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Abitur 2019: Abschluss hinter der Kamera

Lorenz Reimanns hat das Abi auf dem Filmgymnasium Potsdam gemacht. Jetzt möchte er an die Filmuni und später in die Filmbranche. Seinen Berufswunsch teilt er mit wenigen an seiner Schule.

Von Valerie Barsig

Schon mit sieben Jahren filmte er alles, was ihm vor die Linse kam. Lorenz Reimann ist nicht nur Kameramann, er ist auch Tontechniker, Regisseur und Dramaturg. Alles in seinem Leben dreht sich um Film – und nebenbei hat er gerade mit der Note 2,4 sein Abitur bestanden. Der 18-Jährige ist seit der siebten Klasse Schüler am Filmgymnasium Babelsberg. Seine Werke wurden bereits auf Festivals in ganz Deutschland gezeigt. Der Schwerpunkt der Schule brachte ihn nach Potsdam, erzählt der Schüler, während er am Ufer des Griebnitzsees unweit der S-Bahn-Station auf einem Baumstamm sitzt und nervös ein paar Grashalme zwischen seinen Fingern zerrupft. 

Hier, am See, ist für ihn ein Ruheort. Reimann spricht gar nicht so gern über sich, er fühlt sich hinter der Kamera wohler. Dabei hat der 18-Jährige eine Menge zu erzählen: Großgeworden ist er in Niedersachsen, im Harz, ganz in der Nähe von Goslar. Geschwister hat er keine. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er sich eines Tages – damals noch im Grundschulalter – die alte Minoltakamera seines Vaters schnappte und auf „Aufnehmen“ drückte. Das Gerät habe er schon immer spannend gefunden, erinnert er sich. „Und dann fing ich an, damit mehr und mehr rumzuexperimentieren.“ 

Der erste große Film über die Hecke im Garten

Alles Mögliche habe er gedreht. „Mein erster großer Film war einer über die Hecke in unserem Garten“, erzählt Reimann. Den Film, den er mit einem Camcorder drehte, gibt es noch, gebrannt auf DVD. „Da rede ich dann zwanzig Minuten darüber, warum Natur so wichtig ist.“ Auch das war im Grundschulalter. Neben dem Filmen beginnt er mit fünf Jahren, Schlagzeug zu spielen. Beide Hobbys verfolgt er konsequent, auch dann noch, als er auf ein Gymnasium in Bad Harzburg kommt. „Die waren sehr auf Leistung fokussiert“, sagt der Schüler. Er findet: Da gibt es noch mehr im Leben, was zählt. Es sei ein bisschen verrückt gewesen, wie er schließlich an die Schule nach Potsdam kam. „Irgendwann waren wir mal im Filmpark in Babelsberg. Zur gleichen Zeit sind Freunde von mir im Harz auf ein Musikgymnasium gewechselt und dann hat sich mein Vater hingesetzt und gegoogelt. So hat er das Filmgymnasium gefunden“, erzählt Lorenz. Es folgte ein weiterer Besuch in Potsdam beim Tag der offenen Tür der Schule und die Reimanns beschließen daraufhin den Umzug. In Michendorf zieht die Familie in ein Reihenhaus. Reimann besucht ab der Stufe 7 die Filmklasse in Babelsberg. Den Umzug bereuen sie rückblickend nicht. „In Bad Harzburg wäre ich mit meiner Filmgeschichte versauert“, betont der Schüler.
In Potsdam dagegen gehört Film ab sofort zum Stundenplan. An dem Babelsberger Gymnasium lernt er alles zu Bildaufbau, Schnitt, Licht und auch ein bisschen Schauspiel – neben den normalen Fächern wie Mathe, Deutsch, Chemie oder Psychologie, in denen Reimann auch sein Abitur ablegt. Gerade Psychologie findet er spannend: „Wir haben uns im letzten Halbjahr mit Schizophrenie beschäftigt – es gibt kaum etwas Interessanteres.“ 
Außer dem Filmen natürlich. Während seiner Schulzeit dreht der 18-Jährige ununterbrochen, unter anderem auch Animationen und Dokus. Sein Steckenpferd aber ist der fiktionale Film. Ihm gefällt daran das Künstlerische, „dass man sich mehr ausleben kann“, wie er sagt. Dabei sind es mehrere Dokumentationen, die er nennt, wenn man ihn nach bisherigen Herzensprojekten fragt – von denen es so viele gibt, von Interviews bis zu Musikvideos. 

Abenteuer im ukrainischen Lemberg

Unter anderem hat er gemeinsam mit einem Team der Schülerfilmfirma bfg productions des Gymnasiums und Lehrer Uwe Fleischer eine Reise ins ukrainische Lemberg unternommen. Dort hat Reimann gemeinsam mit anderen Schülern eine Dokumentation für das in Potsdam ansässige Deutsche Kulturforum östliches Europa gedreht. Eine Woche lang haben die Schüler dabei die Stadtschreiberin und Soziologin Barbara Thériault aus Kanada bei ihrer Arbeit begleitet. 47 Minuten lang nimmt Reimann, der sowohl für die Kamera, als auch die Postproduktion zuständig war, die Zuschauer mit durch die Stadt und kommt den Menschen vor Ort dabei sehr nah. Jedes Jahr begleiten Schüler des Filmgymnasiums die Stadtschreiber des Kulturforums. So entstehen Dokumentationen, die gleichzeitig als Seminararbeiten der Schüler zählen. „Ich wollte den besten Stadtschreiberfilm machen, den es bisher gab“, erzählt Reimann. 
Bei der Premiere im Kino des Gymnasiums sei er dann trotz des hohen Anspruchs an sich selbst gar nicht so aufgeregt gewesen. „Während der Film lief, habe ich nur darüber nachgedacht, dass er so schnell vorbeigeht, obwohl so viel Arbeit darin steckt.“ Nach rund einer Woche Dreh in Lemberg arbeitete Reimann die Herbstferien durchgehend an der Fertigstellung. Und am Ende der Vorstellung im Schulkino bekommt er eine Menge Applaus für sein Werk. Für ihn und seine Mitschüler sei die Dokumentation ein Abenteuer gewesen: Dazu zählen nicht nur die Zeit in Lemberg, sondern auch die Fahrt über Polen und die EU-Außengrenze in die Ukraine. 

Die Lehrer sind beeindruckt

Auch Janina Boerner, Oberstufenkoordinatorin am Filmgymnasium, kann sich noch an die Premiere erinnern. „Lorenz war sehr souverän“, erzählt sie. Das breite Lächeln ihres Schülers ist ihr im Gedächtnis geblieben. Auch für sie als Lehrerin sei so ein Moment immer eine schöne Gelegenheit, einen Schüler anders kennenzulernen. „Es vervollständigt einen Eindruck, der als Lehrer sonst eher sehr eindimensional ist“, sagt Boerner. Am Filmgymnasium seien es nicht nur Sport, Musik oder Mathe, in denen Lehrer die Schüler kennenlernten, sondern eben auch Film, Schauspiel oder Tanz. „Da ist man sehr oft sehr beeindruckt.“ Neben der regulären Filmklasse an der Schule gibt es auch eine bilinguale, eine Klasse mit Schwerpunkt Tanz und eine, in der Schauspiel im Vordergrund steht. Während der Abivorbereitungen wollte Reimann eigentlich weniger hinter der Kamera stehen. So richtig geklappt hat das aber nicht. Filmen sei nun mal seine Leidenschaft. Deshalb blieb weniger Zeit fürs Büffeln, stattdessen wurden Musikvideos gedreht. Gerade ist Reimann auf der Suche nach einem Praktikumsplatz, denn wenn er sich bei der Filmuniversität in Potsdam bewerben möchte, muss er zwölf Wochen Erfahrung nachweisen – und die Zeit, die er für die Schülerfirma gearbeitet hat, wird nicht anerkannt. Aus seinem Jahrgang mit rund 100 Schülern ist er einer der wenigen, die sich bei der Filmuniversität bewerben werden. Zumindest soweit er weiß, sagt der 18-Jährige. „Viele wählen danach ganz normale Studiengänge wie BWL oder Jura“, sagt er. 

Absolventen des Filmgymnasiums werden nicht alle Regisseur

Die Zahl der Schüler, die auch nach ihrem Abitur am Filmgymnasium beruflich eine solche Richtung einschlagen, variiere je nach Jahrgang, sagt Oberstufenkoordinatorin Boerner. Es gebe immer eine Handvoll Filmfreaks an der Schule. „Wir machen hier aber keine Ausbildung zum Superstar.“ Es gehe darum, Schülern zu vermitteln, was alles vor und hinter der Kamera passiere – und manche Schüler würden mit der Zeit herausfinden, dass das eben nicht ihren Interessen entspreche. An der Schule gehe es darum, die Jugendlichen neben den regulären Schulfächern auch für das Arbeiten im Team zu sensibilisieren, das Kreative zu fördern. „Wir sind ein normales Gymnasium mit dem Ziel Abitur“, betont Boerner. Allerdings mit einem „erweiterten Blick“ – deshalb sei eben nicht nur der Abischnitt entscheidend. 

An der Filmuni soll es nun weitergehen

Im Jahrgang vor ihm seien mehr Schüler gewesen, die auch nach dem Abitur das Filmen zum Beruf machen wollten. Dass dieser Weg bei den Filmgymnasiasten vorgezeichnet sei, sei nicht die Regel, sagt Reimann. Viele kämen an die Schule, weil sie Interesse an Moderation oder Schauspiel hätten. Die Leidenschaft, wie die des 18-Jährigen, haben viele Schüler nicht. Oder sie stellen fest, dass ein Beruf in der Filmbranche doch nicht zu ihnen passt. Dass er unbedingt studieren will, war Reimann nicht immer klar: „Ich habe lange überlegt, eine Ausbildung als Mediengestalter anzufangen“, sagt er. Denn er steht nicht nur gern hinter der Kamera, auch Schnitt und Bühnenbau interessieren ihn. „Aber auf Berufsschule hatte ich dann doch keine Lust“, gibt er zu. Auch beim rbb habe er sich beworben. Dort hätte man aber ein wenig zu sehr auf gute Noten in Mathe und Physik gepocht – nicht sein Ding, sagt Reimann. Deshalb soll es nun der Kamerastudiengang „Cinematography“ an der Filmuniversität werden. Er hofft, dass er an der Uni viel Neues lernt: „Ich will wissen, wenn mal was schlecht ist“, sagt er. 

Lorenz Reimann sucht gerade ein Praktikum

Denn der Wunsch, sich weiterzuentwickeln, ist groß. Am liebsten hinter der Kamera. Denn dann sei man „viel draußen, nicht nur vor dem PC“. Unterwegs sein, das sei ihm wichtig. Jetzt, nach dem Abiball, geht es deshalb auch zu einem Rockkonzert nach Moskau, vielleicht per Road Trip nach Frankreich. „Einfach ins Auto setzen und überlegen: Was mache ich jetzt?“, so stellt sich Reimann das vor. Vorher muss aber noch der ein oder andere Film fertig geschnitten werden. Wegen des Praktikums, das er bald anfangen muss, ist auch nicht viel Zeit zum Reisen. Wünschen würde er sich, dass er bei diesem auch bezahlt wird – denn seine Leidenschaft ist teuer. „Natürlich unterstützen mich meine Eltern“, sagt er. So haben sie zum Beispiel seinen Führerschein bezahlt. Für sein Filmequipment müsse er aber selber sparen.  Und was ist, wenn er später nicht von seiner Leidenschaft leben kann? „Ich habe keine Zukunftsängste, aber ich bin da auch sehr vorsichtig“, sagt der 18-Jährige. „Viel wichtiger als Geld ist es, gerne zur Arbeit zu gehen“, sagt er. Aber natürlich sollte das Geld zum Leben reichen. Sein Traum wäre, irgendwann eine Filmfirma zu gründen. Die wolle er langsam aufbauen. „Ab 30 sollte ich mir dann sicher sein, wohin die Reise geht.“ Bis dahin freue er sich darauf, sich einfach auszuprobieren. 

Und was ist mit dem Traum vom Oscar? Reimann muss schmunzeln. „Das ist nicht mein Ziel“, sagt er, zerrupft ein paar Grashalme und überlegt kurz. Dann erzählt er: „In der Filmszene sagt man, wenn man mal einen Oscar gewinnen will, darf man die Statue vorher niemals berühren.“ Nachdem der Effektekünstler Gerd Nefzer mit seiner Babelsberger Firma den Oscar für den Film Blade Runner bekommen hat, war er am Filmgymnasium zu Besuch. Dabei habe er auch den Oscar mitgebracht, den die Schüler herumgereicht hätten. „Ich bin nicht abergläubisch“, sagt Reimann. „Aber angefasst habe ich ihn dann trotzdem lieber nicht.“

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Viele Fotos und die Namen aller Abiturienten in Potsdam und Potsdam-Mittelmark veröffentlichen die Potsdamer Neuesten Nachrichten in der Ausgabe von Donnerstag, dem 20. Juni 2019.

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