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"Werder klingt": Richtig knusprig

Stehende Ovationen für Handschellen aus Plüsch, hochkarätigen Jazz aus Dänemark und ein fulminant schnurpsendes Plastikschweinchen: Der Samstagabend bei „Werder klingt“ im Scala Kulturpalast

Er habe eine bange Nacht gehabt, gestand Thomas Walter Maria gleich zu Veranstaltungsbeginn am Samstag im Scala Kulturpalast. Denn im Gegensatz zum gut besuchten Eröffnungskonzert am Freitag mit Stargast Nathalie Kollo, schien die zweite Veranstaltung des Musikfestivals „Werder klingt“ zum Desaster zu geraten, denn der Vorverkauf hatte gerade einmal 30 Tickets erbracht. Doch dann bildeten sich eine halbe Stunde vor Konzertbeginn lange Schlangen an der Abendkasse und zunehmend füllte sich auch der Saal mit seinen 200 Plätzen. Er sei nahe am Herzinfarkt gewesen, sagte Festivalinitiator Thomas Walter Maria und bat das Publikum flehentlich: „Kauft im nächsten Jahr eure Karten bitte im Vorverkauf, tut mir das nicht noch einmal an!“

Gleich im Anschluss erfolgte auf der Bühne ein rasanter Einsatz der Jazzpolizei, die die Gäste im Saal aufforderte: „Bitte gehen Sie aus sich heraus, wir wissen, dass Sie da drin sind!“ Schon die Mützenmaskerade des Berliner Trios sorgte für Heiterkeit. Während Banjospieler Ansgar Vollmers Kopf nur ein Kinderhütchen schmückte, machte die ballonförmige Polizeimütze von Trompeter Jay Hahn deutlich, wer hier ranghöchster Ordnungshüter ist, trotz der raumgreifenden Instrumentengröße des Sousaphons von Masju Grabisch.

Zu weiteren modischen Accessoires der Band gehörten goldene Biesen, die sich statt an der Naht vorn an der Bügelfalte der Hosen befanden sowie Handschellen aus Plüsch. Dass die Waffen dieser mobilen Einsatztruppe akustischer Art sind, versteht sich von selbst. Sie verjazzte Ohrwürmer aus dem Dschungelbuch, ein Weihnachtslied und den Macki-Messer-Song mit Megaphonsolo. Schräg war auch ihre Russisch-Variante des bekannten Liedes „Moskauer Nächte“, die zum Schenkelklopfer geriet, denn nicht nur Babuschka und Gorbatschow nebst Kalaschnikow kamen darin vor, sondern auch das von Moskau weit entfernte Nowosibirsk.

Trotz der Entfernung vom Original klang die Version der Jazzpolizei auf eigene Art russisch-perfekt. Mit Seele dargeboten war sie sowieso. Freimütig bekannte die Band, dass sie Musik ohne Dünkel präsentiere, also weder ein Zahnarzt noch ein Rechtsanwalt bei ihnen mitspiele. Auch ein paar Zaubertricks mit Quietscheente und bunten Tüchern gehörten zum Repertoire und mit „What A Wonderful Werder“ spielten und sangen sie sich in die Herzen ihres Publikums, das beim Refrain sofort mit einfiel.

Nach der Pause dann das hochkarätige Alice Carreri Trio aus Dänemark mit dem Berliner Schlagzeuger Tobias Backhaus. Mit Regin Fuhlendorf an der Gitarre, Martin Schack an der Hammondorgel und Sängerin Alice erlebten die Zuhörer traditionellen Jazz mit einer melodisch-zarten, weiblichen Seite. Die bezaubernde Sängerin mit italienischen Wurzeln sang neben französischen und italienischen Songs auch Swing-Standards wie „Night and Day“. Charmant mixte sie einige deutsche Wörter in ihre englischsprachigen Ansagen, vor allem häufig das Wort knusprig, was wohl augenzwinkernd einige Musikerkollegen meinte. Ihr Können zeigte die Band im eng aufeinander bezogenen Zusammenspiel und in ausdrucksstarken Soloimprovisationen. Akzentreich zeigte sich besonders Tobias Backhaus, der am Schlagzeug so richtig Drive entwickeln konnte, aber auch zarte Schwingungen am Becken – ein ganz besonderer Rhythmus-Poet.

Einen gemeinsamen Auftritt gab es auch mit Saxophonist Thomas Walter Maria. Bereits bei einem Dänemarkurlaub hatte der Werderaner Musiker mit ihnen eine Jam-Session gespielt, wie er den PNN erzählte. „Das war vor zwei Jahren. Auf einem Plakat war ein Jazzfestival in Riben angekündigt, was mich neugierig machte.“ Also ging er mit seiner Familie hin. Nach der Session waren alle begeistert und natürlich wollte er diese tollen Musiker auch mal nach Werder holen. „Jetzt habe ich das geschafft und es war so, wie ich es mir vorgestellt habe.“ Dazu gehöre auch der Mix der zwei Jazz-Bands im dritten Programmteil des Abends. „Das war richtig knusprig! Ein Wort, das ab heute zu unserem Standartwortschatz gehört“, lachte ein zwar erschöpfter, aber glücklicher Thomas Walter Maria nach dem Konzert.

Auch das Publikum war begeistert. Zum Abschluss gab es stehende Ovationen für die Session der beiden Bands, die musikalisch schnell zueinander gefunden hatten. Da spielten sie sich energiegeladen beim Duckwalk-Tanz zu, selbst ein rosa Plastikschweinchen bekam noch einen fulminanten Schnurpser-Auftritt am Mikro und eine Satchmo-Parodie durfte natürlich auch nicht fehlen, als der legendäre Song „When The Saints Go Marching In“ erklang.

Weitere Programmpunkte des Jazz-Festivals waren am Sonntag die Kinder-Jazz-Reise mit Sängerin Alice in die Wunderländer der Musik, in der die Kinder verschiedene Tiere entdecken konnten. Am Abend entführte Sinatra-Interpret Roger Pabst zusammen mit seinem Orchester The Swinging’ Strangers die Gäste in das Amerika der 1940er bis 1960er Jahre und ließ dabei alle großen Stationen des Stars mit Songs von Frankie Boy Revue passieren.

Kirsten Graulich

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