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30 Jahre Mauerfall: Vom Leben mit Passierschein und Blickfreundschaft in Klein Glienicke

Klein Glienicke war Sperrgebiet und nur über eine Brücke erreichbar. Neue Infotafeln entlang der Ex-Grenze zeigen Fotos von einst und erzählen Ortsgeschichte.

Potsdam - Die innerdeutsche Grenze schlug nirgendwo solch wilde Haken wie in Klein Glienicke. Aber das Landschaftsensemble aus Park und Schloss Babelsberg, Jagdschloss und Schloss Glienicke sowie dem mittig liegenden Schweizerdorf sollte zwischen Ost- und Westsektor halbe-halbe aufgeteilt werden. Das Dörfchen und Schloss Babelsberg fielen dem Osten zu, der Rest ging an West-Berlin. Die Grenze nahm das einst idyllische Klein Glienicke in den Schwitzkasten. Das Dorf wurde eine Enklave, die nur über die kleine Parkbrücke über den Griebnitzsee zu erreichen war. An manchen Häusern verlief die Mauer direkt am Gartenzaun. Und auch die schmalste Stelle der Ost-Republik, ein nur wenige Meter breiter Korridor, Mauer rechts und Mauer links, befand sich hier. Mitten drin zwischen zwei Dorfzipfeln, die die Bewohner Hasenohren nennen, lag der wiederum zu Wannsee und damit zum Westen gehörende Böttcherberg.

Dieser historische Irrsinn ist dem Ort heute nicht mehr anzusehen. Und doch steckt die Geschichte im Dorf, es gibt, obwohl ein Großteil der Bevölkerung heute zugezogen ist, noch immer Menschen, die sich an das Leben in der DDR erinnern. Dazu kommt 30 Jahre nach Maueröffnung ein neues Interesse an lokaler Geschichte – auch im Bürgerverein Klein Glienicke, der aus alten und neuen Klein Glienickern besteht. „Wir haben uns gedacht, das müssen wir jetzt noch mal erzählen“, sagt Marie Kogge vom Verein. Sie selber zog 2005 hierher, in ein Haus, durch dessen Garten damals die Grenze verlief.

Wie es sich früher hier lebte und was das mit den Menschen machte, ist nun auf 17 neuen Info-Tafeln nachzulesen, die entlang des Grenzverlaufs an markanten Punkten aufgestellt sind. „Erinnerungsmarken“ heißt das Projekt des Bürgervereins, das dieser in rein privater Initiative realisierte. Hilfe bekamen sie von örtlichen Unternehmern und Künstlern. Jede Tafel enthält Fotos und Text, dazu über einen QR-Code abrufbare Zeitzeugenberichte und Filme. Die Fotos wurden von Klaus Fahlbusch, Andreas Höfer, Bernd Palm, Bernd Otto, Jens Arndt und Gerhard Petzholtz zur Verfügung gestellt. Die Stelen wurden jeweils am Ort der Aufnahme des Fotos aufgestellt. Der Betrachter hat dadurch den unmittelbaren Vergleich.

Für die Recherche befragten die Vereinsmitglieder alteingesessene Klein Glienicker. Manche wollten sich nach all den Jahren nicht mehr äußern oder ihre Ruhe haben, so Kogge. Andere hätten gerne erzählt. „Das Bedürfnis, von der Zeit zu sprechen, ist noch da. Viele Geschichten waren jahrelang verschüttet.“ Ihr Eindruck sei allerdings, dass manche auch heute noch Angst davor haben, offen zu sprechen, wenn es um die politischen Verhältnisse geht. Einfacher fiel es den Menschen, vom Alltag in der Enklave zu berichten.

Unvorstellbar heute, dass man einen Passierschein brauchte, um das Grenzgebiet zu betreten. Dass sich selbst Anwohner noch jedes Mal ausweisen mussten, obwohl sich Bewohner und Posten ganz genau kannten. Die Zeitzeugen erzählen von der Schikane, die sie erlebten und von der Isolierung. „Wenn wir mal Besucher einladen wollten, dann mussten wir Passierscheine beantragen. Die Bearbeitung hat dann vier Wochen gedauert. Also spontan oder kurzfristig ging da nichts.“

Ein weiterer Autor erinnert sich an seine Oma, die in der Straße Am Waldrand wohnte. Eine Seite war Osten, die andere Westen. Über die Grenze hinweg hätten sich die Nachbarn lediglich mit Blicken begrüßen können. „Mit der Zeit entstand eine Art Blickfreundschaft.“ Als die Oma, die als Rentnerin in den Westen reisen durfte, die Nachbarin besuchen wollte, musste sie über Drewitz ausreisen und mit dem Bus durch West-Berlin nach Wannsee fahren, um nach Stunden nur wenige Meter entfernt von ihrem eigenen Haus auf der West-Seite anzukommen – eine besondere Absurdität. Ebenso wie eine Aktion der LPG Saarmund, die noch kurz vor der Wende die komplette Mauer im Ort mit Kalk weißte. „Dass sie mal wieder schön aussieht“.

In guter Erinnerung hat ein Zeitzeuge die Geschäfte. Das Angebot im Konsum und beim Fleischer sei vergleichsweise sehr gut gewesen – vermutlich, um die Klein Glienicker milde zu stimmen. „Wir hatten keine Versorgungsprobleme hier im Ort, bis die Wende kam. Dann wurde der Konsum zugemacht, der Fleischer und der Textilladen.“

Auch Fluchtversuche und Schießereien werden geschildert. Spektakulär die Flucht durch einen Tunnel. Andreas Hofer erzählt, dass er seinen Schulfreund Thomas aus der ersten Klasse in genau dem Haus besuchte und der Hausflur voller Kellerregale stand. „Dann kamen die Sommerferien und nach den Ferien kam Thomas nicht wieder.“

Weil die Tafeln, die am 3. Oktober eingeweiht wurden, sehr gut bei Besuchern ankommen, möchte der Verein eine dauerhafte Aufstellungsgenehmigung beantragen. „Das ist leider ein sehr kompliziertes und teures Verfahren“, so Kogge. Zudem ist ein Buch mit dem Material geplant. Seit die Tafeln stehen, haben sie noch mehr Berichte von Zeitzeugen bekommen. „Mit so einem Erfolg haben wir nicht gerechnet.“

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