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Er nistet gern in der Nähe der Windparks. Doch die Gefahr, die von den Rotoren ausgeht, unterschätzt der seltene Rotmilan offenbar. Die Opferzahl in Brandenburg wird vom Landesumweltamt auf jährlich mehr als 300 geschätzt.

© dpa

Windparks in Potsdam-Mittelmark: Brandenburgs Wappentier in Gefahr

Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums warnt vor Verlusten bei Greifvögeln. Ein Schweizer Umweltbüro widerspricht, doch auch Brandenburgs Landesumweltamt fürchtet das Ende des Rotmilans.

Werder (Havel) / Potsdam - Wird Brandenburgs Wappentier durch Windräder zerhäckselt? Wird der Rotmilan, der in keiner Region so zu Hause ist wie in der Mark, bald von der Bildfläche verschwinden? Allein im Einzugsgebiet des Bliesendorfer Windparks befinden sich drei Rotmilanhorste. Sind sie bedroht, wenn Prokon aus Itzehoe und UKA aus Meißen dort demnächst ihre neuen Windkraftanlagen aufstellen werden?

Bestände des Rotmilans in Gefahr

Der Rotmilan gilt als starkes Symbol, wenn es um die Bedrohung der Vogelwelt beim Ausbau der Windenergie geht. Eine Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat, legt nahe, dass die Bestände des seltenen Greifvogels durch den weiteren Ausbau der Windenergie tatsächlich in Gefahr geraten. Die sogenannte Progress-Studie wurde bereits 2012 gestartet, dem Ministerium liegt inzwischen ein fertiger Entwurf vor. Viele warten auf die Ergebnisse. Doch veröffentlicht ist die Studie – das Ergebnis des bislang weltweit größten Forschungsprojektes dieser Art, das die Uni Bielefeld mit mehreren Umweltbüros erstellt hat – noch nicht. Voraussichtlich im April werde es soweit sein, sagte Projektbearbeiter Thomas Grünkorn gestern gegenüber den PNN.

Er erzählt, wie in ganz Norddeutschland 47 Windparks mit mehr als 1000 Windrädern mit einer eigens entwickelten Methodik nach Schlagopfern abgesucht wurden. Es wurden gedachte Schneisen durch die Windparks geschlagen und abgesucht, Funde erschlagener Vögel – abzüglich einer Reihe von Korrekturfaktoren – auf den Windpark hochgerechnet. „Für einen Großteil der Singvogelarten können wir Entwarnung geben“, so Grünkorn, der von diesem Ergebnis selbst etwas überrascht wurde. Für Greifvogelarten wie den Mäusebussard oder den Rotmilan sieht es weniger gut aus. Deren Population könne durch Revierbildung und geringe Präsenz sehr stark von Windparks betroffen sein, so Grünwald zum Ergebnis der Studie.

Zweifel an den Ergebnissen

Schon gibt es erste Zweifel an diesen Ergebnissen, geäußert werden sie von Oliver Kohle, Geschäftsführer des Schweizer Umweltbüros Kohle-Nusbaumer. „Die Progress-Studie läutet eine nicht zu rechtfertigende neue Eskalationsstufe im Konflikt zwischen Vogelschutz und Windenergie ein und wird einen konstruktiven Dialog mit Naturschutzorganisation verunmöglichen“, hat er ans Bundeswirtschaftsministerium geschrieben. So ist vorab eine Zahl aus der Progressstudie bekannt geworden, wonach allein in Schleswig-Holstein jährlich 1600 Mäusebussarde an Windenergieanlagen tödlich verunglücken. Dies würde, sagt Kohle, im krassen Missverhältnis zu den jährlich durchschnittlich 0,5 Totfunden stehen, die in der zentralen deutschen Fundkartei für Kollisionsopfer genannt werden, die in Brandenburg geführt wird.

Kohles Büro hat eine eigene Studie zu dem Thema erstellt, aus eigenem Antrieb und im Nachgang von Schweizer Energiekonzernen finanziert, wie er den PNN auf Anfrage sagte. „Windenergie und Rotmilan – ein Scheinproblem“ lautet der Titel der Untersuchung. Ergebnis: Der Bestand des Rotmilans in Deutschland ist in den vergangenen 15 Jahren um 40 Prozent angestiegen, parallel zum Bau von 26 000 Windenergieanlagen. „Das Kernbrutgebiet der Art hat sich drastisch von Nordosten ausgehend nach Süddeutschland und darüber hinaus in die Schweiz vergrößert“, heißt es weiter. Kohle-Nusbaumer haben für die Zahlen laut eigener Aussage Brutvogel- und Zugvogelzählungen herangezogen.

Die ganze Studie zum Nachlesen gibt es hier: Download >>

Verlust von Grünland und Stilllegungsflächen

Dass in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt Milan-Bestände seit der Wiedervereinigung abgenommen haben, sei im Verlust von Grünland und Stilllegungsflächen begründet, die für die Nahrungsbeschaffung besonders geeignet seien. Verluste durch Windenergie für den Rotmilan belaufen sich derweil, wie es in der Studie weiter heißt, auf eine Größenordnung von unter einem Prozent der Gesamtverluste.

Die Schweizerische Vogelwarte hat die Expertise bereits als „unwissenschaftlich“ zerlegt. Selbst wenn es den Rotmilan jetzt auch in der Schweiz gibt, würden die europaweiten Bestände nachweislich abnehmen – und zwar besonders dort, wo die Windkraft ausgebaut wird. Auch im Landesumweltamt Brandenburg ist man eher den Autoren der Progresstudie als Kohle-Nusbaumer zugeneigt.

Halbjährlich werden Untersuchungsergebnisse der Staatlichen Vogelschutzwarte des Landesumweltamtes in Buckow (Märkisch-Oderland) veröffentlicht, die Zahlen gelten bundesweit als Orientierung, wenn über den Vogelschutz und Windkraft diskutiert wird. Demzufolge gab es in den vergangenen 15 Jahren deutschlandweit 300 Schlagopfermeldungen beim Rotmilan, 70 davon in Brandenburg, wo sich rund 1200 Reviere befinden. Vor allem Brut- und Altvögel sind den Erhebungen zufolge betroffen, Brutausfälle seien die Folge.

Jeder dritte Rotmilan fällt Windrad zum Opfer

Windräder, so heißt es in der jüngsten Dokumentation der Vogelschutzwarte, seien in kurzer Zeit auf Rang 1 der dokumentierten Verlustursachen beim Rotmilan in Brandenburg gestiegen. Teilweise wird direkt auf die Studie der Schweizer Bezug genommen: So sei jeder dritte Rotmilan, dessen Verlust in den vergangenen Jahren dokumentiert werden konnte, einem Windrad zum Opfer gefallen – nicht jeder Hundertste, wie es bei Kohle-Nusbaumer heißt. Das Landesumweltamt zitiert Datenanalysen, laut denen in Brandenburg beim Ausbaustand von 2012 jährlich mehr als 300 Rotmilane nach der Kollision mit Windrädern sterben. Eine Zahl, die inzwischen noch gestiegen sein dürfte.

Bei Inbetriebnahme der bereits genehmigten und geplanten Windparks drohten „höchstwahrscheinlich Auswirkungen auf Populationsebene, insbesondere bei einer langlebigen Art wie dem Rotmilan“, wird aus der Vogelschutzwarte gewarnt. Damit ist dann auch der neue Bliesendorfer Windpark gemeint.

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