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Im Zentrum steht der Soldat mit Maschinengewehr auf seinem Sockel, wie in "Kruso".

© Andreas Klaer

70 Jahre sowjetische Friedhöfe in Potsdam: In fremder Erde

Vor 70 Jahren legten die Sowjets ihre beiden Friedhöfe in Potsdam an. Die Grabstätten künden von einem Stück deutsch-russischer Beziehungen, die bis heute andauern. Eine Reise in die Vergangenheit.

Potsdam - Als eine unerschrockene Gestalt, ja sogar als eine Art Golem, beschreibt ihn Lutz Seiler im Roman „Kruso“: Der „Soldat mit Fahne“ steht fest auf seinem Sockel, das Gewehr vor der Brust, Stahlhelm auf dem Kopf und die Fahne fest im Griff. Wer den sowjetischen Soldatenfriedhof an der Michendorfer Chaussee durch das Eingangstor betritt, sieht den bronzenen, vom Potsdamer Bildhauer Walter Bullert geschaffenen Soldaten schon aus der Ferne. Mit jedem Schritt des Besuchers kommt die Monumentalplastik, von der sich Seiler für seinen Roman inspirieren ließ, scheinbar ein kleines Stückchen näher. Hier, unter Kiefern, Fichten und Lebensbäumen, bestimmt dieser massive Kämpfer den Geist des Ortes – und erhebt zugleich wohl auch einen gewissen Anspruch an den Geist des Besuchers, der auf den Friedhof gekommen ist. Schließlich, so heißt es in „Kruso“, wolle der Soldat mit seinem gestrengen Blick jeden in die Knie zwingen, „der diesen Ort ohne Respekt betreten“ möchte.

Eine würdevolle Ruhestätte nach dem Krieg

Die besondere Geschichte des Gedenkens hier unter Bäumen an der Michendorfer Chaussee begann vor sieben Dekaden. Als im Jahre 1946 Potsdam in Trümmern lag, da machten sich die sowjetischen Befreier auf, ihren Toten des Krieges eine würdevolle Ruhestätte zu geben. Bei den Kämpfen 1945 hatte man die Gefallenen zunächst nur provisorisch begraben können, meist direkt an den Orten, an denen sie starben. Nun aber, ein Jahr nach Ende des Krieges, ließ die sowjetische Militäradministration (SMAD) zunächst den Ehrenfriedhof auf dem Bassinplatz in der Innenstadt anlegen. Man begann damit, die Toten hierher umzubetten. „Die Fläche reichte aber nicht aus“, erzählt der heutige Friedhofsverwalter Gunther Butzmann. Daher richtete die SMAD – wohl ebenfalls ab 1946 – auch einen Friedhof an der Michendorfer Chaussee ein. Die ersten Umbettungen an diesen Ort erfolgten laut Butzmann im Jahre 1947. Später kamen auf diesem Friedhof Gräber von Rotarmisten hinzu, die in den Nachkriegsjahrzehnten im Potsdamer Raum stationiert waren und hier aus den verschiedensten Gründen ums Leben kamen. Diese Toten ruhen in den sogenannten Garnisongräbern. Auch Familienmitglieder von sowjetischen Offizieren, die in der Region wohnten, fanden hier ihre letzte Ruhe.

Bei einem Rundgang über den Friedhof an der Michendorfer Chaussee zeigt Friedhofsmitarbeiterin Kerstin Sohr auf eine rechteckige Fläche mit etlichen Gräbern. Es sind Grabstätten von Kindern. Auf einem Grab von 1955 liegt ein bunter Ball. „Da kann man sagen, der liegt noch keine Jahre“, erklärt Sohr, nachdem sie das Spielgerät ein wenig angehoben hat. Angehörige werden also wohl in der letzten Zeit einmal hier gewesen sein, um das Grab des vor 60 Jahren verstorbenen Kindes aufzusuchen. Den Ball ließen sie zurück. Auch Lutz Seiler muss bei seiner Recherche für „Kruso“ einiges Spielzeug auf den Kindergräbern gesehen haben. So berichtet er – wohl mit einer gewissen literarischen Freiheit – von „Teddybären, die sich an Grabsteine lehnten, die Beine mit Moos überwachsen“.

Gräber an der Michendorfer Chaussee und am Bassinplatz

Der Potsdamer Friedhofswegweiser – eine Broschüre über die kommunalen und kirchlichen Begräbnisstätten – verzeichnet für den Friedhof an der Michendorfer Chaussee die Zahl von 5 227 Grabstätten. 383 Angehörige der Roten Armee haben auf dem Friedhof am Bassinplatz ihre letzte Ruhe gefunden. Während hier in der Innenstadt nur in den 1940er Jahren bestattet wurde, so fand an der Michendorfer Chaussee die letzte Beerdigung erst 1985 statt.

Zum Erhalt der sowjetischen Friedhöfe auf deutschem Boden hat sich Deutschland gegenüber Russland und der Ukraine in den 1990er Jahren verpflichtet. Allerdings betrifft diese Zusage nur die echten Kriegsgräber – also Grabstätten, in denen jene Toten bestattet sind, die infolge des Krieges bis zum 31. März 1952 verstarben. Für die Erhaltung dieser Gräber in Potsdam bekommt die Stadt eine Pauschale vom Land Brandenburg.

Picknick am Grab mit Wodka, Brot und Speck

Heute sind es vor allem drei Gruppen von Menschen, die zu den sowjetischen Grabstätten kommen, sagt Butzmann. „An erster Stelle natürlich Touristen.“ Und dann sind da die einstigen Sowjetbürger, die nach dem Abzug der Truppen Anfang der 1990er Jahre in Deutschland geblieben sind und hin und wieder zu den Gräbern ihrer verstorbenen Angehörigen gehen. Aber es reisen auch Menschen direkt aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion an. Zuweilen, so Butzmann, bringen sie Wodka, Brot, Speck sowie Senf mit und setzen sich auf einer Picknickdecke ans Grab, um ein kleines Mahl zu veranstalten.

Kerstin Sohr erinnert sich, dass sie von Verwandten der Verstorbenen schon spontan auf dem Friedhof zum Picknick eingeladen wurde. Hin und wieder bleiben nach einem solchen Mahl sogenannte Grabgaben zurück: „Wir sehen ab und zu mal eine Wodkaflasche auf der Grabstelle“, sagt Butzmann. Und da ist dann durchaus noch Hochprozentiges drin.

Auch Kunstblumen findet man vereinzelt auf den Gräbern. Die Grabsteine selbst lassen von ihrer Art her erkennen, ob die Verstorbenen Offiziere oder einfache Soldaten waren. So sind am Bassinplatz die Steine für die einfachen Soldaten als fünfeckiger Stein mit einem plastisch hervortretenden Stern gearbeitet. Ein Teil der Offiziere bekam trapezförmige Grabsteine, auf deren Oberseite ein fünfzackiger Stern aufgesetzt ist. Beide Grabsteinarten sind aus Beton. Für einige andere Offiziere gibt es überdies Grabmale aus Naturstein. Anders auf dem 5,5 Hektar großen Friedhof an der Michendorfer Chaussee: Dort sind den Offizieren die stehenden Grabsteine aus Naturstein vorbehalten, während die einfachen Soldaten üblicherweise liegende Steine aus Beton erhielten.

Nötige Frischekur für die sowjetischen Gräber

Das Bemühen um den Erhalt der teils recht verwitterten Steine sowie die gärtnerische Pflege der Anlagen sind eine Daueraufgabe für Butzmann und seine Mitarbeiter in der städtischen Friedhofsverwaltung. Vielen Grabstätten würde eine Frischekur guttun. Irgendwann in der nächsten Zeit möchte der Friedhofschef gern die Inschriften der Grabsteine am Bassinplatz nachziehen lassen. Auf dem Friedhof oben im Wald an der Michendorfer Chaussee sind erst kürzlich drei Grabfelder mit 281 Garnisongräbern erneuert worden. Immerhin hat die russische Botschaft dafür rund 150 000 Euro zur Verfügung gestellt, sagt Butzmann.

Um die sowjetischen Gräber kümmert man sich also nach wie vor in Potsdam – sowohl oben im Wald unterm „Kieferngewölbe“ (Seiler), als auch auf dem Friedhof im Zentrum der Stadt.

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