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Thair Abud wandert durch bis nach Südafrika. Gerade ist er in Potsdam

© Andreas Klaer

Aktion für Krebskranke: Thair Abud wandert vom Nordkap bis nach Südafrika

Thair Abud wandert vom Nordkap bis nach Südafrika und sammelt für die Krebshilfe. Eine Begegnung in Potsdam.

Potsdam - Thair Abud erzählt seine eigene Geschichte wie ein Märchen. Der 53-Jährige schaut seinen Gegenüber direkt an, berichtet bildreich, in fast literarischem Deutsch mit österreichischem Akzent. Er erzählt von jener Aprilnacht in Norwegen, als nach mehr als 30 Kilometern Fußmarsch nach dem Ortsschild kein einziges Haus zu sehen war und er im Schnee kaum einen Platz für sein Zelt fand. Wie er nach einer weiteren Nacht in der Kälte von einem Autofahrer geschnappt und ins Hotel gebracht wurde mit den Worten: „Komm mit, sonst stirbst du.“ Und er dann nach eineinhalb Stunden heißer Dusche und zehn Omeletts merkte, dass der Mann recht gehabt hatte – und ihn gerettet hatte. Ihm selbst sei die Kälte nicht so bedrohlich vorgekommen.

Wandern als Jungbrunnen

Abud ist ein Wanderer. Der 53-Jährige läuft seit sieben Monaten, es sollen viele weitere folgen. Gestartet ist er am Nordkap im äußersten Norden Norwegens. Er will bis zum Kap Agulhas im äußersten Süden von Südafrika. 26 000 Kilometer, drei Jahre lang will Abud wandern. „Gehen ist der Jungbrunnen, den ich gesucht habe“, sagt Abud. „Die Natur öffnet den Geist, macht mich gesund – und ich lerne so viele gute Menschen kennen.“ Er sitzt in Potsdam vor einer Tasse Espresso in der Sonne. Die 4000 Kilometer-Marke hat er am Vortag überschritten, die Nacht in Berlin verbracht, nun ist die Brandenburgische Landeshauptstadt dran. Er war noch nie in der Stadt, zeigt begeistert auf Nikolaikirche und Stadtschloss. Nur die „neue deutsche Schuhschachtelarchitektur“ der Wohngebiete mag er nicht. 

Die Schwester erkrankte - und gab sich auf

Thair Abud ist Österreicher. Er ist in Duisburg geboren, hat eine deutsche Mutter und einen irakischen Vater. Er wuchs im Irak auf und zog mit 14 Jahren nach Graz. Abud studierte Bauingenieurwesen, heiratete, bekam zwei Söhne, ließ sich später scheiden, arbeitete jahrelang auf Managerebene für eine Firma, die Wassertanks herstellt. Doch dann, so erzählt er es, habe ihn im Jahr 2013 seine Schwester angerufen: Sie hatte Brustkrebs. Es folgte die Chemotherapie, die Haare fielen aus, das Gesicht wurde rund, sie begann, sich aufzugeben.  „Ich musste etwas tun“, erklärt Abud. Also beschloss er, den Jakobsweg zu gehen – „der war gut beschrieben, es gab Herbergen“ – um seine Schwester gedanklich mitzunehmen auf die Wanderschaft und aus dem Sog zu ziehen. „Es war nicht der Krebs, der sie umbrachte, es waren die Gedanken.“ Also zog er los, erzählte ihr jeden Abend am Telefon eine Geschichte von seinem Tag – wie die Tradition der arabischen Geschichtenerzähler aus seiner Kindheit. 102 Tage lief er, von Graz bis Santiago de Compostela. Dabei sei er vorher nie sportlich gewesen. „Es war hart“, erinnert sich Abud. „Ich hatte Albträume vor lauter Schmerzen.“ Eines Tages hatte er einen Berg hinter sich, einen zweiten vor sich, Wut und Frust im Bauch. „Ich habe mit dem Finger auf den Berg gezeigt und ihm gesagt, du, Alter, wenn ich gesund bis Santiago komme und meine Schwester durchkommt, dann laufe ich nach Mekka“, sagt er. 

Die zweite Wanderung führte nach Mekka

Das Versprechen hielt er: Seine zweite große Wanderung führte von Graz bis zur heiligen Stätte der Muslime in Saudi-Arabien. Solange ließ er den Job ruhen. „Als ich zurückkam, war alles anders“, sagt er. Seine Freundin trennte sich von ihm. „Ich glaubte nicht mehr an die gleichen Dinge, Geld wurde zweit- oder drittrangig“, erklärt Abud. Nach drei Tagen im alten Job kündigte er. „Es ging nicht mehr, dieses Hamsterrad.“ 
Er fing an, in der Flüchtlingshilfe zu übersetzen. Irgendwann reifte der Plan, wieder loszuziehen. „Ich wollte mich nicht mehr im Kreis drehen, sondern vorwärts kommen, jeden Tag ein Ziel erreichen.“ Die Route habe er beinahe spontan entschieden, mit einer Landkarte. Wo er hinkommt, klopft er bei Leuten, fragt nach einem Platz für sein Zelt. „Alle haben bisher aufgemacht“, sagt er, viele hätten ihn eingeladen, ihm ein Zimmer, Essen oder eine Dusche angeboten. Mit vielen spricht er über krebskranke Angehörige, denen er Trost geben will.
Seine Wanderung teilt er per Facebook mit Fotos von sich selbst. Er hat ein Art Pilgerpass gebastelt, für Stempel der Etappen. Seine T-Shirts bedruckt er mit Abdrücken von Kanaldeckeln und versteigert sie dann. Für 50 Euro können Unterstützer einen Reisetag kaufen, ein Teil geht an die Krebshilfe des jeweiligen Landes, der Rest finanziert zusammen mit Erspartem die Reise – und der Sponsor bekommt eine Ansichtskarte. „Ich laufe gegen Krebs“, sagt Abud. Und für seine eigene Freiheit. 

In einem selbst gebastelten Pilgerpass sammelt Thair Abud Stempel und Aufkleber von der Reise
In einem selbst gebastelten Pilgerpass sammelt Thair Abud Stempel und Aufkleber von der Reise

© Sandra Calvez

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