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Wölfe in Potsdam-Mittelmark: Wolfs Revier ist jetzt im Berliner Ring

Wolfsexperten gehen nach neuen Fotobeweisen davon aus, dass sich das Lehniner Rudel dauerhaft in der Bliesendorfer Heide eingerichtet hat. Für ein eigenes Revier reicht der Platz dort aber nicht.

Werder (Havel) - Sie begutachten den Stamm ohne Rinde, schnuppern interessiert am Boden entlang, inspizieren die Äpfel und richten sich für länger ein. Eine Gruppe von fünf Wölfen ist am 6. März kurz nach 22 Uhr im Wald bei Bliesendorf in die Fotofalle getappt. Wolfgang Brückner, Jagdpächter für Glindow und Bliesendorf, hat die Wildkamera mit Bewegungsauslöser vor einiger Zeit an der Salzlecke, einer Wildlockstelle nur ein paar Hundert Meter vom Bliesendorfer Ortsrand entfernt, aufgestellt.

"Die sind jetzt ständig da"

Schon am 21. November war hier, in Sichtweite der Kirche, ein einzelner Jungwolf in die Fotofalle getappt, eine Premiere innerhalb des Berliner Rings. Die Wolfsgruppe vom 6. März ist erneut ein Novum, Brückner glaubt nicht mehr an Zufall. „Die sind jetzt ständig da.“ Brandenburgs Wolfsbeauftragter Kay-Uwe Hartleb stimmt auf PNN-Nachfrage zu. Er geht angesichts der neuen Fotobeweise davon aus, dass der Bliesendorfer Wald Teil des Lehniner Wolfsreviers auf der anderen Autobahnseite geworden ist, dessen Kern auf dem dortigen Truppenübungsplatz liegt. Der für das Lehniner Revier zuständige Experte Thorsten Fritz hält diese Lesart für naheliegend. „Es ist zu vermuten, dass die Wölfe das Revier ausgedehnt haben.“

Ein gutes Dutzend Wölfe sollen in der Lehniner Heide leben. Offenbar hätten die Lehniner Tiere zwei sichere Wechsel über die Autobahn gefunden, meint Hartleb – beim Überqueren der Autobahn sind in diesem Jahr schon vier Wölfe gestorben. In der Bliesendorfer Heide gibt es aber eine breite Wegunterführung und auch der Radwanderweg R1 führe über die Autobahn hinweg. Jäger Brückner spricht ebenfalls davon, zumindest einen sicheren Wechsel entdeckt zu haben, den die Wölfe regelmäßig nutzten. Erstmals sei er vor drei Jahren einem Wolf begegnet, der in der Nähe des Bliesendorfer Kreisverkehrs über die Straße gelaufen ist, erzählt der Jagdpächter. „Ich war damals fix und fertig.“

Inzwischen komme es, auch bei Jagdfreunden, immer wieder zu Begegnungen in der Gegend. In den verschneiten Wochen dieses Winters habe er jede Woche Wolfsspuren entdeckt. „Weil die inzwischen eben raushaben, wie sie gefahrlos über die Autobahn kommen“, glaubt Brückner. Was ihn umtreibt, ist, dass sich die Wölfe so nah am Siedlungsrand einrichten, „wo alle Fachleute behaupten, dass sie einsame Naturräume bevorzugen“. Bliesendorfer würden in dem Wald spazieren gehen, dort ihre Hunde ausführen oder Pilze suchen. Brückner sieht die Gefahr, dass die Lage außer Kontrolle gerät. „Und was ist, wenn ich ein Wildschwein schieße und es aufbreche, bin ich dann Fressfeind?“

Wölfe sind nicht so scheu wie behauptet

Auch Georg Baumann, Geschäftsführer des Landesjagdverbandes, ist zunehmend skeptisch, „wenn einer grenzenlosen Ausbreitung des Wolfs das Wort geredet wird“. Jagdunfälle habe es zwar noch keine gegeben – allerdings Fälle, wo der Wolf bei der Nachsuche nach angeschossenem Wild schneller war als die Hunde. Wenn er sich vor dem Menschen nicht fürchten muss, sei Isegrim bei Weitem nicht so scheu wie behauptet wird, meint Baumann. „Er kommt immer näher.“

Jägerchef Baumann will nicht missverstanden werden: Er begrüße, dass der Wolf wieder seinen Platz in Deutschland habe. Jäger könnten helfen, dass sich die Ansiedlung mit der Kulturlandschaft verträgt. „Wenn wir beim Wolf keinen Unterschied mehr zu Reh und Wildschwein machen, sind wir auf einem guten Weg.“

Wolfsbeauftragter Kay-Uwe Hartleb sieht das anders, rät zu mehr Gelassenheit. „Brüssel sagt, dass der Wolf bei dieser Population gefährdet und die Jagd ausgeschlossen ist, ich halte das für richtig.“ Die Jagd auf ein Beutetier könne ohne biologisches Wissen auch zu unerwünschten Nebeneffekten führen. So sei bei einem Brandenburger Rudel, aus dem illegal ein Rüde geschossen wurde, alles durcheinander geraten. „Statt einem gab es zwei Würfe.“ Jäger sollten sogar froh sein, wenn angeschossenes Wild von Wölfen gefunden wird. Hartleb: „Ich habe mehr Angst vor einem angeschossenen Keiler als vor einem Wolf.“

Wolfssichere Zäune seien ein Muss

Hundebesitzern in Wolfsrevieren und nun auch in Bliesendorf rät Hartleb allerdings dringend, ihre Tiere nicht nur im Wald, sondern grundsätzlich an die Leine zu nehmen. Hunde könnten als Eindringling oder Beutetier wahrgenommen werden – seltener auch als Geschlechtspartner. Landwirte, die ihre Nutztiere in einer solchen Gegend nicht schützten, handelten grob fahrlässig, so Hartleb mit Verweis auf drei Raubzüge in Cammer und Brück in der vergangenen Woche. Wolfssichere Zäune seien ein Muss.

Der Landeswolfsbeauftragte ist sich sicher, dass die Wölfe angesichts der dichter werdenden Besiedlung nicht weiter als an den Bliesendorfer Autobahnrand vordringen. Die Bliesendorfer Heide sei für die Lehniner Wölfe als nahe Nahrungsquelle interessant, für ein eigenes Revier aber zu klein. Anders sehe es bei Falkensee aus, wo – kurz nach der ersten Dokumentation in Bliesendorf – Ende November ein durch einen Vorgarten laufender Wolf von einem Privatmann gefilmt wurde. „Der Nauener Stadtwald könnte zusammen mit dem Krämerwald eventuell groß genug für ein Revier sein“, so Hartleb. Der Berliner Ring sei eine von Menschen gedachte, keine natürliche Grenze.

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