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30 Jahre Mauerfall: Als Helmut Kohl heimlich den König besuchte

Am 9. November 2014 reiste der Kanzler der Wende privat nach Sanssouci. Der ehemalige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann war dabei und erinnert sich.

Potsdam - Der 9. November 2014 war ein kalter Tag und nur wenige Spaziergänger waren im Park Sanssouci unterwegs. Am frühen Nachmittag allerdings kam ein besonderer Gast: Helmut Kohl mit seiner Frau Maike Kohl-Richter. Den Tag des Mauerfalls, damals das 25-jährige Jubiläum, nutzte er für einen Besuch der Grabstätte Friedrich II. Die Presse wusste nichts davon, es sollte ein rein privater Termin sein. Mit dabei waren allerdings Stiftungschef Hartmut Dorgerloh, Georg Friedrich von Preußen und der damalige "Bild"-Chef Kai Diekmann, langjähriger Freund des früheren Bundeskanzlers, der diesen auch für ihn besonderen Tag noch gut in Erinnerung hat.

Kohl war zu den offiziellen Feierlichkeiten des 25. Jahrestages des Mauerfalls nach Berlin gereist. Am Abend des 9. November fand im Axel-Springer-Verlagshaus – dort, wo einst die Mauer stand – ein Botschafter-Dinner statt, mit Diekmann und Altbundeskanzler Helmut Kohl als Gastgeber. Auf das offizielle Tagesprogramm wollte Kohl jedoch verzichten und stattdessen nach Potsdam fahren. „Ich war total überrascht von seinem Wunsch, aber er wollte es unbedingt“, so Diekmann. „Gut, dann organisieren wir das“, habe er damals gesagt.

Mit Personenschutz fuhr man gemeinsam nach Potsdam und stieg unterhalb der Historischen Mühle aus. Helmut Kohl saß damals bereits im Rollstuhl, aber der Weg zur Grabstätte auf der obersten Terrasse ließ sich bewältigen. „Der Altkanzler wollte an diesem besonderen Tag nur ganz in Ruhe und alleine am Grab von Friedrich II. sein“, erinnert Hartmut Dorgerloh den Tag. Er habe Kohl dann noch erklärt, warum die Besucher gerne Kartoffeln aufs Grab legen.

Kohl selbst sei sehr still gewesen, so Diekmann. In Gedanken - und auch, weil ihm das Sprechen seit seinem Sturz sehr schwer gefallen sei. „Aber er war geistig hellwach. Sich nicht richtig mitteilen zu können, war sehr belastend für ihn, das spürte man.“

Schon einmal war Kohl hier gewesen: im Sommer 1991, als die Särge der Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. nach Potsdam überführt wurden. Offenbar für Kohl ein Ereignis, das er in besonderer Weise mit der deutschen Einheit in Verbindung gebracht hat, vermutet Dorgerloh. Auch Georg Friedrich von Preußen hatte damals an der Zeremonie teilgenommen, als 14-Jähriger. „Deshalb sollte Georg Friedrich jetzt wieder dabei sein“, so Diekmann.

Alles klappte und der Urenkel des letzten Kaisers erzählte, wie er als Kind Besuche von Helmut Kohl auf der Burg Hohenzollern erlebte und wie die DDR bereits vor 1989 Interesse daran zeigte, die Särge nach Potsdam zu holen. Verwirklicht wurde es erst Jahre später. „Ohne die Wiedervereinigung hätte der letzte Wille Friedrich des Großen nicht erfüllt werden können“, so sein Nachfahre Georg-Friedrich von Preußen.

Geschichte wird von Menschen gemacht

Kohl wollte am Tag der Wiedervereinigung an das Grab, weil ihm, wie Friedrich dem Großen, der europäische Gedanke wichtig war, sagt Diekmann. Und weil er zutiefst historisch dachte. „Er war überzeugt, Geschichte passiert nicht zwangsläufig, sondern wird von Menschen gemacht.“ An Friedrich habe ihn vor allem die Schlichtheit beeindruckt. Am Abend habe er die Botschafter in Berlin angesprochen: „Fahrt zum Grab Friedrichs des Großen und seht, wo die Deutschen herkommen.“

Die Fotos dieses Tages zeigen einen versunkenen, ernsten Menschen, dem die zunehmende Gebrechlichkeit zwar anzusehen ist, der aber dennoch Persönlichkeit ausstrahlt. Und natürlich wurde er von den Spaziergängern erkannt. Eine Frau schüttelte Kohl gerührt die Hand und erzählte, sie stamme aus dem Osten und habe einen Westdeutschen geheiratet. „Ohne Sie wären wir heute kein Paar“, sagte sie. Kai Diekmann: „Die Einheit Deutschlands, der Weg vom 9. November 1989 zum 3. Oktober 1990, ist maßgeblich auf Kohl zurückzuführen.“

Kohl war auch privat oft in Potsdam

Der 9. November 2014 war Kohls letzter Besuch in Potsdam. 2017 starb er. „Er mochte Potsdam sehr“, so Diekmann. Neben offiziellen Anlässen kam er mehrmals privat. Er besuchte 2009 die neu eröffnete Villa Schöningen und ging anschließend mit Familie Diekmann ins Il Teatro essen. Ohne Anmeldung. Beim damaligen Il Teatro-Gastronom Giuseppe Riolo, von allen nur "Pino" genannt, konnte man das machen.

2014 fuhren die Paare Kohl-Richter, Diekmann und von Preußen anschließend ins Schloss Glienicke. Zum Schnitzelessen. Da seien dann auch ihre Kinder dabei gewesen. Diekmann erzählt es, als wäre es das Normalste der Welt: ein Familienausflug mit einem gesamtdeutschen Alt-Kanzler von West nach Ost nach West. Ist es aus heutiger Perspektive wohl auch.

Vor 30 Jahren habe es jedoch auch Warnungen vor einer Wiedervereinigung gegeben. Die Grünen und die SPD seien dagegen gewesen, selbst einige europäische Staatshäupter, zum Beispiel der französische Staatspräsident François Mitterand und Englands Premierministerin Margaret Thatcher. „Viele hatten Angst vor einem neuen Nationalismus.“ 1991 gab es im Zusammenhang mit der Umbettung der sterblichen Überreste der Könige Gegendemos, auf denen der Tag als neuer „Tag von Potsdam“ bezeichnet worden sei, erinnert Diekmann. Am eigentlichen "Tag von Potsdam" am 21. März 1933 reichten sich Hitler und Hindenburg in Potsdam die Hand - das Foto des Abschiedsgrußes ging symbolhaft als Verbrüderung von Nationalsozialismus und altem Preußen in die Geschichte ein.

Fremdenfeindlichkeit nicht mit Nationalismus verwechseln

Der Journalist Diekmann warnt davor, Begriffe zu verwechseln. „Was wir jetzt haben, ist kein neuer Nationalismus, sondern Fremdenfeindlichkeit.“ Das habe nichts mit der Wiedervereinigung zu tun, sondern vielmehr mit der ostdeutschen Vergangenheit. „Die Menschen aus der DDR haben über zwei Generationen nur Diktatur erlebt, keine Demokratie. Da muss vieles gelernt und nachgeholt werden.“

Dennoch sei es für ihn persönlich 2007 die beste Entscheidung gewesen, aus Hamburg nach Potsdam zu kommen. „Ich fühle mich hier sehr wohl“, so Diekmann, der mit seiner Familie in der Berliner Vorstadt lebt. Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Probleme sehe er als positive Herausforderung und erlebe sie als „fruchtbare, dynamische Auseinandersetzung“.

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