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"BNN"-Chefredakteur Georg Jopke (2.v.l.) und Verlagsdirektor Wolfgang Grüttner (4.v.l.) 1984 bei einem Besuch der Druckerei. 

© Peter-Claus Fähndrich

70 Jahre PNN - die Geschichte einer Zeitung: Immer schon ein bisschen aufmüpfig

Am 1. Mai 1951 erscheinen die Brandenburgischen Neuesten Nachrichten erstmals als Zeitung der Blockpartei NDPD. Ihre Historie bis zur heutigen PNN spiegelt auch den Wandel in Politik und Gesellschaft wider.

Von Carsten Holm

Potsdam - Es soll alles nach Pluralismus aussehen. Die fünf in der Volkskammer vertretenen sogenannten Blockparteien, die sich dem Führungsanspruch der SED unterordnen müssen, dürfen nach der DDR-Staatsgründung je eine überregionale Tageszeitung herausgeben, es ist ihnen erlaubt, mehrere Regionalausgaben zu publizieren. Am 1. Mai 1951 erscheint die erste Ausgabe der Brandenburgischen Neuesten Nachrichten (BNN), des Vorläufers der PNN. Auf der Titelseite steht in großen Lettern und fünf Worten eine klare Kursbestimmung: „Für Deutschland, für den Frieden.“ Im ersten Kommentar der neuen Zeitung wird die Nachkriegswelt sogleich in Gut und Böse geschieden. „Kriegstreiber Amerika“ lautet die Überschrift. 

SED will die BNN mit niedriger Auflage klein halten

Niemand hat die Absicht, es bei der Gründung der Zeitungslandschaft gerecht zugehen zu lassen. Die SED pumpt ihre Parteiblätter zu willfährigen Massenmedien auf und hält die Auflagen von Mitbewerbern niedrig. Und weil die BNN die Zeitung der eher kleinen National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) sind, soll deren Blatt ebenso klein gehalten werden. Die Methode ist simpel: Über die Zuteilung von Druckkapazitäten besitzt der Staat das Medienmonopol. Der SED-Zeitung „Märkische Volksstimme“ zum Beispiel, nach der Wende in „Märkische Allgemeine Zeitung“ umbenannt, teilt die Partei in Brandenburg eine Auflage von 350 000 Exemplaren zu. 

Die BNN wie auch die CDU-Zeitung „Märkische Union“ müssen sich mit 20 000 bis 29 000 Exemplare täglich begnügen. Das große Maß an Verbreitung ist eine Lebensgarantie für lange Zeit – sogar über die Wende hinaus. Ende der 1980er-Jahre werden DDR-weit täglich 6,6 Millionen SED-Blätter und gut 800 000 für die übrigen Parteien gedruckt. Eine gänzlich neue Zeitung musste die NDPD nicht erfinden; sie übernahm die erfolgreiche „Tagespost“ Franz Steiners. Die sowjetische Militäradministration hatte dem versierten Medienmann als einem der wenigen Privatleute im Osten 1946 eine Zeitungslizenz gegeben – so wie es die britische Militärverwaltung im selben Jahr mit Rudolf Augstein für die Gründung des „Spiegel“ tat. 

In Verlag und Redaktion fassten anfangs auch ehemalige Nazis Fuß

1951 ändern sich die Pläne der Besatzer: Die Blockparteien sollen mit eigenen Zeitungen ausgestattet werden, denn zumindest formal garantierte auch die DDR-Verfassung die Meinungsfreiheit – zumindest „den Grundsätzen der Verfassung gemäß“. Dazu gehörte die „Anerkennung der führenden Rolle der SED“ und von Gesetzen wie dem Paragraphen 106 des Strafgesetzbuches, der „staatsfeindliche Hetze“ unter Strafe stellte. In diesem Rahmen übernehmen die BNN Steiners Blatt und das Personal gleich mit, die Redaktion wird von der Schopenhauerstraße in die Friedrich-Ebert-Straße 38 und später in die Leninallee 1, die heutige Zeppelinstraße, umgetopft. 

Letzte Korrekturen. Der spätere BNN-Chef-Redakteur Georg Jopke und Redaktionssekretärin Gertrud Persike.
Letzte Korrekturen. Der spätere BNN-Chef-Redakteur Georg Jopke und Redaktionssekretärin Gertrud Persike.

© H. Dörries

Es ist ein Teil einer ausgeklügelten Strategie. Denn so klein ihre Auflage damals ist: Die Ost-Berliner Kommunisten haben für die BNN eine nicht unbedeutende Rolle vorgesehen. In der DDR leben etwa zwei Millionen ehemalige Nazi-Mitglieder, ausdrücklich soll die Partei NDPD einem konservativen Publikum aus Mittelstand, Offizieren und ehemaligen Nazis eine Heimat bieten. Ihre Aufgabe war es, so schrieb der Historiker Frank Bösch, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung an der Universität Potsdam zum 65. Bestehen der PNN, „wie die zeitgleich gegründete Bauernpartei die kirchennahe CDU und die liberale LDPD zu schwächen“. Er zeichnete nach, dass ehemalige Nazis wie Franz Hempelmann, Chefredakteur bis 1963, in Redaktion und Verlagsleitung der BNN Fuß fassten – beispielhafte Karriereverläufe in Medien, Unternehmen und der Politik, wie sie auch im Westen geschahen.

Die BNN zu abonnieren, war ein kleines Bekenntnis gegen die SED

„Angesichts des verordneten Antifaschismus“ in der DDR sei, so der Historiker, „eine derartige Führungsetage in einer offiziellen Partei und Zeitung ein klares Signal der Integration für ehemalige Anhänger des Nationalsozialismus“ gewesen. Bösch kommt noch zu einer weiteren Schlussfolgerung: „Die BNN zu abonnieren, war ein kleines Bekenntnis gegen die SED, wenngleich ihr Politikteil den Sozialismus pries.“ Es spross wohl so etwas wie die im Kleinen erlaubte Aufmüpfigkeit in einer ideologischen Wohlfühl-Oase, kontrolliert vom – und ungefährlich für den – Staat. 

Der spätere Chefredakteur Georg Jopke (1.v.l) mit seinem Vorgänger Dankwart Hille in den 1970er-Jahren zusammen mit Kulturredakteur Hans-Wener Meyer (4.v.l.).
Der spätere Chefredakteur Georg Jopke (1.v.l) mit seinem Vorgänger Dankwart Hille in den 1970er-Jahren zusammen mit Kulturredakteur Hans-Wener Meyer (4.v.l.).

© Claus-Peter Fähndrich

Und es bildete sich etwas heran, dass bis heute als Teil der DNA dieser Zeitung zu identifizieren ist und für die Redaktion wie für ihre Leser gilt: vom Grundsatz her kritisch gegenüber den realen Verhältnissen. Früher bei den BNN, heute, was Wunder, weit mehr in den PNN. Ein gewisses Maß an Freiheit, von „Schlupflöchern“ spricht Bösch, war auch zu Zeiten der BNN möglich. Die lokalen Nachrichten wurden zumeist laxer kontrolliert, die ausführliche Sportberichterstattung war ohnehin nicht systemrelevant.

BNN-Redaktion lotete Spielraum für vorsichtige Kritik aus

Für die SED sind die Medien eines der wichtigsten Herrschaftsinstrumente, sie sollen „das Wort der Partei in die Massen tragen“. Sie sollen, so ein Leitspruch, „die schärfste Waffe der Partei“ sein. Unabhängige Berichterstattung ist nicht vorgesehen, Hauptsache, der Realsozialismus wird gefördert. Für Redakteure wie für Leser muss das oft ermüdend gewesen sein: Nach Parteitagen der SED und Sitzungen des Politbüros werden auch die einschläferndsten Reden in Gänze gedruckt. „Die Reden haben so viel Platz beansprucht, dass wir an anderen Tagen nur mit vier Seiten erscheinen konnten“, erinnerte sich Erhart Hohenstein, der 1962 BNN-Redakteur wurde. Der Grund: In der Mangelwirtschaft gab es Mangel auch an Druckerschwärze und Papier.

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Der langjährige PNN-Redakteur Peer Straube hat die Geschichte des Vorgängerblatts akribisch recherchiert. Er schilderte, mit wie viel Feingefühl die BNN-Kollegen ihren Spielraum ausloteten. Ein Beispiel: Mangelwirtschaft war ein Tabuthema. Berichte darüber konnten ja nur, wie man heute sagen würde, Fake News sein – weil es Mangel offiziell eben nicht gab. Es sei, so der PNN-Mann im Rückblick, ein „Kunststück“ gewesen, wenn in Glossen, Leserbriefen und einzelnen Artikeln „vorsichtige Kritik an der Mangelwirtschaft durchschimmerte“. Damit hätten sich die BNN „einen guten Ruf bei den Lesern“ erworben. Und obwohl die Zeitung „vasallentreu“ zum Regime stand, zollten die Abonnenten Respekt dafür, dass sie immerhin kein SED-Blatt war.

Eklat um Loriot

Mitunter müssen die Aufpasser nachjustieren, wenn der sozialistische Kurs nicht exakt gehalten wird. Über die großen Bausünden der Stadt wird geschwiegen – es gibt ja keine. Mitunter schlägt der Kompass dennoch in die falsche Richtung aus. Hohenstein hebt den Appell von Hartmut Knitter vom Potsdam Museum in die Zeitung, die Garnisonkirche entgegen der Parteilinie nicht zu sprengen. Der SED-treue Chefredakteur Hartmut Starauschek entdeckt die Beinah-Katastrophe in der Setzerei und entfernt den Textblock sogleich. 1969 folgt ihm Dankwart Hille als Chefredakteur, 1978 dann dessen Stellvertreter Georg Jopke. 

Brandenburgs erster Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD/2.v.l) um 1990 im Gespräch mit BNN-Geschäftsführer Detlef Gottschling (1.v.l.) und Chefredakteur Georg Jopke (2.v.r.). 
Brandenburgs erster Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD/2.v.l) um 1990 im Gespräch mit BNN-Geschäftsführer Detlef Gottschling (1.v.l.) und Chefredakteur Georg Jopke (2.v.r.). 

© Manfred Thomas

Er erwirbt sich Ansehen, weil er, so sein Kollege Hohenstein, „uns immer in Schutz genommen hat“ – vor der SED und der Stasi.
Jopke muss einiges aushalten. Mehrmals in der Woche, gibt er später preis, hätten ihn staatliche Aufpasser wegen Texten befragt, die missfielen. Der neue „Umwelttipp“ in den BNN? Warum denn nur? Es gibt doch keine Umweltprobleme. Zum Eklat kommt es, als BNN-Reporter Manfred Mehrhardt über den Besuch des in Westdeutschland lebenden Humoristen Loriot in seiner Geburtsstadt Brandenburg an der Havel berichtet. Der wird dort bei der Eröffnung einer Ausstellung seiner Karikaturen mit stehenden Ovationen gefeiert. Viel zu viel Begeisterung für einen Wessi. Chefredakteur Jopke wird zur SED-Bezirksleitung auf den Brauhausberg zitiert. Der Befehl: von Mehrhardt „keine einzige Zeile“ mehr. Er wartet ein paar Wochen ab. Dann lässt er Mehrhardt wieder schreiben.

Spagat zwischen Wahrheit und braver Regimetreue

Immer wieder wird Berichterstattung nur möglich, wenn die Redakteure geschickt mit der Wahrheit lavieren. Das tun sie auch, als am 7. Oktober 1989 Tausende in der Klement-Gottwald-Straße, der heutigen Brandenburger Straße, Reformen fordern. Erst erscheint eine offizielle Version gegen die Oppositionellen: „Etwa 200 Personen“ hätten sich „zusammengerottet, um die Volksfeste zu stören, Bürger zu verunsichern und Familien zu verängstigen“. Am nächsten Tag riskiert Vize-Chefredakteur Michael Erbach seinen Job. Er fordert in der Zeitung Ehrlichkeit der Analyse der Lage. 

Ehrlichkeit und Regimetreue vertragen sich jedoch schlecht. Aber es geht gut. Am 2. November geschieht wiederum Spektakuläres. Die BNN drucken ein Interview mit dem Physiker Reinhard Meinel, er ist mit seinem Kollegen Rudolf Tschäpe das Aushängeschild der Opposition. „Die BNN sind damit die erste Regionalzeitung in der DDR, die ein Interview mit einem Vertreter des Neuen Forums veröffentlicht, das zu diesem Zeitpunkt ja noch verboten ist“, schreibt Peer Straube. Während die DDR bröckelt, reagieren die BNN allerdings eher verschüchtert. Der Historiker Bösch hat es recherchiert: Am 11. Oktober, als die Proteste brodelten, hätten die BNN etwa mit dem „Aufstieg der DDR zum weltgeschichtlichen Rang“ aufgemacht. Thema verfehlt. Am 11. November 1989, dem ersten Redaktionstag nach der Maueröffnung, titelte das Blatt brav: „10. Tagung des Zentralkomitees der SED gestern beendet.“

FDP soll die Zeitung retten

Mit der politischen Wende zerfallen die Strukturen auch für die BNN, West-Verlage interessieren sich. Der Hamburger Heinrich-Bauer-Verlag will neben dem Illustrierten-Geschäft Fuß im Zeitungsmarkt fassen und übernimmt auch die BNN. Doch das Kartellamt legt Veto ein, mit der Übernahme von sechs Zeitungen würden die Hamburger zum Monopolisten im Nordosten der Republik. Die Treuhand schreibt die früheren SED-Zeitungen neu aus, die Zeitung der einstigen Blockpartei NDPD nicht. Quasi über Nacht stehen die BNN ohne Finanzier da. Die NDPD gibt es nicht mehr, sie ist im August 1990 in der FDP aufgegangen. Das Geld reicht nicht mal mehr fürs Briefporto, die Insolvenz scheint unausweichlich. 

In höchster Not ergreift der langjährige Chef vom Dienst und Geschäftsführer der Zeitung, Detlef Gottschling, die Flucht nach vorn und bittet FDP-Schatzmeister Hermann Otto Solms um finanzielle Hilfe. Als sich der Kassenwart der Liberalen ziert, greift Gottschling zu einer Notlüge. Es gebe da eine Anfrage vom „Spiegel“, die Arbeitsplätze in den ehemaligen NDPD-Zeitungen betreffend. Eine solche Anfrage gab es allerdings gar nicht. Doch die Erwähnung zeigt Wirkung. Die FDP zahlt einen Monat lang die Gehälter weiter – für 110 Verlagsangestellte. Zwischenzeitlich versucht Gottschling, eine Kooperation einzufädeln. Doch es gelingt nicht. Dann fädelt er den Kauf durch den Tagesspiegel ein. Abgeschlossen wird der Deal auf dem Flughafen Frankfurt am Main. Die Unterschriften werden in der Empfangshalle gesetzt – dann hat die FDP die BNN an den Tagesspiegel verkauft. 

In der Lindenstraße werden zuerst die BNN, dann die PNN produziert. Danach zieht die Redaktion an den Platz der Einheit.
In der Lindenstraße werden zuerst die BNN, dann die PNN produziert. Danach zieht die Redaktion an den Platz der Einheit.

© PNN Archiv

Auseinandersetzung mit der Stasi-Vergangenheit 

Mitte 1991 wird die Zeitung in Potsdamer Neueste Nachrichten umbenannt. Nun profitieren die Leser von der überregionalen Berichterstattung der Hauptstadt-Zeitung, die zu den renommiertesten Regionalzeitungen Deutschlands zählt. Unterdessen wird in Potsdam und anderswo die Stasi-Vergangenheit der Redakteure zum Thema. Es kommt heraus, dass es in der BNN-Redaktion drei Spitzel gab, wie auch die Enquete-Kommission des Landtags 2011 in einem Gutachten zum Umgang der märkischen Presse mit der Stasi feststellte. Die Gutachter kritisierten, dass alle anderen Mitarbeiter von einer Überprüfung verschont blieben. Zwei der Stasi-Zuträger verließen das Blatt auf eigenen Wunsch, eine Mitarbeiterin kündigte.

Als hauptamtlichen Mitarbeiter führte die Staatssicherheit, so das Gutachten, auch einen Redakteur, der im Alter von 19 Jahren die Stasi-Hochschule in Golm besucht und sich nach der Wende für eine journalistische Laufbahn entschieden hatte. Er legte seine geheime Tätigkeit von Beginn an offen, distanzierte sich und wies immer wieder auf seine Stasi-Vergangenheit hin. Er arbeitet auch heute noch für die PNN. 

Mehrheit der Mitarbeiter bleibt nach dem Mauerfall in der Redaktion

Vom Einzug der Führungsetagen aus dem Westen in neu erworbene Unternehmen im Osten blieben viele DDR-Blätter weitgehend verschont. Der Historiker Bösch spricht von einer „hohen Personalkontinuität in den Redaktionen, obgleich die ostdeutschen Journalisten vor 1989 fast durchweg Mitglieder der SED oder der Blockparteien waren und lange Zeit auch die DDR-Propaganda verbreitet hatten“. Insgesamt 70 Prozent der Mitarbeiter seien in den Redaktionen geblieben. Sie passten sich, so Bösch weiter, „schnell in die Demokratie ein“. Kontinuität gab es auch bei den BNN, sogar bis nach dem Besitzerwechsel und der Umbenennung im Jahr 1991. 

Der Historiker verweist auf den Chefredakteur Jopke und dessen Stellvertreter Hohenstein und Erbach, die die BNN zu DDR-Zeiten führten, auch nach der politischen Wende im Amt blieben und weiterhin dabei waren, als die Zeitung dann Potsdamer Neueste Nachrichten hieß. Bösch hat auch die Unterschiede zwischen Ost- und West-Journalisten in den Redaktionen benannt. Die Ostdeutschen hätten sich laut damaliger Umfragen „idealistischer als Berater und Erziehende“ verstanden, während Westdeutsche eher bereit gewesen seien, Regeln zu brechen, um an Informationen zu gelangen. 

Die Wende hatte auch Folgen für die journalistische Arbeit

Die unterschiedliche Sozialisation blieb nicht ohne Folgen für die journalistische Perspektive – sowohl in der Endphase der BNN wie auch in den PNN. Noch in ihrer letzten Ausgabe, so hat es der Historiker Bösch gelesen, hätten die BNN „ausführlich die negativen Zuschreibungen gegenüber der westlichen Aufbauhilfe“ zitiert. Es war die Zeit, als die Treuhandgesellschaft im Auftrag der Bundesregierung die Volkseigenen Betriebe (VEB) der DDR privatisierte oder, wenn das nicht möglich schien, stilllegte.

An den Redaktionssitzungen der PNN nehmen immer wieder Potsdamer aus Politik und Gesellschaft teil - wie die Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock. 
An den Redaktionssitzungen der PNN nehmen immer wieder Potsdamer aus Politik und Gesellschaft teil - wie die Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock. 

© Andreas Klaer

Die BNN gaben die kritischen und ablehnenden Stimmen im Volk wieder: Über die neuen „Kolonialherren“ wurde ebenso gespottet wie über die „Buschzulage“, die West-Beamte erhielten, wenn sie in die neuen Länder wechselten. Andererseits: 1991 konnten sich BNN-Leser während einer von der Zeitung eingerichteten Telefonberatung über Rentenfragen informieren. Zu den Teilnehmern gehörte neben zwei Experten auch die 2001 verstorbene brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD).

PNN spiegeln als "wichtiger Akteur" vielfältige Meinungen wider 

Dass Frank Bösch es als Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts schätzt, wenn eine Zeitung wie die PNN sich „vielfältig mit dem vielschichtigen Erbe Potsdams auseinandersetzt“, überrascht nicht. Schon der Aufmacher der ersten Ausgabe habe über die Grablegung Friedrich II. und seines Vaters in Potsdam berichtet und die sensible Frage gestellt, „ob hier ein neuer Preußenmythos entstehen könnte“. Bösch begrüßte das. Die Zeitung habe dann „das vielstimmige Konzert zu Potsdams gebrochener Vergangenheit nicht nur durch Berichte“ begleitet, sondern sich als „ein wichtiger Akteur“ erwiesen, „der unterschiedliche Meinungen zulässt“. Ihre „lebhaften Artikel über die Umgestaltung Potsdams und die geschichtspolitischen Kontroversen möchte man nicht missen“, sagt Bösch.

Mehrfach haben Redaktion und Verlag ihren Standort gewechselt. 1997 der Umzug ins Herz der Stadt, in die neue Wilhelmgalerie am Platz der Einheit. 2011 wird Peter Tiede neben Michael Erbach Chefredakteur, zwei Jahre später löst er ihn ab.  Seit 2014 führt Sabine Schicketanz die Redaktion, sie steht als erste Frau der Redaktion vor, deren Lokalchefin sie zuvor war. Der Verlag wird von Janine Gronwald-Graner geleitet. Der Umbruch in der Gestaltung und der Produktion der PNN in den vergangenen Jahren ist gewaltig. Die Webseite pnn.de wird zum zweiten Aushängeschild der Zeitung, der im Frühjahr 2020 eingeführte Newsletter ein großer Erfolg. Er zählt schon mehr als 6300 Abonnenten. 

Seit Jahrzehnten Wegweiser in der Informationsflut

Als Lokalzeitung für Potsdam und seine Umgebung bilden die PNN das Geschehen in der Landeshauptstadt ab. Immer steht auch der Service für die Leserinnen und Leser im Fokus: Derzeit mit Wegweisern durch das Dickicht ständig wechselnder Corona-Verordnungen wie auch Listen der Restaurants, die Speisen zum Abholen oder mit Anlieferung anbieten. Groß ist das Interesse der Leser an dem seit gut einem Jahr auf der PNN-Homepage angebotenen Corona-Newsblog für Potsdam und Brandenburg – seit mehr als zwölf Monaten informieren die PNN dort über das Pandemiegeschehen, mit Infektionszahlen, Inzidenzwerten, Live-Berichten von Pressekonferenzen der Landesregierung und vielen lokalen Nachrichten im Zusammenhang mit der Coronakrise.

Zur Oberbürgermeisterwahl 2018 moderieren die PNN-Chefredakteurinnen Sabine Schicketanz (r.) und Marion Kaufmann eine Podiumsdiskussion mit allen Kandidaten.
Zur Oberbürgermeisterwahl 2018 moderieren die PNN-Chefredakteurinnen Sabine Schicketanz (r.) und Marion Kaufmann eine Podiumsdiskussion mit allen Kandidaten.

© Sebastian Gabsch PNN

Es gibt Leserinnen und Leser wie die Potsdamerin Ursula Lenz, die ihrer Zeitung die Treue halten, seit sie erscheint – den PNN wie auch zuvor den BNN. Zwölf Jahre war sie jung, als die erste Ausgabe erschien. Und nach der Heirat 1965 „war es gar keine Frage, welche Zeitung abonniert werden sollte“, erzählte die 82-Jährige der PNN-Redakteurin Jana Haase. Im Alter von 15 Jahren hatte sie ihre Lehre bei der Post abgeschlossen und wurde dann an verschiedenen Orten eingesetzt. Sie schilderte auch ihr tägliches Zeitungsritual: „Am Frühstückstisch werden die Überschriften überflogen, richtig gelesen wird erst nachmittags.“ Beiträge über das alte Potsdam schnitt sie aus – für ihr eigenes Archiv.

Redakteur:innen bringen Skandale als Licht

Den Mächtigen auf die Finger zu sehen, ist eine Maxime des unabhängigen Journalismus. Bei zahlreichen Skandalen und Affären standen PNN-Redakteurinnen und Redakteure in den vergangenen Jahrzehnten an der Spitze der Aufklärung – Stichworte aus der Landespolitik sind Bodenreform- und Trennungsgeldaffäre, LEG- und Chipfabrik-Pleite, jüngst die Geheimverhandlungen um die Forderungen der Hohenzollern; in der Stadt Potsdam sind es der Potsdam-Center-Skandal, die Tram-Affäre um neue Straßenbahnen, die Stadtwerke-Affäre I und II, die Willkür des städtischen Bauamts gegen Prominente, die Hausbau-Affäre eines Baubeigeordneten, zuletzt der Corona-Ausbruch am Bergmann-Klinikum.

Im vergangenen Dezember gab es eine Auszeichnung für die PNN. Eine 100-köpfige Jury des Fachblatts „Medium Magazin“ sprach Chefredakteurin Sabine Schicketanz und ihrer Stellvertreterin Marion Kaufmann bei der Wahl zu den „Journalistinnen & Journalisten des Jahres 2020“ in Deutschland den zweiten Platz in der Kategorie „Chefredaktion regional“ zu. 

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