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Landeshauptstadt: Abschiedstränen und ein Wutausbruch der Kaiserin

Hohenzollern-Experte Jörg Kirschstein sprach bei einem Vortrag im HBPG über die letzten Tage Wilhelms II. und seiner Frau Auguste Viktoria im Neuen Palais

Im Herbst 1918 bemüht sich die Kaiserin Auguste Viktoria, alles Negative von ihrem Mann fernzuhalten. Jede schlechte Nachricht könnte ihren Gatten Kaiser Wilhelm II. noch tiefer in seine Lebenskrise treiben. Er ist am Tiefpunkt, raucht schachtelweise Zigaretten, wird dabei beobachtet, wie er weinend vor seinem Kamin zusammenbricht. Das Ende des Ersten Weltkriegs wird auch das Ende seiner Herrschaft bedeuten – das will der Kaiser nicht wahrhaben, aber er spürt es dennoch. In wenigen Wochen wird mit dem Kaiserpaar auch das Leben aus dem Neuen Palais ausziehen. Damit endete das Deutsche Kaiserreich, es ist die Geburtsstunde der Weimarer Republik.

Um diese letzten Wochen und Tage des Kaiserpaars im Neuen Palais ging es am Donnerstagabend bei einem Vortrag des Historikers, Hohenzollern-Experten und Kastellans von Schloss Babelsberg, Jörg Kirschstein, den die Volkshochschule gemeinsam mit dem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) organisiert hat. Im Mittelpunkt von Kirschsteins Vortrag stand nicht nur die Historie selbst, sondern vor allem das Schicksal zweier Personen im Neuen Palais: Kaiser Wilhelm II. und seine erste Frau Auguste Viktoria.

Im Herbst 1918 zeichnet sich das Ende des Ersten Weltkrieges ab. Es ist spürbar, dass die traditionellen Vorstellungen von Wilhelm II. nicht mehr mit den Bedürfnissen des Volkes vereinbar sind. Die Deutschen sind kriegsmüde, wollen nicht in aussichtslose Schlachten geschickt werden. Die Kieler Matrosen meutern schließlich und lösen damit die Novemberrevolution 1918 aus. Kaiser Wilhelm II. dankt ab und ermöglicht damit das Entstehen einer parlamentarischen Demokratie.

Dass hinter historischen Vorgängen wie diesem mehr steckt, als die meisten Geschichtsbücher preisgeben, wird in Kirschsteins Vortrag deutlich. Kaiserin Auguste Viktoria bricht in Tränen aus, als sie von der Abdankung erfährt. Schon vorher staucht sie Reichskanzler Max von Baden am Telefon so sehr zusammen, dass dieser zusammenbricht und von einem Arzt mit Opium behandelt werden muss. Max von Baden befindet sich daraufhin 36 Stunden lang in einem komatösen Zustand – während die Kieler Matrosen meutern und die Novemberrevolution ihren Lauf nimmt.

Wilhelm II. ist da längst nicht mehr in Potsdam. Bereits Ende Oktober 1918 setzt sich der Monarch ins Ausland ab, zunächst ins belgische Spa, wo sich das Hauptquartier der kaiserlichen Truppen befand, später nach Doorn in die Niederlande. Dass ihm dort Exil gewährt wird, hat er vor allem einer mitleidigen Königin Wilhelmina zu verdanken. Diese ist bewegt von dem Hass, der dem Kaiser entgegenschlägt und kann ihm schließlich unter Zustimmung des niederländischen Ministerrats aufnehmen. Im Schloss Doorn wird er bis zu seinem Tod im Jahr 1941 leben.

Seine Frau Auguste Viktoria befindet sich noch einen quälenden Monat länger am Neuen Palais. Man befürchtet weitere Unruhen in Potsdam, es gibt bereits Pläne, wie die Kaiserin evakuiert werden und durch unterirdische Gänge aus dem Schloss fliehen soll – zu dieser Eskalation kommt es jedoch nicht. Ihr Alltag in dieser Zeit ist in Tagebüchern haarklein festgehalten: Am 13. November 1918 macht sie erstmals wieder einen kleinen Spaziergang durch den Park, am Tag darauf entschließt sie sich erneut dazu, wählt aber eine andere Route. Sie will ihrem Mann schnellstmöglich in die Niederlande folgen, dafür müssen aber strikte Vorkehrungen getroffen werden.

Am 26. November verlebt Auguste Victoria schließlich ihren letzten Tag in Potsdam, bereits fünf Tage zuvor muss sie das Neue Palais aus Sicherheitsgründen verlassen. Der dortige Abschied klingt wie eine Szene aus einem Hollywoodfilm: Sie geht noch ein letztes Mal zu ihren geliebten Pferden, verabschiedet sich von jedem einzelnen Diener am Hof und geht noch eine Runde durch die leeren Räume des Schlosses.

Den Sonderzug in die Niederlande besteigt sie im Bahnhof Park Sanssouci, der damals noch Wildpark heißt. Die Fahrt verläuft unter strengster Geheimhaltung. Große Stationen werden zur Sicherheit nicht angefahren, die Route verläuft über Magdeburg und Münster. Am Zug prangt zur Tarnung die rote Fahne.

Heute lässt sich nur schwer nachfühlen, welche Anspannung vor 100 Jahren am Neuen Palais geherrscht haben muss. Dort, wo jetzt Touristen durch den Museumsshop schlendern, herrschte damals höchste Alarmbereitschaft im Wachgebäude. Kaum ein Spaziergänger im Park wird erahnen, dass er sich gerade über einem der damaligen unterirdischen Evakuierungsgänge befindet. Auch die meisten Studenten, die sich in der Universitätsmensa für ihr Mittagessen anstellen, wissen wahrscheinlich nicht, was sich im letzten Jahrhundert hier abgespielt hat.

Das Neue Palais, einst Sitz von Kriegsherren, ist ein Ort des Friedens geworden.

Zum Jubiläumsjahr 2018 gibt es ab 16. Juni die Ausstellung „Kaiserdämmerung“ im Neuen Palais. Bereits am 11. März bietet Kirschstein um 11 Uhr eine Führung zu der Thematik an, um eine Voranmeldung an der Volkshochschule wird gebeten

Carolin Kulling

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