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Weg damit. Einst gefeiert, ist die „Nutheschlange“, die sich rechts unten um die Kurve der Nuthestraße legt, zum Millionengrab geworden. Während die lange Reihe der Schmetterlingshäuser saniert wurde, soll das Terrassenhaus an der Ecke zum Humboldtring abgerissen werden. In zweiter Reihe ist der Teich mit den Anglerhäusern zu sehen.

© Lutz Hannemann

Abriss durch Pro Potsdam: Das Fallbeil über dem Kopf der „Nutheschlange“

Pro Potsdam will Teil des Wohnkomplexes wegen Baumängeln abreißen und neu bebauen. Der Architekt, der das Gebäude entworfen hat, wehrt sich.

Von Peer Straube

Potsdam - Ein einstiges Prestigeobjekt wird zum Fall für die Abrissbirne: Die Pro Potsdam will einen Teil des Wohnkomplexes „Nutheschlange“ an der Nuthestraße dem Erdboden gleichmachen und stattdessen einen Neubau errichten. Entsprechende Informationen eines Mieters und PNN-Lesers bestätigte Pro-Potsdam-Chef Bert Nicke am Freitag auf PNN-Anfrage. Das Ensemble war in den 90er-Jahren von dem Berliner Stararchitektenpaar Doris und Hinrich Baller entworfen und seinerzeit hoch gelobt worden. Doch schon während der Erbauung wurde der Komplex zum Problemfall, der die Pro Potsdam inzwischen eine zweistellige Millionensumme gekostet hat.

Noch sind acht Wohnungen bewohnt

Geschleift werden soll nun jener Teil an der Ecke zum Humboldtring, der „Terrassenhäuser“ genannt wird und quasi den Kopf der „Schlange“ bildet. 38 Wohnungen gibt es darin, lediglich acht sind noch bewohnt. Eine Sanierung dieses Gebäudeteils wäre teurer als ein Abriss und anschließender Neubau, sagte Petra Runge, die Hochbauchefin des Unternehmens. Weit mehr als acht Millionen Euro müsste die Pro Potsdam demnach aufwenden, „deutlich mehr als 3000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche“, so Runge.

70 bis 80 Wohnungen sollen entstehen

Ein Neubau hingegen schlüge nur mit 2500 bis 2700 Euro pro Quadratmeter zu Buche. Die acht verbliebenen Mietparteien sollen Ersatzwohnungen bekommen. Der Abriss sei für 2019 geplant, parallel solle ein Architekturwettbewerb für den Neubau durchgeführt werden, kündigte Nicke an. Schließlich handele es sich um eine „wichtige Ecke für Potsdam“, an der täglich Tausende Menschen vorbeifahren. „Da kann man keine Banalarchitektur hinstellen“, so Nicke. Zwar werde der Neubau mit kalkulierten 15 Millionen Euro fast doppelt so teuer wie eine Sanierung, dafür baue man aber auch die doppelte Anzahl Wohnungen, nämlich 70 bis 80. Weil die „Nutheschlange“ seinerzeit üppig gefördert wurde, will die Pro Potsdam die entsprechende Zahl von Sozialwohnungen in anderen Objekten schaffen. Auch für den Neubau hoffe man auf Fördermittel, die niedrigen Mieten könnten somit auch in der Höhe erhalten bleiben.

Einst war die Nutheschlange ein Neuanfang

Dass nun ein Teil eines nicht einmal 20 Jahre alten Wohnkomplexes abgerissen wird, dürfte in Potsdam wohl einmalig sein, für die Pro Potsdam ist es das in jedem Fall. Um die Gründe zu verstehen, muss man die Vorgeschichte des Ensembles kennen, die bis in die ersten Nachwendejahre zurückreicht. Ballers Entwurf für eine Siedlung auf dem schmalen Zipfel zwischen Nuthestraße und den Wohnhäusern des Humboldtrings, durchzogen von Gärten, weitläufigen Terrassen und mit einem hübschen Seerosenteich ausgestattet, wurde nach der Monotonie der DDR-Plattenbauten als gestalterischer Neuanfang gefeiert. Ballers typisch verschnörkelte Architektur mit vielen Winkeln und Ecken trug ein Übriges dazu bei, dass Hymnen auf das Projekt gesungen wurden.

Die Ernüchterung folgte rasch. 1997 begann der Bau des Komplexes mit seinen insgesamt 223 Wohnungen – und zog sich über sieben Jahre hin. Bereits damals lag der Bauherrin, der heutigen Pro-Potsdam-Tochter Gewoba, ein langes Mängelgutachten vor: Durchfeuchtete Betondecken, verrostete Bewehrungen, undichte Fenster waren nur einige Punkte. Als Folge gab es jahrelange Prozesse, nicht alle endeten für die Pro Potsdam günstig. Die Schuldfrage ist nicht eindeutig zu klären, Runge spricht von „kollektivem Versagen“ – was das eigene Unternehmen durchaus einschließt.

16 Millionen Euro für die Sanierung

Die finanziellen Konsequenzen sind gewaltig. Zu den 35 Millionen Euro, die der Bau gekostet hat, addieren sich inzwischen 16 Millionen Euro, die die Pro Potsdam bislang in die Sanierung des Komplexes gesteckt hat. Erst vor zwei Jahren wurde die Instandsetzung der sogenannten Schmetterlingshäuser abgeschlossen, die mit 160 Wohnungen den größten Teil des Ensembles ausmachen. Schimmel, Kältebrücken und undichtes Mauerwerk mussten beseitig werden. Wegen der Schäden und der sechs Jahre währenden Bauarbeiten stand ein Großteil der Wohnungen leer, die Mietausfälle beliefen sich schon 2015 auf rund 2,5 Millionen Euro. Als letzte Etappe will die Pro Potsdam in diesem Jahr mit der Sanierung der 25 Anglerhäuser beginnen, die auf Stelzen im Teich stehen. Die Schäden seien dort nicht so groß wie im Terrassenhaus, sodass sich eine Instandsetzung lohne, sagte Runge. Für diese Arbeiten werden dennoch weitere 2,5 Millionen Euro draufgehen.

Beim Terrassenhaus aber soll die Reißleine gezogen werden. Wollte man es sanieren, müsste es laut Runge bis auf das Stahlbetonskelett entkernt und praktisch neu aufgebaut werden. Es gebe immer wieder auftauchende Feuchtigkeitsschäden, weder die Außen- noch die Innenwände seien fachgerecht ausgeführt, de facto habe das gesamte Gebäude „bereits damals keiner geltenden Bauvorschrift entsprochen“.

Mängel seien laut Architekt "erstunken und erlogen"

Hinrich Baller weist diese Vorwürfe empört zurück. Hätte es bereits damals Baumängel solchen Ausmaßes gegeben, wäre der Bau niemals abgenommen worden, sagte er denn PNN. Die Mängel des Terrassenhauses, die das im Auftrag der Pro Potsdam erstellte Gutachten auflistet, seien allesamt „erstunken und erlogen“. Baller unterstellt dem Unternehmen gar „betrügerische Absichten“: Der Pro Potsdam gehe es nur darum, eine lukrative Fläche mit mehr Wohnungen zu bebauen. „Wir haben das Urheberrecht“ an dem Ensemble, sagte er. Juristische Schritte gegen einen Abriss behalte er sich vor.

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