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Olaf Ihlefeldt.

© Andreas Klaer

Wandel auf deutschen Friedhöfen: „Die Verbundenheit zum Toten ist verloren gegangen“

Stahnsdorfs Friedhofsverwalter Olaf Ihlefeldt im Gespräch über die deutsche Beerdigungskultur, verschwundenes Wissen und die europäische Zusammenarbeit großer Friedhöfe.

Von Enrico Bellin

Herr Ihlefeldt, Sie waren bis Sonntag in Athen auf der Jahrestagung der Vereinigung bedeutender Friedhöfe Europas. Welche Strategien verfolgen die großen Friedhöfe, um Teil des gesellschaftlichen Lebens zu sein?

Die alte Begräbniskultur soll nicht stillschweigend bewahrt werden, sondern die Friedhöfe sollen nach außen gehen. Das hört sich zwar komisch an, wir reden aber auch darüber, Friedhöfe zu promoten. Wir sind in Deutschland ja recht kühl aufgestellt im Umgang mit unserer alten Bestattungskultur. Friedhöfe sind immer noch Tabu, da gehen die Menschen nur hin, um jemanden zu beerdigen. Was wir in Stahnsdorf seit 25 Jahren machen, nämlich auf dem Friedhof auch Kulturveranstaltungen anzubieten, ist europaweit betrachtet noch immer ein neuer Weg. Die Kollegen sind dann beeindruckt, dass wir es schaffen, Menschen durch Aktionen auf uns aufmerksam zu machen.

Weshalb muss man das denn überhaupt?

Die Menschen meinen in Deutschland, die Begräbniskultur sei nicht mehr so wichtig. Wenn sie aber dazu kommen, jemanden zu Grabe tragen zu müssen – und da kommen wir alle einmal hin – können sie damit nicht mehr umgehen. Das war vor Jahrzehnten noch anders. Damals hat man in den Familien noch darüber gesprochen, wie man ein Grab einrichtet und wie die Angehörigen beerdigt werden wollen. Dadurch, dass wir über Friedhöfe und die Kultur reden, wollen wir es den Menschen wieder leichter machen, sich mit dem Thema zu Lebzeiten informiert auseinanderzusetzen.

Wie steht Deutschland im europäischen Vergleich da?

Schlecht. Wir haben uns von den konfessionellen Bindungen gelöst. Die Bedeutung dessen, sich zeremoniell bestatten zu lassen und auch ein Denkmal mit Namen drauf zu setzen, egal ob klein oder groß, wird unterschätzt. Der deutsche Trend, sich pflegefrei und natürlich bestatten zu lassen, ist Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien fremd. Auf südeuropäischen Friedhöfen spüren Sie noch eine extreme Verbundenheit zum Toten. Das ist hier fast komplett verloren gegangen, weil man zu Lebzeiten meint, das braucht man alles nicht und dann im stillen Kämmerlein trauert. Die meisten Menschen machen sich dabei aber etwas vor. Das kann ich mit ruhigem Gewissen aus meiner Alltagserfahrung sagen.

Woran merken Sie das?

Wir haben vor 15 Jahren anonyme Bestattungen auf dem Friedhof eingeführt, aber vor vier Jahren wieder abgeschafft, weil wir gemerkt haben: Das funktioniert nicht. Dort sind 2000 Menschen begraben. Sie hatten sich bewusst entschieden, keinen eigenen Ort zu haben, sondern auf die grüne Wiese zu gehen. Die Wiese ist aber noch immer übersät von Kerzen, Blumen, Teddybären und Briefen, die Angehörige den Toten widmen, um an sie zu erinnern. Die Menschen suchen krampfhaft genau den Ort, wo die Urne des Verwandten bestattet ist, und machen ihn so wieder zu einem persönlichen Grab. Deshalb bekommt jetzt bei uns jeder Verstorbene einen Namen. So kann auch ein Nachbar oder ein alter Schulfreund das Grab wieder finden.

Sind die Deutschen mit dem Thema Tod überfordert?

Hauptberuflich begleite ich die Menschen ja auch dabei, Gräber auszusuchen. Sie schlagen dabei oft wirklich hilflos auf und wissen gar nicht: Was wollte meine Mutter? Was wollte mein Vater? Wie soll man sich am Grab verhalten? Wir tragen hier mehr jüngere Menschen zu Grabe als Ältere, also die Generation ab 40 aufwärts...

Wie kommt das?

Der Südwestkirchhof fasziniert die Menschen wegen seiner einzigartigen Atmosphäre. Wenn Menschen trauern sind sie dankbar, den Friedhof auch als lebendige Begegnungsstätte bei Konzerten, Führungen oder Kulturnächten erleben zu können. Deshalb werden hier auch viele Menschen unter 60 Jahren beerdigt. Dieser Generation ist es aber nicht präsent, über das Thema Tod zu sprechen. Es hat aber keine Zeit. Wir haben ja vergangene Woche erst den Orkan Xavier gehabt, wo Menschen erschlagen wurden. Der Tod ist immer irgendwie in der Nähe. Und deshalb sollte man ein paar Stunden im Jahr darüber nachdenken, was wäre wenn... Ich wünsche mir mehr Normalität im Umgang mit dem Tod.

Funktioniert das in anderen Ländern besser?

Ja. In Griechenland, Irland oder Spanien etwa gibt es ganz bestimmte Rituale, die schlichtweg durchgeführt werden. In Irland etwa liegt der Tote drei Tage in einem öffentlichen Raum, und das halbe Dorf nimmt Abschied. Da wird gegessen und getrunken, und es sieht aus wie eine Feier. In Deutschland ist die Bestattung heute viel individueller, was ja auch gut so ist. Es fehlen dadurch aber die Rituale, was die Unsicherheit erhöht.

Was kann man zum Umgang mit der Bestattungskultur denn von den anderen Ländern lernen?

Ganz offen: Lernen kann man nichts. Man kann nur hochachtungsvoll hinschauen. Wenn es zum Beispiel wie in Wien am Friedhofseingang einen Pförtner gibt, der die Menschen begrüßt und so eine Kundenverbundenheit pflegt. Unsere Kunden sind schließlich nicht die Toten, sondern die Familien. Auf anderen Friedhöfen gibt es beispielsweise Sicherheitsdienste, da dort Diebstahl an der Tagesordnung ist. Das können wir uns in Deutschland auch nicht leisten, die Verteilung der Finanzen ist hier ganz anders. In Barcelona gibt es beispielsweise eine städtische Verwaltung für die Friedhöfe, die ein eigenes Budget hat, etwa für Veranstaltungen oder für das Marketing.

Könnte man in Deutschland nicht versuchen, die Finanzierung umzustellen?

Ja. Es gibt etwa in Norwegen ein interessantes Modell: Dort werden die meisten Menschen im Sarg bestattet. Es gibt eine Steuer, die nur für die Friedhöfe gedacht ist und die jeder zahlt. Im Gegenzug hat man Anspruch auf eine kostenlose Sargbestattung und eine Liegezeit von 20 Jahren. Doch eine neue Steuer wird in Deutschland natürlich skeptisch gesehen und ist politisch sicher schwer umzusetzen.

Gibt es etwas, was in Stahnsdorf besonders gut funktioniert und wo die anderen Länder etwas lernen können?

Wir binden die Menschen durch Kultur. In anderen Ländern organisieren die bezahlten Mitarbeiter auch Kulturveranstaltungen, bei uns geschieht das aber im Ehrenamt durch den Förderverein. Das wird von den anderen Friedhofsverwaltern sehr respektiert. Ich selbst biete seit Jahren etwa Führungen für Kinder an, die nächste am Samstag um 14 Uhr, und habe das einmal auf einem Netzwerktreffen vorgestellt. Eine schwedische Kollegin hat inzwischen auch damit angefangen. Für sie war es vorher nicht vorstellbar, dass man Kinder auf Friedhöfe einlädt. Jetzt ist sie begeistert, wie gut es funktioniert.

Wie kommt es denn, dass Sie der einzige deutsche Friedhofsverwalter beim Netzwerktreffen in Athen waren?

Das ist die deutsche Mentalität. Man sagt, wir haben genug eigene Probleme und müssen nicht auch noch nach Europa schauen. Das ist ein kapitaler Fehler. Manchmal öffnen sich Blicke, wo man sagt, warum machen wir das nicht auch so? Etwa bei der norwegischen Steuerfinanzierung. Das Netzwerk ist für mich aber auch eine Plattform, um Partner zu finden, mit denen ich gemeinsam mit der Landeskirche ein EU-Projekt stemmen kann. Etwa die Entwicklung eines Besucherleitsystems gemeinsam mit Friedhöfen in Italien und Norwegen. Oder die Weiterentwicklung eines Audio-Guides. Es ist schwer, EU-Töpfe zu öffnen, in einer Partnerschaft im großen Umfang ist das aber möglich.

Sind Sie dabei vorangekommen?

Ein bisschen. Ich habe eine Studentin kennengelernt, die an dem wissenschaftlichen Projekt arbeitet, Friedhofskultur zu promoten. Ihr fehlen aber Partner. Wir bleiben jetzt erst einmal in engem Kontakt und werden etwa überlegen, wie ein solides Besucherleitsystem aufgebaut werden kann, dass ohne einen Schilderwald auskommt. Das kostet schnell mal 60 000 Euro, die haben wir einfach nicht. Mit Mitarbeitern anderer Friedhöfe habe ich dazu erst einmal Vorgespräche geführt, nun müssen die es mit ihren Trägern absprechen. Meine Hoffnung ist aber gestiegen, so von EU-Förderprogrammen zu profitieren.

Wobei wollen sie noch kooperieren?

Ich würde gern die Arbeit mit Jugendlichen intensivieren, etwa durch einen Schüleraustausch, bei dem Stahnsdorfer Gymnasiasten in Spanien Friedhofsführungen ausarbeiten und Spanier hier Rundgänge in Spanisch oder Englisch. Daraus ein EU-Projekt zu machen, wäre eine große Herausforderung. Partner dafür habe ich etwa in Barcelona oder dem slowenischen Maribor. Dort wurde ich selbst schon einmal von Jugendlichen über den Friedhof geführt, das hat mich begeistert.

Das Gespräch führte Enrico Bellin

Olaf Ihlefeldt, 50, arbeitet seit 1989 auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof, nachdem er eine Gärtnerlehre im Potsdamer Park Sanssouci absolviert hat. Seit 1991 ist er in Stahnsdorf Friedhofsverwalter. Zudem ist Ihlefeld Mitglied im Förderverein des Südwestkirchhofes.

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Hintergrund: Die Vereinigung bedeutender Friedhöfe Europas

Der Vereinigung bedeutender Friedhöfe Europas (Association of Significant Cemeteries in Europe, ASCE) gehören 179 Friedhöfe aus 22 Ländern an. Auch der Förderverein des Bornstedter Friedhofs in Potsdam ist Mitglied des Netzwerkes. Voraussetzung ist, dass die Friedhöfe eine historische oder künstlerische Bedeutung haben. Der Südwestkirchhof wurde vor drei Jahren zum Denkmal von nationaler Bedeutung erhoben. Das jährliche Treffen der ASCE fand vom 5. bis 8. Oktober in Athen statt, Schwerpunkte waren die alte griechische Kunst und die europäische Begräbniskunst. Die Teilnahme wird nicht von der Landeskirche finanziert, der Förderverein des Südwestkirchhofes hat die Reise ermöglicht. Generell ist ein Schwerpunkt des Netzwerkes, in der Bevölkerung das Verständnis für die Bedeutung von Friedhöfen zu fördern. Die Mitglieder des Netzwerkes werden unter anderem regelmäßig über Möglichkeiten der Europäischen Projektförderung informiert. Gleichzeitig bewertet es, ob Projekte eine Chance auf Förderung haben und hilft dabei, die entsprechenden Anträge zu stellen. Die Mitglieder haben unter anderem die European Cemeteries Route umgesetzt, ein Projekt, welches alle teilnehmenden Friedhöfe vorstellt. In einer App werden die Begräbnisstätten ausführlich porträtiert.

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