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Werder in der DDR: Stasi in Werder: Das Blütenfest unter Beobachtung

Der DDR-Geheimdienst beobachtete in Werder besonders große Feiern und wichtige Betriebe. Bei einem Vortrag von Mitarbeitern der Stasi-Unterlagenbehörde wurde klar: Das Interesse in Werder an den Stasi-Aktivitäten ist nach wie vor groß.

Werder (Havel) - Die Verpflegung schmeckte den Westlern, wusste IM „Anton“ zu berichten. Das Alkoholangebot jedoch traf auf wenig Zustimmung. Es gab zu viel. Die stark ausgeprägte Neigung zum Trinken bei den FDJ-Funktionären sei den Gästen aus dem Ausland negativ aufgefallen.

Berichte wie diese aus dem Jugendtouristhotel, dem heutigen Resort Schwielowsee, aus dem Jahr 1980 von inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit sorgten am Montagabend für zwischenzeitliche Erheiterung. Ins Schützenhaus in Werder waren etwa 75 Besucher gekommen, um zu erfahren, wie die Stasi in Werder agierte und worauf Mielkes Spitzel besonderes Augenmerk gelegt hatten. Rüdiger Sielaff, Leiter der Außenstelle der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) in Frankfurt (Oder), hielt dazu einen Vortrag.

DJs hießen bei der Stasi "Schallplattenunterhalter"

Dass bei dem ernsten Thema auch gelacht wurde, lag an den zum Teil absurden Situationen, die sich durch das komplizierte bürokratische Überwachungssystem in der DDR ergaben. So überwachten sich in Werder zwei Schallplattenunterhalter, wie DJs offiziell hießen, gegenseitig. Die Berichte von IM „Gärtner“ und IM „Stereodisko“ über den jeweils anderen hätten so viele Akten gefüllt, dass man sich wundern müsse, erzählte Sielaff am Montag.

Insgesamt 560 inoffizielle Mitarbeiter arbeiteten in der Kreisdienststelle Potsdam, die auch für Werder zuständig war. Darunter Spitzel mit Decknamen wie „Uschi“, „Konsul“ und „Psycho“. 175 konspirative Trefforte gab es. 4,7 Kilometer Unterlagen sind erhalten.

Überwacht wurden vor allem die wichtigen Wirtschaftsbetriebe. Der VEB Schaltgeräte, der VEB Vulkanfiber und insbesondere das Pektinwerk tauchen immer wieder in den Berichten auf. Den Devisenbringern galt besondere Aufmerksamkeit. Wirtschaftsspionage sollte verhindert werden, die Mitarbeiter wurden bei Verhandlungen im Ausland genau beobachtet.

Warnung vor "negativ-dekadenten Jugendlichen" auf dem Blütenfest

Auch die Baumblüte taucht immer wieder in den Berichten der Spitzel auf. Die Anreise „negativ-dekadenter Jugendlicher“ sollte verhindert werden, man fürchtete, bei den Feiern die Kontrolle zu verlieren. So wie 1977, als man in der Gaststätte Friedrichshöhe der Betrunkenen nicht mehr Herr wurde. IM „Bärbel“, der elf Jahre aus Werder berichtete, vermerkte in seinem Bericht, die Volkspolizisten hätten fast wahllos zugeschlagen.

Hinter „Bärbel“ steckte ein Ehepaar aus der Sendtner Straße. Die Frau berichtete regelmäßig aus der Friedrichshöhe, wo sie arbeitete. Laut ihren Vorgesetzten zeigte sie Initiative, informierte über die gesamte Belegschaft, aber vor allem auch über die Stimmung in der Bevölkerung. So glaubten die Werderaner offenbar nicht, dass der als Stasi-Offizier bekannte Gert Trebeljahr, nach dem öffentlich gesucht wurde, wie behauptet schwer krank sei, und man daher Informationen aus der Bevölkerung brauchte. Er wolle „den Haufen verlassen“, war man sich in der Gaststätte einig. Trebeljahr wurde 1979 in Leipzig hinterrücks erschossen.

Krawalle beim Konzert der Band "Kreis" in Werder noch in guter Erinnerung

Bei vielen Geschichten nickten die überwiegend älteren Besucher im Schützenhaus wissend, ergänzten die ein oder andere Geschichte. Auf die Frage, wer sich an die Randale beim Konzert der Band „Kreis“ auf der Friedrichshöhe erinnern könne, schnellten drei Arme in die Luft – unter anderem der von Christian Knuth.

Der Werderaner war mit einem Foto zum Vortrag erschienen. Auf der Schwarz-Weiß-Aufnahme ist er auf der 1000-Jahr-Feier der Stadt Altenburg in Thüringen im Jahr 1976 zu sehen – am Rand, als Teil einer großen Gruppe. Das Foto hat er in einem Geschichtsbuch und dann bei Google gefunden, Quelle: BStU – ein Stasi-Foto? Knuth möchte mehr darüber wissen und auch erfahren, ob es eine Stasi-Akte über ihn gibt. Ein erster Antrag vor Jahren war ohne Erfolg geblieben. Sielaff berät ihn am Rande des Vortrags, sagt ihm, welche Anträge er wohin schicken könnte. „Vielleicht versuche ich es noch einmal“, sagt Knuth.

Das Interesse an Stasi-Aktivitäten in Werder ist nach wie vor groß

Auch das war am Montagabend Teil der Veranstaltung. Bereits am Nachmittag berieten BStU-Mitarbeiter interessierte Werderaner bei ihren Anträgen auf Akteneinsicht. Auch 26 Jahre nachdem die Behörde ihre Arbeit aufgenommen hat, ist das Interesse groß. „Das Thema ist noch nicht durch“, erklärt Sielaff. 50 Anträge wurden am Montag in Werder gestellt, 33 davon Erstanträge.

Nicht jeder Antragssteller bekommt jedoch seine Akte zu sehen. Auch in Potsdam wurden zum Ende der DDR viele Dokumente vernichtet. Und: Die Stasi habe zwar gerne den Eindruck vermittelt, sie wüsste alles über jeden, so Sielaff. Doch das stimme bei Weitem nicht. 

Martin Anton

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