zum Hauptinhalt
Vor dem Gartentor abgestellte Müllbeutel, Essensreste auf dem Kompost oder frisch gesteckte Blumenzwiebeln locken Wildschweine immer wieder weit in dicht besiedelte Ortschaften. Beim Stöbern nach Essbarem verursachen die Tiere jedoch nicht selten erhebliche Schäden.

© Steffen Rasche/dpa

Wildschweine in Potsdam-Mittelmark: Widerborstig

Die Zahl der Wildschweine in Potsdam-Mittelmark ist deutlich gestiegen, die Schäden sind erheblich. Die Jäger sind aber weitgehend machtlos.

Kleinmachnow - Zurzeit ist es wieder besonders schlimm. Sie wühlen sich durch Gärten, erschrecken Spaziergänger im Park und rauben nicht nur Anwohnern von Waldstücken den Schlaf. Die Wildschweine sind wieder da. Was wie aus einem Horror-Film klingt, ist im Berliner Umland seit Jahren pure Realität. Lange schien die Lage im Griff, doch jetzt sind die unliebsamen Borstentiere zurück und stellen Jäger und Gemeinden erneut vor große Probleme. „Der Etat für Wildschäden in der Gemeinde von 5000 bis 6000 Euro im Jahr ist jetzt schon um 500 Euro überschritten“, erklärte der Bürgermeister der Gemeinde Kleinmachnow, Michael Grubert (SPD), am Dienstag gegenüber der Presse. Gehäuft würden auch von Einwohnern Schäden auf ihren Grundstücken gemeldet. Selbst vor dem Garten des Bürgermeisters und auch des Jagdpächters Peter Hemmerden machten die Schwarzkittel nicht halt. Hemmerden hat die Eindringlinge nachts gefilmt, wie sie Kirschen von seinem Baum fraßen. „Respektlos“ nennt er das.

In Wohngebieten gibt es genug zu futtern

Immer öfter zieht es die Wildschweine aus den nahe gelegenen Wäldern ins Wohngebiet. Hier finden sie ideale Nahrungs- und Lebensbedingungen vor. Der großflächige Maisanbau in unmittelbarer Nähe zu den riesigen Wald- und Feuchtgebieten lockt sie ebenso an wie das Futter, das ihnen die Einwohner im Umland bieten. Fallobst im Garten, Komposthaufen, im Wald abgelegtes Gras, das verwittert und mit dem sich darin entwickelnden Kleinstgetier eine „wunderbare Nachspeise“ für die Wildschweine bietet, erläutert Grubert. Wildschweine fressen einfach alles, ergänzt Peter Hemmerden. „Mais, Weizen, Raps“, selbst Blumenzwiebeln seien eine Delikatesse.

Um der Rotten Herr zu werden, sei es wichtig, die Anreize zu reduzieren, die sie in die Siedlungen führen, sagt der 54-Jährige. Seit zehn Jahren ist Hemmerden als Jäger aktiv, seit fünf Jagdpächter von Stahnsdorf und Kleinmachnow. So etwas wie jetzt haben er und sein Kollege, Jörg Fenske, lange nicht erlebt. 50 bis 100 Tiere erlegen die Jagdpächter und ihre rund ein Dutzend Kollegen durchschnittlich in jedem Jahr. In diesem sind es im Vergleichszeitraum bereits 30 bis 35 Prozent mehr. „Und die Jagdsaison beginnt erst“, sagt Hemmerden. Die Zunahme der Population sei kein Kleinmachnower oder Stahnsdorfer Phänomen, sagt der erfahrene Jäger, sondern lässt sich mit einer Gesamtzunahme an Wildschweinen im gesamten Bundesgebiet, gar in Europa aufgrund der Veränderungen in der Landwirtschaft und des Klimas erklären. Viele Wildschweine kämen aus dem Berliner Forst ins Umland, vermutet Hemmerden.

4000 Wildschweine in und um Berlin

Vor knapp zehn Jahren waren die ersten Wildschwein-Rotten am Rande der Hauptstadt aufgetaucht, heute leben schätzungsweise weit über 4000 Tiere in und um Berlin. Doch nicht jedes Tier, das ihnen vor die Flinte kommt, können und wollen die Jäger erlegen. „Wir sind keine Killer“, erklärt Hemmerden, sondern Pächter, die dem Jagdgesetz unterliegen und denen der Schutz und die Hege des Wildes am Herzen liege.

Vor allem innerorts sei es problematisch auf die Tiere zu schießen. „Es gibt viele Menschen, die fühlen sich gestört, wenn wir mit der Waffe im Ort unterwegs sind und reagieren äußerst sensibel“, weiß der 54-Jährige. Andere würden erwarten, dass die Jäger jederzeit von dem Schussrecht Gebrauch machen. In diesem Spannungsfeld würden sich die Jagdpächter ständig bewegen. Die Sicherheit gehe aber stets vor. „Von der Jagd darf keine größere Gefahr ausgehen als vom Schwein“, erklärt Hemmerden. In Kürze werden beide noch gelbe Westen mit Gemeindewappen erhalten, die sie als Gemeindejäger erkennbar machen und somit ein Stück weit gegenüber besorgten Bewohnern legitimieren.

Keine Grund zur Panik

Das Jagdgebiet der beiden Pächter erstreckt sich über rund 1000 Hektar von der Ortsgrenze Kleinmachnows bis zum Ortsausgang von Stahnsdorf. Für einige Grundstücksflächen, etwa Sport- und Grünanlagen, erteilte die Untere Jagdbehörde zudem eine Sondergenehmigung. Nur hier dürfen die Jäger überhaupt aktiv werden. Sie hätten auch versucht, die Tiere mit Vergrämungsmitteln zu vertreiben oder mit Fallen zu fangen. Als probate Alternativen erwiesen sich beide aber nicht. Letzten Endes können Fenske und Hemmerden auch nur die Symptome bekämpfen, nicht die Ursachen, erklären sie. Das geht nur im Zusammenspiel mit den Bewohnern im Umland. Der Schlüssel liegt in der Aufklärung, sagt auch Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers (BfB). „Wir müssen präventiv wirken, dürfen die Wildschweine nicht anlocken“, erklärte er. Anfang des Jahres hatte eine Wildschweinrotte in einem Waldstück an der Annastraße für Beunruhigung gesorgt, zwei Jungs flüchteten auf einen Baum, andernorts war eine Passantin von einem Wildschwein an einer Bushaltestelle umgerannt worden (PNN berichteten). Grund zur Panik bestehe aber nicht. „Wildschweine sind keine Raubtiere“, beruhigt Peter Hemmerden. Wer sich überraschend einem Schwarzkittel gegenübersieht, sollte zuallererst Ruhe bewahren. Nur wenn sie in die Enge getrieben oder aufgescheucht werden, werden sie tatsächlich zur Gefahr.

Unter info@jagdpaechter.com können Wildschwein-Begegnungen gemeldet werden. Die Informationen werden an die Jagdpächter weitergeleitet, die diese sammeln und besondere Schwerpunkte beobachten. Etwa im Bannwald, in Wolfswerder, auf dem Seeberg oder am Teltowkanal. Wichtig ist, dass die von den Jagdpächtern errichteten Hochstände nicht zerstört werden, appelliert Bürgermeister Michael Grubert. Dies komme immer wieder vor und behindere die Arbeit der Jäger.

Zur Startseite