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Viele der jungen Artisten aus der Ukraine wollen den Zirkus später zum Beruf machen. 

©  Andreas Klaer

Akrobatik und Bürokratie: Ukrainische Kinder üben im Potsdamer Zirkus Montelino

Junge Artisten aus der Ukraine zeigen im Bornstedter Feld ihr Können. Sorgen bereitet der Aufenthaltsstatus.

Potsdam - Die Schwerkraft scheint im Zirkus Montelino allenfalls eingeschränkt zu wirken. Irgendetwas lässt die drei Hula-Hoop-Reifen scheinbar schwerelos um Anyas Oberkörper kreisen, während sie beiläufig auf ein Einrad steigt, als wäre es das Normalste überhaupt und darauf balanciert. Später kommen sogar noch mehr Reifen dazu. Das Kunststück ist Teil ihrer Nummer, die sie am heutigen Samstag um Zirkus Montelino zeigt.

Dass Anya so gut ist, liegt daran, dass sie in ihrer Heimatstadt Kiew jetzt eigentlich das vierte Jahr an der Zirkusakademie besuchen würden. Doch wegen Russlands Angriff auf die Ukraine musste die 18-Jährige fliehen. 24 Stunden ging es mit dem Bus nach Polen, nach einer Pause dann weiter nach Deutschland. Seit April ist sie in Potsdam. Ungefähr zwei Monate sind es nun. Eine Familie habe sie bei sich aufgenommen. „Nicht weit von hier. 15 Minuten mit dem Fahrrad“, sagt sie. So kann sie täglich sechs Stunden trainieren. Das ist wichtig für sie, denn die Artistik soll ihr Beruf werden.

21 Artistinnen aus der Ukraine machen mit

Anya ist eine von 21 jungen Artistinnen aus der Ukraine, die im Zirkus Montelino untergekommen sind. Am Samstag zeigten die acht- bis 21-Jährigen insgesamt 18 verschiedene Nummern in einem speziellen Programm. „Unsere Gäste aus der Ukraine zeigen zusammen mit den Jugendlichen vom Circus Montelino verschiedene Darbietungen“, hieß es auf der Webseite des Zirkus. Von Akrobatik bis Magie sei viel dabei, um sich verzaubern zu lassen. Die Show war ausgebucht.

Mit Müttern, Geschwistern und Großmüttern sei der Zirkusnachwuchs nach Potsdam gekommen, erzählt Geschäftsführer Bileam Tröger. Der Anstoß sei von seiner Tochter gekommen. Als sie im Radio von flüchtenden Kindern hörte, habe sie gefragt: „Du hilfst denen doch, Papa?“ Kurze Zeit später sei Darya mit ihrer Mutter bei ihm eingezogen.

Geschäftsführer Bileam Tröger.
Geschäftsführer Bileam Tröger.

© Andreas Klaer

Beim Training am Freitag schwingt sich die 13-Jährige durch einen Ring, der in der Mitte der Manege hängt. Die Bewegungen wirken exakt und dennoch spielend leicht. Auch sie träumt davon, später professionell im Zirkus zu arbeiten. Wie Anya kommt sie aus Kiew, aus dem Stadtteil Pechersk, dort wo die berühmten Höhlenklöster stehen und das Präsidialamt. In Potsdam geht sie wie einige andere aus der Gruppe inzwischen zur Schule, in die Willkommensklasse am Helmholtzgymnasium.

Deutschkurse im Montelino

Mitte März hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik einen Facebookpost der staatlichen Artistenschule aus Kiew geteilt. Darin wurde Hilfe und Unterbringung für die dort trainierenden Kinder und Jugendlichen gesucht. So sei man in Kontakt gekommen, erzählt Tröger. Später sei noch eine zweite, private Artistenschule dazugekommen, von der inzwischen die meisten der in Potsdam trainierenden Artisten kommen. Regelmäßig melde sich Schulleiter Oleg per Telegram Messenger mit Aufgaben für seine Schützlinge.

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In Potsdam habe man über Schulverteiler nach Unterbringungsmöglichkeiten gesucht – mit Erfolg. Inzwischen finden dreimal in der Woche Deutschkurse im Montelino statt. Man helfe bei Behördengängen und bei der Beschaffung von Requisiten. Wichtig sei zunächst, dass alle weiter trainieren können, so Tröger. Die Vision dabei ist ein gemeinsames Programm mit den deutschen Zirkustalenten. Einfach sei das nicht, denn es seien völlig unterschiedliche Zirkuswelten. In der Ukraine werde sehr leistungsorientiert gearbeitet. Technisch sei das Niveau sehr hoch und alles sehr professionell. Hierzulande orientiere man sich eher daran, eine Geschichte zu erzählen.

Viele haben noch keine vollständigen Aufenthaltspapiere

Problemlos ist das Ankommen in Potsdam für die Geflüchteten dennoch nicht. Neben der Sorge um die Angehörigen in der Ukraine ist da auch noch die deutsche Bürokratie. Denn zwar sind alle Kinder, Jugendlichen und ihre Familien in Potsdam registriert, vollständige Aufenthaltspapiere haben viele dennoch noch nicht, so Tröger. Die nötige Zuweisung durch die zentrale Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt fehle noch immer. Dabei gehörten viele der Betroffenen zu den ersten, die überhaupt registriert wurden. „Damals gab es noch gar keine Formulare“, erinnert sich Tröger.

Manche Artistinnen üben bis zu sechs Stunden täglich. Im Potsdamer Zirkus Montelino können sie weiter trainieren.
Manche Artistinnen üben bis zu sechs Stunden täglich. Im Potsdamer Zirkus Montelino können sie weiter trainieren.

© Andreas Klaer,PNN,Tsp

Die Papiere seien aber wichtig, unter anderem, weil seit Anfang Juni das Jobcenter für die Geflüchteten aus der Ukraine zuständig ist. Von der Potsdamer Ausländerbehörde habe man in der Sache noch keine hilfreichen Auskünfte bekommen. „Da hört man nur, wir sollen abwarten“, sagt er. Inzwischen habe man an die Sozialbeigeordnete Brigitte Meier (SPD) und die Kulturbeigeordnete Noosha Aubel (parteilos) geschrieben. Bisher gebe es noch keine Antwort.

In der Nummer von Heorhij verschwinden manche Dinge wie von Geisterhand. Dafür verwandelt sich dann auch mal ein Tuch in einen Zauberstab. Dabei tanzt er im Takt der Musik hin und her und zeigt große Gesten zu professionellem Lächeln. Die Kunst des 17-Jährigen ist die Magie. Er lernt eigentlich im zweiten Jahr an der Zirkusakademie. Doch nachdem der Krieg begann, fuhr er allein mit dem Zug nach Deutschland. Auch er will den Zirkus zum Beruf machen. „Mein Hobby ist Jonglieren“, sagte er.

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