Werder (Havel): Von unnützen Beamten und dummen Berlinern

Werder (Havel) - „Sollen gedeihen Obst und Wein, muss im Juni Sonne sein.“ Man muss nicht lange raten, von welchem Fleckchen in der Mittelmark diese Bauernweisheit wohl stammen könnte. Obst und Wein haben in Werder (Havel) nicht nur das Leben der Menschen geprägt, sondern sich auch in ihrer Sprache niedergeschlagen. Wie eigenwillig, lustig und klug das so manches Mal klingt, kann in dem Buch „Sprüche der Werderschen“ nachgelesen werden, das jetzt in der zweiten Auflage erschienen ist.

Gesammelt hat die insgesamt 500 Sprüche und Weisheiten der emsige Stadtchronist Baldur Martin. Die erste Auflage erschien 1997. Die 2000 Exemplare waren allerdings schnell vergriffen und das Buch viel zitiert worden, wie Martin am Freitag bei der Vorstellung des Buches im Haus des Heimatvereins Werder erzählt. Abgesehen davon, dass der Einband nicht mehr Magenta- sondern nun Bordeauxrot ist, hat sich an dem Büchlein nichts verändert.

Die Idee für seine Sammlung hatte Martin, der 1962 aus dem Erzgebirge nach Werder kam und seit mehr als 30 Jahren als Stadthistoriker in zahlreichen Publikationen der Geschichte Werders nachgeht, durch Gespräche und Begegnungen mit Werderschen, wie er erzählt. Seine Nachbarn seien damals eine Obstzüchterfamilie gewesen, die typischerweise im Winter in ihrem Haus gewohnt hätten und jeden Sommer bis Herbst aufs Land gezogen und Tag und Nacht in ihren Bungalows bei den Feldern geblieben seien. „Wenn man sich unterhalten wollte, hat man sich am Johannisbeerstrauch getroffen“, sagt Martin. Mehr als 40 Jahre hat er die Sprüche gesammelt. Natürlich seien ihm nicht alle genauso von den Werderschen erzählt worden. Manche habe er nur nachempfunden.

Lakonisch und humorvoll sind die Sprichwörter, die sich häufig um Obstanbau, das arbeitsame Bauernleben oder Markttreiben und Verkauf drehen und die jahrhundertealten Erfahrungen der Menschen wiedergeben. Oft recht hintersinnig und doppeldeutig. „Einem leuchtenden Pfirsich sieht man nicht immer an, dass er einen faulen Stein hat“ etwa, oder „Auch die süßeste Pflaume wird schrumpelig“, womit die Werderschen nicht nur das Obst gemeint haben dürften.

Ein besonderes Verhältnis hatten die Werderschen mit den Berlinern, die schon vor rund 100 Jahren gerne am Wochenende in das Havelstädtchen reisten und auf dessen Märkten damals das Obst der Werderschen Bauern feilgeboten wurde. „Saures Obst schmeckt immer noch den Berlinern“, heißt es. An anderer Stelle steht: „Nichts schmeckt den Berlinern so gut, wie eine im Straßendreck gekaufte Erdbeere.“ „Die Werderschen mussten ja den Berlinern immer was vormachen, wenn sie an ihren Ständen standen und die Berliner dann angedackelt kamen“, sagt Martin.

Eher ablehnend, glaubt man den Sprüchen, waren die Werderschen gegenüber Beamten und Politikern. Die verstanden nichts von der Arbeit der Obstbauern und waren nicht wirklich zu gebrauchen. „Der Beamte taugt nicht zum Pflücken: Er zählt jede Kirsche einzeln“ ist einer dieser Sprüche. Nur bei Streitigkeiten mit den Nachbarn ist der Beamte gut genug: „Beamte sind nützlich, man kann mit ihrer Hilfe dem Nachbarn eins auswischen.“

Auch Fremden gegenüber, wobei dazu laut Martin alle gehörten, die nicht Werdersche waren, scheinen die Einwohner eher misstrauisch gewesen zu sein: „Der Werdersche liebt die Fremden nur, wenn er sie ausnehmen kann“, sagt man. Das sei heute nicht mehr so, sagt Martin. Einst waren alle Zugezogenen die „Werderaner“ und nur alteingesessene, ursprünglich sogar nur diejenigen von der Insel, die Werderschen. „Heute muss man sich als Werderscher fühlen“, meint Martin. Nur wer das nicht täte, sei dann eben nur Werderaner.

— Baldur Martin: „Sprüche der Werderschen“

Die 164-seitige Sammlung kostet 15 Euro und ist in der Buchhandlung Hellmich und dem Kartenhaus im Werderpark erhältlich.