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Wilhelmshorst: Die unsichtbare Kirche

Das Wilhelmshorster Gotteshaus wurde vor 80 Jahren versteckt hinter Bäumen errichtet Eine neue Ausstellung erklärt, wie der Kirchenbau unter den Nationalsozialisten überhaupt möglich war.

Von Enrico Bellin

Michendorf - Wer zum ersten Mal in Wilhelmshorst die Kirche besuchen will, wird höchstwahrscheinlich an ihr vorbeifahren. Kurz hinter dem Goetheplatz steht das kleine Gotteshaus an der Peter-Huchel-Chaussee leicht nach hinten versetzt und von Bäumen eingefasst. Wäre nicht ein kleines Eisenkreuz am Turm angebracht, man würde die Kirche für eine Villa im toskanischen Stil halten. Vor 80 Jahren wurde das Haus geweiht. Eine Ausstellung im Gemeindehaus erklärt ab Samstag, warum Wilhelmshorst im Gegensatz zu den Nachbarorten kein weithin sichtbares Kirchengebäude hat.

„Eigentlich hatte Ortsgründer Wilhelm Mühler den heutigen Goetheplatz schon in einem Plan von 1907 für einen großen Kirchenbau vorgesehen“, sagt Rainer Paetau, der Vorsitzende des Ortsgeschichtsvereines, der die Ausstellung organisiert. Deshalb erhielt der Platz seine bis heute erhaltene ovale Form. Jeder, der in den vor 110 Jahren gegründeten Ort zog, musste Geld in einen Kirchenbaufonds einzahlen. Doch dann machte das Weltgeschehen die Kirchenträume zunichte: Mit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg verlor das Geld immens an Wert, was auch den Kirchbaufonds betraf. „1923 mussten die Wilhelmshorster praktisch wieder bei null anfangen“, so Paetau. Drei Jahre später gründeten sie eine eigene Kirchengemeinde, vorher gehörten sie zum benachbarten Langerwisch.

Der Wunsch nach einer eigenen Kirche wurde immer größer, erste Pläne für ein großes Haus auf dem noch als „Kirchplatz“ bezeichneten zentralen Flecken wurden erstellt. Zwar war der Ort mit einigen Hundert Bewohnern noch recht klein – heute wohnen mehr als 3 000 Menschen in Wilhelmshorst –, doch waren damals fast alle evangelisch.

Dann kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Einen Kirchbau an exponierter Stelle mitten im Ort wollten sie auf keinen Fall. Ausgerechnet ein NSDAP-Mitglied und ein Mitglied des „Kampfbundes für Deutsche Kultur“, der unter anderem das Bauhaus als „entartet“ geißelte und gleichzuschalten versuchte, bescherte den Wilhelmshorstern dann ihre Kirche: der Berliner Architekt Winfried Wendland. „Wilhelmshorst war ja auch ein braunes Nest, durch die Nähe zu Berlin haben hier einflussreiche Nationalsozialisten gewohnt“, so der Ortshistoriker. Die hätten den Berliner Wendland überreden können, ihre Kirche zu planen.

Mit seiner Idee, die Kirche statt in der Ortsmitte am eigentlich für das Pfarrhaus reservierten, versteckteren Ort in kleiner Kubatur zu bauen, konnte Wendland das damalige Bauamt überzeugen. In Ursprungsplänen war der Kirchturm sogar niedriger als das Hausdach. In der Endfassung, die identisch mit der heute stehenden Kirche ist, ist der Turm so hoch wie der Dachfirst. Etwa 15 000 Reichsmark hatten die Wilhelmshorster gesammelt. 1936 begann der Kirchbau, ein Jahr später stand die Kirche.

Um ihrem Willen für eine Kirche Ausdruck zu verleihen, hatten die Wilhelmshorster sich schon 1934 eine 260 Kilogramm schwere Glocke besorgt, die zwischen zwei Kiefern nahe des Schulhauses gehängt wurde. Im oder vor dem Schulhaus hielt der Pfarrer damals die Predigten. „In einer Waldgemeinde ist es ja ganz schön, im Sommer draußen den Gottesdienst zu feiern“, so Rainer Paetau. Deshalb erhielt der Kirchturm unterhalb der Glocke auch eine Plattform, von der aus der Pfarrer im Sommer zu seiner Gemeinde reden konnte.

Während ein überzeugter Nationalsozialist also dafür verantwortlich ist, dass die Gemeinde ein eigenes Gotteshaus bekam, herrschte innen der Geist der bekennenden Kirche: Pfarrer Bruno Haese sorgte dafür, dass über dem Altar der Bibelspruch „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich“ angebracht wird. „Das ist die erste These des Barmer Bekenntnisses von 1934“, sagt Rainer Paetau. Dieses Bekenntnis war das Fundament der Bekennenden Kirche, die sich im Gegensatz zur Deutschen Kirche weigerte, Adolf Hitler als von Gott gesandten Führer anzuerkennen. „Eigentlich war der Architekt damals für die Innenausstattung der Kirche zuständig“, so der Ortshistoriker. Ob er die Bedeutung des Spruches schlicht nicht kannte oder den Pfarrer trotzdem gewähren ließ, ist nicht bekannt. „Dieser Spruch ist eine Bombe, da können wir Pfarrer Haese nur dankbar für den Weitblick sein“, findet Rainer Paetau. Schließlich passe er auch hervorragend auf die spätere DDR-Zeit. In der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz gehört das Barmer Bekenntnis sogar noch immer zur Grundlage für die Ordination von Pfarrern.

Ab 1938 holte sich Pfarrer Haese, der die Gemeinde seit ihrer Gründung betreute und gleichzeitig auch in Langerwisch Pfarrer war, mit Otto Dudzus sogar einen Schüler von Dietrich Bonhoeffer als Hilfspfarrer nach Wilhelmshorst. Bonhoeffer war ein profilierter Vertreter der Bekennenden Kirche und an der Planung des Hitler-Attentates vom 20. Juli 1944 beteiligt.

Nachdem 1949 auch noch die Orgel des Potsdamer Bauers Schuke installiert wurde – eigentlich Ende der 30er-Jahre geplant, wegen des Zweiten Weltkrieges aber verschoben –, begannen für die Kirche wenige ereignisreiche Zeiten. Im Jahre 2001 wurde sie unter Denkmalschutz gestellt und komplett saniert, seither zeigt sie sich dem Besucher wieder im Originalzustand – wenn er sie denn findet. Enrico Bellin

Die Ausstellung ist am Samstag ab 16 Uhr im Wilhelmshorster Gemeindezentrum, Albert-Schweitzer-Straße 9-11, und noch einmal am 19. März von 14 bis 18 Uhr zu sehen

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