ottmar Winter

Alarmierungssystem für Potsdam: Leben retten dank Smartphone-Alarm

Mit der App „Katretter“ werden Ersthelfer vor Eintreffen des Rettungsdienstes zur Reanimation gerufen. Die Anwendung steht ab dem 1. Juli bereit.

Potsdam - Eine solche Situation ist niemandem zu wünschen: Beim Waldspaziergang entdeckt man plötzlich eine leblose Person, die nicht mehr zu atmen scheint. Man ruft den Rettungsdienst – aber was tun, bis er da ist? Eigentlich müsste man eine Herz-Druck-Massage beginnen, damit der Mensch bis zum Eintreffen von Notarzt oder Feuerwehr überlebt, doch viele wissen entweder nicht, wie das geht, oder sind mit der Situation überfordert.

Damit auch in solchen Fällen schnell Leben gerettet werden, gibt es seit Herbst 2020 in Berlin die Smartphone-App „Katretter“ („Kat“ steht für „Katastrophe“) – ab dem 1. Juli wird es sie auch in Potsdam geben: Wer sie als Laien-Ersthelfer:in installiert hat und sich gerade weniger als 800 Meter entfernt von einer Notfallstelle befindet, wird von der Rettungsstelle benachrichtigt, nachdem dort der Notfall gemeldet wurde. 

Keine Pflicht, den Fall anzunehmen

Anschließend hat man 30 Sekunden Zeit, den Fall anzunehmen oder abzulehnen – es gibt keine Pflicht, den Fall anzunehmen. Wer ihn annimmt, bekommt genauere Informationen zum Standort der leblosen Person und erreicht sie dann möglicherweise schneller als der Rettungsdienst. Auch der Standort von elektrischen Defibrillatoren wird von der App angezeigt.

„Pro Jahr sterben circa 66.000 Menschen in Deutschland an einem plötzlichen Herztod“, sagt Michael Naitha, ärztlicher Leiter des Potsdamer Rettungsdienstes. Das entspreche etwa 145 Menschen in der Landeshauptstadt, von denen ein Drittel jünger als 65 Jahre seien, sagt der Diplom-Mediziner. In 80 Prozent der Fälle ist die Ursache dafür ein plötzlicher Herzinfarkt, der zum Herzstillstand führen kann. 

Michael Naitha, ärztlicher Leiter.
Michael Naitha, ärztlicher Leiter.

© Ottmar Winter

Schon nach drei Minuten kann es aufgrund der Unterversorgung mit Sauerstoff zu Hirnschäden kommen, die nach etwa acht Minuten zum Hirntod führen. „Ohne schnelle Hilfe verringert sich die Überlebenschance mit jeder Minute um etwa zehn Prozent“, sagt Naitha. „Dabei sind oft Menschen in räumlicher Nähe, die mit Maßnahmen der Wiederbelebung vertraut sind, aber von dem lebensbedrohlichen Notfall keine Kenntnis haben.“

Zahl der Reanimationen durch Laien steigern

Tatsächlich wird derzeit in etwa 34 Prozent dieser Fälle eine Reanimation durch Laien begonnen, bevor der Rettungsdienst eintrifft. Um diese Zahl zu steigern, führt die Regionalleitstelle Nordwest der Feuerwehr Potsdam das digitale Ersthelfersystem nun ein. Installieren kann sie jede volljährige Person, die über Erste Hilfe-Kenntnisse verfügt. 

Wer also bei der Feuerwehr, bei der Polizei oder in einer ärztlichen Einrichtung arbeitet, kann sofort zum „Katretter“ werden, alle anderen Interessierten müssen einen Erste Hilfe-Kurs bei der Feuerwehr machen. In Berlin dürfen alle, die sich zutrauen, Ersthelfer:in zu sein, die App installieren. „Wir haben uns dagegen entschieden“, sagt Naitha. Man lege Wert auf gewisse Grundkenntnisse.

Entwickelt wurde das System im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojektes des Bundesministeriums für Bildung durch das Fraunhofer-Institut Fokus, die CombiRisk GmbH und die Berliner Feuerwehr. In Berlin haben sich seit Einführung der „Katretter“-App im Herbst 2020 bereits 4500 Personen registriert und 3200 Notfälle als Ersthelfer:innen angenommen, in einem Drittel der Fälle kamen sie auch bei der Reanimation zum Einsatz. 

App in Potsdam seit Mitte Mai in der Pilotphase

In Potsdam befindet sich die App seit Mitte Mai in einer Pilotphase, an der nur Mitarbeiter:innen der Feuerwehr teilgenommen haben, seitdem haben sich 40 Personen die App installiert, die zu bislang 24 Einsätzen gerufen wurden. Damit mehr Potsdamer:innen „Katretter“ nutzen, will die Feuerwehr nun auf verschiedene Einrichtungen wie das DRK, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und andere Hilfsorganisationen zugehen, um für die App zu werben, sagt Rainer Schulz, Bereichsleiter Gefahrenabwehr der Feuerwehr Potsdam.

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„Das System soll den Rettungsdienst nicht ersetzen, sondern nur ergänzen“, sagt Schulz. Gesetzlich ist der Rettungsdienst verpflichtet, innerhalb von maximal 15 Minuten am Einsatzort zu sein, dies werde auch in 95 Prozent der Fälle eingehalten, sagt Schulz. „Meist sind wir in neun bis zehn Minuten da.“ Innerhalb der Stadt seien Rettungsdienst und Laienhelfer oft zeitgleich am Notfallort, das eigentliche Problem seien Notfälle auf dem Land: Hier alarmiert die App auch Ersthelfer:innen im Umkreis von drei Kilometern. Nach Möglichkeit sollte der Ort allerdings innerhalb von drei bis fünf Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein.

Keine Angst haben, etwas falsch zu machen

Wer eine Reanimation einleitet, sollte keine Angst haben, etwas falsch zu machen, sagt Naitha, gefährlich wäre nur, nichts zu tun. Außerdem sind die Ersthelfer:innen durch die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert. „Natürlich werden die Nutzer der App nicht zu allen Einsätzen gerufen, etwa in Fällen von Suizid, schweren Autounfällen oder wenn eine Corona-Erkrankung vorliegt“, sagt Schulz.

„Katretter“ wird bereits in mehreren Bundesländern, Kreisen und Städten genutzt, neben Berlin und Potsdam etwa auch in der Lausitz. Viele andere Länder und Kommunen nutzen die App „Mobile Retter“, die es seit 2013 gibt. Auch Potsdam hatte ursprünglich geplant, diese App zu nutzen, entschied sich jedoch dagegen. Denn bei "Mobile Retter" sei die "Kostenentwicklung nicht mehr absehbar“, sagt Naitha. „Katretter“ sei dagegen für alle Nutzer:innen kostenfrei.

Der gemeinnützige Verein Mobile Retter e.V. wies diese Darstellung allerdings in Reaktion auf die PNN-Berichterstattung zurück. Den Nutzer:innen, also den ehrenamtlichen Ersthelfern, würden mit Mobile Retter keinerlei Kosten entstehen. Genau wie "Katretter" verlange Mobile Retter e.V. von den Gebietskörperschaften, für die man tätig sei, ein Leistungsentgelt. Dies sei "eindeutig definiert", man zeige den Regionen auch "transparent auf", welche weiteren Kosten für die Einführung und den Regelbetrieb eingeplant werden sollten, so der Leiter Operatives Dennis Brüntje. Er wies zudem darauf hin, dass Fraunhofer Fokus mit "Katretter" als Technologieanbieter auftrete. Das tue der Mobile Retter e.V. nicht; das Mobile-Retter-System allerdings werde "unabhängig vom Verein" von der Firma medgineering GmbH vertrieben.

Hinweis der Redaktion: Nach Hinweisen von Mobile Retter e.V. haben wir den letzten Absatz des Beitrags am 1.7.2021 ergänzt und leicht verändert.

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