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Potsdams damaliger Oberbürgermeister Horst Gramlich (SPD) bei der Aufstellung des Glockenspiels 1991.

© Manfred Thomas

30 Jahre Glockenspiel in Potsdam: Geister, die Potsdam (nicht) rief

Am 14. April 1991 kehrte das Glockenspiel der Garnisonkirche als Nachbau auf die Plantage zurück. Ein Gutachten untersucht nun seine Geschichte.

Potsdam - Die Sache war delikat. Das wusste man. Es würde Fingerspitzengefühl vonnöten sein. „Eine Übergabe des Glockenspiels am 14. April 1991 ist mir recht“, schreibt Potsdams damaliger Oberbürgermeister Horst Gramlich (SPD) am 23. November 1990 in einem Brief an Max Klaar von der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel (TPG). Das Stadtoberhaupt weist in dem Schreiben an Bundeswehr-Oberstleutnant Klaar in der fernen Bundeshauptstadt Bonn sogleich auf Folgendes hin: „Diese Übergabe hat in jedem Fall eine große politische Dimension, alle Aktionen sollten auf ihre Interpretation hin genau vorbedacht sein, das Mißverständnis muß ausgeschlossen bleiben.“

Glockenspiel war immer eine Gratwanderung

Gramlichs Brief, damals noch auf einer Schreibmaschine getippt, ist eines jener zahlreichen Schriftstücke, die der Historiker Dominik Juhnke vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in den vergangenen Monaten zusammengetragen hat. Juhnke verfasste im Auftrag der Stadt Potsdam ein Gutachten zur Historie des Glockenspiels an der Dortustraße – und auch zu den Inschriften der Glocken, die er sich von einer Hubbühne aus ansah. Der Anlass: Mutmaßlich rechtsextremistisches Gedankengut, das in den Inschriften der Glocken zum Ausdruck komme. So jedenfalls der Vorwurf von Kritikern des Geläuts, der schließlich im Jahre 2019 zur Abschaltung des Glockenspiels führte.

Umstritten ist das Geläut auch wegen einiger - teils schon entfernten - Glockeninschriften.
Umstritten ist das Geläut auch wegen einiger - teils schon entfernten - Glockeninschriften.

© Andreas Klaer

Die von Juhnke zusammengetragenen Unterlagen zeigen: Eine Gratwanderung war das Projekt Glockenspiel schon 1990. Rückbesinnung aufs alte Potsdam – ja! Aber bitte den bösen Geist aus braunen Tagen nicht aus der Flasche lassen – das war die Aufgabe, der sich die damals Verantwortlichen in Potsdam zu stellen hatten. Heute vor 30 Jahren, am 14. April 1991, dem 46. Jahrestag der Zerstörung Potsdams, wurde auf der sogenannten Plantage in Potsdam das Glockenspiel eingeweiht. Es war ein Nachbau des Geläuts der alten Garnisonkirche, die im Krieg zerstört wurde und deren – zwischenzeitlich wieder in Teilen genutzte – Ruine man im Sozialismus mit einigen Ladungen Sprengstoff bedachte, bis der Gerlach-Bau nur noch ein großer Haufen Schutt war.

Erste Glocken in Iserlohner Kaserne aufgebaut

Schon in den 1980er-Jahren initiiert Max Klaar, gebürtiger Berliner, Jahrgang 1941, den Nachbau des Potsdamer Glockenspiels, für dessen Finanzierung er mit seiner TPG Spender gewinnen kann. Der Oberstleutnant war Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 271 im westfälischen Iserlohn. In der dortigen Winkelmann-Kaserne ließ Klaar 1984 das – zunächst nur aus neun Glocken bestehende – Geläut aufstellen. Schon damals gibt es Protest. Besonders in der Kritik: die Glocke mit der Inschrift „Gott schütze unser Bataillon“. Die Gegner lehnten eine solche Verquickung von Glaube und Militär ab. 

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Am 14. April 1986 wird in Iserlohn die Erweiterung des Glockenspiels auf 24 Glocken gefeiert. Klaar hält dabei eine Rede. Juhnke zitiert den Militär unter anderem mit diesen Worten: Deutschland sei „mehr als das, was zwischen 1933 bis 1945 durch uns und an uns geschah“. Klaar bezeichnete demnach das Glockenspiel als „wohl das kostbarste Symbol unserer preußisch-deutschen Geschichte“. Im Jahr 1987 wirbt der Oberstleutnant um weitere Spenden. Was nicht für das – im selben Jahr nochmals erweiterte – Glockenspiel benötigt werde, solle der Wiedererrichtung der Garnisonkirche in Potsdam zugute kommen, „wenn unser Vaterland nicht mehr gewaltsam getrennt leben muß“.

Klaar: Übergabe mit fackeltragenden Soldaten

Schon im Januar 1990 berichten die Brandenburgischen Neuesten Nachrichten (BNN), wie die PNN damals hießen, von dem Iserlohner Glockenspiel und der dortigen Idee, das Geläut im Falle der Wiedervereinigung in Potsdam aufzustellen. Nach diversen vorherigen Kontakten nach Potsdam schreibt Klaar am 9. November 1990 einen Brief an Gramlich, in dem er von einem Gespräch mit Kulturstadträtin Saskia Hüneke (damals Neues Forum) berichtet. Er, so Klaar, habe dabei vorgeschlagen, die Übergabe des Glockenspiels von Soldaten mit Fackeln einrahmen zu lassen. Hüneke sei diesem Vorschlag entgegengetreten, in Potsdam als Stadt des Friedens werde eine Bundeswehrbeteiligung nicht gewünscht. Daraufhin fragt Klaar in seinem Brief an Gramlich, ob die Stadt das Glockenspiel von den Fallschirmjägern übergeben bekommen wolle oder ob man eine schlichte Übergabe ohne Soldaten bevorzuge.

Deutschlandkarte von 1937 abgeschliffen

Hierauf antwortet Gramlich mit jenem Schreiben vom 23. November, in dem er sich um mögliche Missverständnisse sorgt. Gramlich verweist in seinem Brief auf ein vorangegangenes Treffen Klaars mit dem Vorsitzenden des Potsdamer Kulturausschusses Horst Prietz (CDU). In der Unterredung am Kölner Hauptbahnhof hatten beide verabredet, dass die Deutschlandkarte in den Grenzen von 1937, die sich auf einer der nach Potsdam zu überführenden Glocken befindet, abgeschliffen werden soll. Ebenso wolle man auf weiteren Glocken die Inschriften „Königsberg“, „Breslau“, „Schlesien“, „Stettin“, „Pommern“ und „Ostpreußen“ beseitigen, was daraufhin noch vor der Überführung nach Potsdam in einer niederländischen Gießerei geschieht. Das Treffen zwischen Prietz und Klaar sei zwar eine inoffizielle Unterredung gewesen, schreibt Juhnke, jedoch hätten ihm gegenüber beide Herren erklärt, dass ohne diese Vereinbarung über das Beschleifen der Glocken die Aufstellung des Geläuts in Potsdam nicht stattgefunden hätte.

Das umstrittene Glockenspiel sollte auch für den Wiederaufbau der Garnisonkirche werben.
Das umstrittene Glockenspiel sollte auch für den Wiederaufbau der Garnisonkirche werben.

© Repro: Mitteschön

Auf die Plantage an der Potsdamer Dortustraße hatte es hingegen die „Suum Cuique-Glocke“ geschafft – dort fälschlicherweise „Quique“ geschrieben – „Jedwedem das Seine“, ein Spruch antiken Ursprungs. In der deutschen Übersetzung „Jedem das Seine“ stand er am Tor des Konzentrationslagers Buchenwald. Eine weitere Glocke trägt unter anderem die Inschrift „Clausewitz/Kyffhäuserbund“, die „Schlesien-Glocke“ wiederum befindet: „Kein Unglück Ewigk – Schlesische Truppen –“. Auch wenn „Lebe beständigk, keyn Unglück ewigk“ der Regimentsfahnenspruch des Grenadierregiments „König Friedrich der Große“ war, so ist die auf der Glocke hergestellte Verbindung zu Schlesien dennoch mindestens mehrdeutig.

Andere Glocken, wie etwa die „Berlin-Glocke“ und die „Iserlohn-Glocke“ mit den Namen der beiden Städte als Inschriften mögen hingegen völlig unverdächtig erscheinen. Um den Schutz des Militärs durch Beistand von oben bitten gleich zwei Glocken: „Gott schütze unser Bataillon“.

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