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Ärztehaus in Babelsberg: Von Erben und Ärzten

Hartmut Kulka saniert das Gebäude seiner Babelsberger Linden-Apotheke. Dort soll ein Ärztehaus entstehen.

Potsdam/Babelsberg - Als Hartmut Kulka auf dem Gehweg vor seiner Linden-Apotheke bröckelnden Putz fand, wusste er noch nicht, dass das der Beginn eines langen und verschlungenen Weges sein sollte. Er führte den Apotheker bis in die Wirren eines jüdischen Stammbaums, dessen Verästelungen bis nach Australien, in die USA und nach Großbritannien reichen. Am Ende des Weges soll ein Ärztehaus in der Rudolf-Breitscheid-Straße 25 entstehen. Bis Jahresende will Kulka das Gebäude inklusive Nachbarhaus für knapp drei Millionen Euro sanieren, denkmalgerecht mit Stuck und Balkonen. Bis unters Dach kommen Arztpraxen, im Nebenhaus werden Wohnungen entstehen.

Kulka führt die Apotheke in dem markanten Eckhaus gegenüber des historischen Rathauses Babelsberg seit 2004. Wenige Jahre nach seinem Einzug entdeckte er erstmals herabfallende Teile auf dem Bürgersteig. Gespräche mit der Hausverwaltung zeigten jedoch: Die Eigentumsverhältnisse des 1906 errichteten Gebäudes sind höchst komplex. Es gehört einer jüdischen Erbengemeinschaft. Es ist eine weitverzweigte Familie, viele emigrierten im Nationalsozialismus und sind seither in alle Winde verstreut. Das aber machte größere Investitionen – das Dach war marode, Regenwasser lief ins Gebäude und im Gebälk hatte sich Schwamm gebildet – kompliziert bis unmöglich.

„Ich habe nachts in Datenbanken in Los Angeles recherchiert“

Mieteinnahmen gab es kaum, außer Kulka mit seiner Apotheke im Erdgeschoss ist seit 2006 das erste Stock an eine Arztpraxis vermietet, einige Jahre später zog eine Diabetespraxis ins zweite Geschoss. Die beiden obersten Etagen standen jahrelang leer. Im dazu gehörenden, ebenfalls unsanierten Nebengebäude um die Ecke in der Karl-Liebknecht-Straße waren zwar einige Wohnungen vermietet, aber für eine größere Sanierung reichten die Einnahmen nicht. „Aus der Not heraus habe ich dann überlegt, das Haus selbst zu kaufen“, erzählt Kulka in seinem kleinen Büro hinter der Apotheke.

Also fing er 2012 an, alle Erben einzeln anzuschreiben – denn einen Kaufvertrag musste jeder von ihnen unterschreiben. Nach den Briefen folgten Mailaustausch und Telefonate, manche reagierten nicht. Andere waren mittlerweile verstorben und hatten ihre Anteile weitervererbt. Einige waren untereinander zerstritten oder hatten keinen Kontakt mehr. Oder sie verschwiegen Geschwister, die er nur mit hartnäckiger Recherche ausfindig machte. „Ich habe nachts in Datenbanken in Los Angeles recherchiert“, erinnert sich der 56-jährige Kulka. Denn tagsüber musste er sich ja um die beiden Apotheken kümmern – neben der Linden-Apotheke gehört ihm auch die Känguru-Apotheke in der Geschwister-Scholl-Straße.

Verschnörkelte Stuckgirlanden und kleine Balkone statt grauer Putz

Also blieb dem Familienvater nur die Nacht, in der er stundenlang Mails auf Englisch verfasste. Fünf Jahre lang, bis sogar der Familienfrieden unter der zeitaufwendigen Recherche litt. Doch Anfang 2017 war der Kaufvertrag tatsächlich von allen knapp 20 Erben unterschrieben. Wie viel er gezahlt hat, will Kulka nicht verraten, lieber spricht er über seine Pläne.

Denn die Sanierung ist bereits in vollem Gange, mit hoher Eigeninvestition und 200 000 Euro Fördermitteln aus dem städtebaulichen Denkmalschutz. Nicht ganz alltäglich ist dabei für Architektin Katja Melan von der Firma 3PO die Fassade in der Karl-Liebknecht-Straße. „Um die historische Fassade zu rekonstruieren, hatten wir nur ein einziges verzerrtes Foto“, berichtet sie. Die Postkarte aus der Vorkriegszeit zeigt dort, wo seit vielen Jahren nur glatter grauer Putz war, verschnörkelte Stuckgirlanden und kleine Balkone. Melan vermutet, dass die Elemente im Zweiten Weltkrieg so beschädigt wurden, dass sie in der DDR-Zeit abgeklopft wurden und statt dessen die schmucklose Fassade entstand. Unübersehbar sind derzeit die beiden benachbarten Gebäude vollständig eingerüstet. Von außen nicht sichtbar: Über dem vollkommen maroden Dach ist nun ein Überdach aus Aluminiumplatten angebracht. So soll auch bei schlechtem Wetter gearbeitet werden – und die Sanierung, so hofft Kulka, bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Das Ärztehaus im Strahleninstitut stand im vergangenen Jahr auf der Kippe

Wer unter dem Schutzdach im obersten Stock des Hauses steht, blickt auf ein Gerippe aus alten Holzbalken. Die Ziegel sind alle entfernt, neue Solardachziegel sollen aufgebracht werden. Durch die Planen scheint die Sonne auf das Holz. Hier soll die Praxis der Allgemeinärzte Wüllenkemper und Radtke entstehen, die derzeit noch im ehemaligen Strahleninstitut in der Kopernikusstraße ihren Sitz haben. Im Stockwerk darunter kommt die Urologiepraxis Dietrich, ebenfalls aus dem Ärztehaus im Strahleninstitut.

Für Ärztin Kirsten Radtke kam das Angebot von Kulka zur richtigen Zeit: Das Ärztehaus im Strahleninstitut stand im vergangenen Jahr auf der Kippe, nachdem die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) das denkmalgeschützte Gebäude an ein Hamburger Immobilienunternehmen verkauft hat. „Durch diese Unsicherheit haben wir uns nach etwas Neuem umgeschaut“, sagt Radtke. Der neue Standort über der Linden-Apotheke sei zentral, gut erreichbar und erkennbar, nicht zu weit von der aktuellen Praxis entfernt und noch dazu mit einem Aufzug ausgestattet.

Inzwischen wurde zwar das Strahleninstitut erneut verkauft, an das Potsdam Architektenehepaar Marianne und Stefan Ludes. Die angesiedelten Ärzte sollen bleiben können. „Aber wir haben den Vertrag schon unterschrieben“, so Radtke. Die Holzbalken und die Schrägen unter dem Dach wertet sie zwar als Herausforderung, „aber auch als Möglichkeit, der Praxis in der Gestaltung Charme und Wärme zu geben, so dass sie nicht so steril wirkt und die Patienten sich wohl fühlen“.

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