zum Hauptinhalt
Eindrücke der Festveranstaltung "30 Jahre Potsdamer Stadtverordnetenversammlung".

© Andreas Klaer

30 Jahre Potsdamer Stadtverordnetenversammlung: Ein Jubiläum ohne allzu heitere Anekdoten

Ehemalige und neu gewählte Kommunalpolitiker erinnerten bei einem Festakt an die erste freie Wahl der Stadtverordnetenversammlung nach der politischen Wende vor 30 Jahren. Harmonisch verlief das nicht.

Potsdam - Der heute so normale Gang in eine Wahlkabine - 1989 war er ein Affront. Da war es politisch erwünscht, dass der DDR-Bürger die Stimmzettel für die Kandidaten der Nationalen Front einfach bestätigte. Wer "Nein" sagen wollte, musste alle aufgelisteten Namen mit Lineal "fein säuberlich" durchstreichen, wie sich Historiker Thomas Wernicke erinnert - das fiel aber im Wahllokal auf, man musste also mit möglichen Repressalien rechnen.

Den Druck damals, "das alles kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen", sagte Wernicke am Dienstagabend bei der offiziellen Feierstunde zur Konstituierung der ersten frei gewählten  Stadtverordnetenversammlung am 30. Mai 1990.

Alte Verletzungen kamen zur Sprache

Das Jubiläum wurde ein Rück-, aber auch ein Ausblick. Gekommen waren rund 50 ehemalige und aktuelle Stadtverordnete, Alt- und Neu-Beigeordnete und auch Ex-Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Die zunächst für Mai geplante Festveranstaltung war coronabedingt verschoben worden, wegen der Pandemie musste man auch die Gästeliste für die Ersatzfeier, die im Havelsaal der Industrie- und Handelskammer stattfand, arg kürzen. Gleichwohl fiel das Einhalten des Abstands zueinander, gerade nach dem offiziellen Teil, vielen schwer - manche der Gäste hatten sich offensichtlich Jahre nicht gesehen. Und es gab viel zu bereden, auch über Verletzungen aus der damaligen Zeit, die immer noch nachwirken.

Die gefälschte Kommunalwahl

So erinnerte sich bei einer Podiumsdiskussion Pfarrer Hans-Joachim Schalinski, der 1989 wesentlich dazu beitrug, dass die Fälschung der Kommunalwahl in Potsdam aufgedeckt wurde, dass er damals mehr als 100 Beschwerdebriefe an die neu gewählten Abgeordneten der Potsdamer DDR-Kommunalvertretung schrieb. Doch nur zwei wollten mit ihm ins Gespräch kommen, die wenigsten hätten überhaupt geantwortet, manche seiner Schreiben seien auch als "nicht angenommen" klassifiziert zurückgekommen, so der 75-Jährige. 

Hans-Joachim Schalinski dokumentierte in Potsdam den Wahlbetrug während der letzten Kommunalwahl in der DDR.
Hans-Joachim Schalinski dokumentierte in Potsdam den Wahlbetrug während der letzten Kommunalwahl in der DDR.

© Ottmar Winter/PNN

Unter den damals Gewählten war auch Rolf Kutzmutz, in der Wendezeit Sekretär der SED-Kreisleitung und später Bundestagsabgeordneter, ein politisches Schwergewicht der Potsdamer Linken, heute Präsident von Turbine Potsdam. An den Brief von Schalinski mochte er sich auf dem Podium nicht erinnern, was für einigen Unmut im Saal sorgte, gerade bei den Potsdamer Grünen. Kutzmutz sagte aber auch, er habe lange Zeit gar nicht nachvollziehen können, dass die Wahl gefälscht wurde. "Vielleicht war ich naiv, zu instinktlos?" Wert legte der 73-Jährige auf seine Feststellung, dass es damals auch in der SED viele junge Leute mit Veränderungswillen gegeben habe.

Rolf Kutzmutz, hier als Präsident von Turbine Potsdam
Rolf Kutzmutz, hier als Präsident von Turbine Potsdam

© Jan Kuppert

"Der Anfang vom Ende der DDR"

Doch die waren offensichtlich längst nicht so radikal wie die Jugendlichen, die der heute 62 Jahre alte Historiker Wernicke damals kennen lernte. Extrem couragiert seien diese gewesen - was auch Schalinski und der Theologe Hans-Georg Baaske bestätigten. Baaske machte damals ebenso die Wahlfälschung mit publik. Dabei sei man aber auch immer wieder ins Leere gelaufen, etwa mit einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, erinnerte er sich. Und es  habe massive Drohungen gegen ihn gegeben. Gleichwohl sei das Aufdecken der Fälschung "der Anfang vom Ende der DDR" gewesen, sagte Wernicke.

Schlafentzug und Mammutsitzungen

Wernicke kam auch auf die Zeit der ersten Stadtverordnetenversammlungen zu sprechen, in denen er für das Neue Forum bis 1991 Fraktionsvorsitzender war. Das sei eine Zeit des „persönlichen Ausnahmezustands“ und des "Schlafentzugs" gewesen, die aber auch von der Euphorie des Wandels getragen worden sei. Die Sitzungen seien damals noch bis tief in die Nacht gegangen - "ohne Zeitbegrenzung", wie auch Kutzmutz schmunzelnd bestätigte. Wernicke sprach auch von einem "gewissen Pathos" bei den Entscheidungen dieser Zeit, das erlebe man so nur einmal im Leben. Nach Konflikten in seiner Fraktion und der Familie zu Liebe habe er sein Mandat dann aber im Herbst 1991 abgegeben, so Wernicke

 "Demokraten dürfen politische Gegner nicht verächtlich machen"

Die Veranstaltung wurde via www.potsdam.de im Internet übertragen, viele mahnende Worte gab es zu hören. Stadtpräsident Pete Heuer rief die Kommunalpolitiker auf, möglichst exakt zu arbeiten, so auch für Vertrauen zu sorgen. „Demokraten dürfen politische Gegner nicht verächtlich machen“, so Heuer. Zugleich dürfe man Corona- oder auch Klimawandelleugnern keinen Raum geben - dafür müsse man den Menschen aber auch Dinge erklären, "und zwar auch mehrfach". 

Pete Heuer, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, begrüßte die Gäste.
Pete Heuer, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, begrüßte die Gäste.

© Andreas Klaer / pnn

Das Wendedenkmal wird am 4. November eingeweiht

So fand der Abend auch immer wieder in die Gegenwart: Eine Nachricht brachte Kämmerer Burkhard Exner mit, der den immer noch an einer Augenverletzung laborierenden Oberbürgermeister Mike Schubert (beide SPD) vertrat: Am 4. November werde das Denkmal der Friedlichen Revolution auf dem Luisenplatz eingeweiht, also kurz vor dem alljährlichen Gedenken an den Mauerfall.   

Bei der Debatte auf dem Podium saßen mit Anna Kowalkowski und Otto Richter zwei der bekanntesten Vertreter der Jugendbewegung Fridays For Future in Potsdam. Sie sprachen von ihrem heutigen Frust, wenn sich trotz Protesten für eine andere Klimapolitik zu wenig ändere. Baaske machte deutlich, im Gegensatz zu den heutigen Klimaschützern seien die jungen Oppositionsgruppen in der DDR mit überzogener Härte behandelt worden. Den Jugendlichen gab er mit auf den Weg: „Lasst nicht locker.“ 

Dass Jugendliche heute noch immer für eine autofreie Innenstadt demonstrieren müssten, empfinde er als sehr frustrierend, sagte Baaske. Moderatorin Juliane Adam hatte daran erinnert, dass es diese Forderung schon 1989 und 1990 gegeben habe. Dazu sagte Aktivistin Kowalkowski: "Der Klimawandel ist eben nichts Neues - die Grundlagen für dieses Wissen sind seit den 1980-er Jahren bekannt." 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false