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In Fichtenwalde demonstrierten Anwohner gegen Einsatz von "Karate Forst".

© Sebastian Gabsch

Wald bei Fichtenwalde: Insektizid "Karate Forst" soll ab Montag versprüht werden

Spielt das Wetter mit, kommt heute das Insektizid gegen die Raupen der „Nonne“ zum Einsatz. Es soll dann aus der Luft über den Wald bei Fichtenwalde versprüht werden. Doch der Einsatz ist umstritten.

Von Sandra Dassler

Fichtenwalde - Der Mann im weißen Schutzanzug mit der martialisch anmutenden Gasmaske streckt ein Schild in die Kamera: „Kein Gift in Brandenburgs Wäldern!“ steht darauf. Auf Internetseiten der Naturschutzorganisation BUND, der Aktion Tempelwald oder der Bürgerinitiative Naturwald ist die Rede vom „unfassbaren Gifteinsatz Brandenburger Behörden ausgerechnet zur Brutzeit“, von sterbenden Insekten und verschwindenden Vögeln, von dreimonatiger Totenstille im Wald und unkalkulierbarer Dioxingefahr.“

Karl Tempel, Besitzer von 80 Hektar Wald bei Beelitz, geht noch weiter: „Was der Landesforstbetrieb Brandenburg da machen will, ist eine einzige Katastrophe. So etwas können sich nur Idioten ausdenken. Die werden schon sehen, was sie davon haben, wenn die Bilder von den Hubschraubern, die ihr Gift über dem Wald versprühen, um die Welt gehen.“

Raupen sollen aus der Luft bekämpft werden

Wahr ist: Ab heute könnte es diese Bilder tatsächlich geben. Wie berichtet sollen die in diesem Jahr explosionsartig angewachsenen Raupen des Nonnen-Schmetterlings im Auftrag des Landesforstbetriebes aus der Luft bekämpft werden. Der Kiefernschädling kann verheerende Schäden bis zum Absterben ganzer Wälder anrichten. Wirksamen Schutz dagegen verspricht nach Ansicht der Forstfachleute nur das Insektizid „Karate Forst flüssig“, das aber – so die Befürchtung vieler Menschen aus den umliegenden Dörfern Fichtenwalde, Borkwalde und Borkheide – nicht nur auch andere Insekten tötet, sondern auch gesundheitliche Schäden für Menschen haben könnte.

Karl Tempel, der in den vergangenen Jahren einen Teil seiner Flächen von Kiefern- zu Mischwald umgebaut hat, ist sogar der Ansicht, dass der Forstbetrieb die Gefahr „aus Profilierungssucht absichtlich übertreibt“, wie er dieser Zeitung sagte: „Ich habe noch keine erhöhte Konzentration des Schädlings feststellen können, für mich ist das reine Panikmache.“

Schädlinge haben ein leichtes Spiel derzeit

Ein Waldbesitzer aus dem Elbe-Elster-Kreis kann darüber nur den Kopf schütteln. „Bei uns waren im vergangenen Jahr innerhalb von wenigen Tagen alle Kiefern kahl gefressen und sind abgestorben“, erzählt er.

Hubertus Kraut, Direktor des Landesforstbetriebs Brandenburg, erklärt das Phänomen. „2017 und Anfang 2018 haben wir durch Stürme viele Bäume verloren“, sagt er. „Dann kam die monatelange Dürre, und die Bäume mussten alle ihre Kräfte aktivieren, um zu überleben. In solchen Situationen haben Schädlinge wie die Nonne dann ein leichtes Spiel.“

Wald könnte mehrmals vernichtet werden

Niemand im Forstbetrieb sei glücklich darüber, Insektizide einzusetzen, sagt Kraut. Aber ein landesweites Monitoring habe schon Ende 2018 eine drastisch erhöhte Zahl an Schädlingen aufgezeigt. Man habe noch gehofft, dass ein niederschlagsreicher Winter die Situation verbessere, aber der sei bekanntlich nicht eingetreten. „In dem betreffenden Gebiet haben wir jetzt so viele Nonnen, dass sie den Wald nicht nur einmal, sondern mehrmals vernichten könnten.“

Unterstützung erhält der Forstbetrieb vom Waldbesitzerverband Brandenburg. Der fordert, dass die Wälder jetzt gerettet werden müssen, weil Tausenden Hektar Wald der Kahlfraß durch Schädlingsbefall drohe. „Wenn wir jetzt nicht handeln, stirbt der Wald, und unsere Kinder und Enkel stehen vor Kahlflächen“, sagt Thomas Weber, Vorsitzender des Waldbesitzerverbandes. 

Der Einsatz von Pflanzenschutz sei immer eine „Ultima Ratio“, wenn keine anderen Mittel gegen den Kahlfraß helfen, betonte er. Von rund 1000 angeschriebenen Waldeigentümern hätten deshalb lediglich sechs Eigentümer Bedenken gegen den Einsatz der Insektizide. Weber wendet sich direkt an die Anwohner der betroffenen Gemeinden und die Bürgerinitiative. Deren Bedenken seien verständlich, es sei positiv, wenn sich Menschen Sorgen um das ökologische Gleichgewicht in den Wäldern machen: „Jetzt aber geht es darum, die befallenen Waldflächen zu retten, damit sie auch in Zukunft Klimaschützer, Wasserspeicher, Erholungsort und Lebensraum für Tiere sein können.“ Da sich der Schädling nicht auf Nadelbäume beschränke, sondern auch von Jungpflanzen und Laubbäumen ernähre, sei darüber hinaus der Waldumbau gefährdet.

Mehr als 50.000 Unterschriften gesammelt

Die Kritiker des Insektizideinsatzes lassen sich davon nicht beirren. Sie hatten schon am Wochenende weit mehr als 50.000 Unterschriften auf der Internetplattform www.change.org gesammelt und die Brandenburger Politiker aufgefordert, Stellung zu beziehen.

Die verweisen bislang darauf, dass sie volles Vertrauen in den Landesforstbetrieb haben. „Ich bin eigentlich sogar froh darüber, dass es die Kritik gibt“, sagt dessen Direktor, Hubertus Kraut: „Es war ja nicht immer so, dass sich Menschen Gedanken um den Wald und die Natur machen.“ Seine Behörde habe nicht nur die Erlaubnis für den Einsatz, sondern auch grünes Licht von den Bundesbehörden. „Natürlich kann man darauf verzichten und es der Natur selbst überlassen, wieder ins Gleichgewicht zu kommen“, sagt er. Das würde aber mehr als 100 Jahre dauern und angesichts der Wichtigkeit des Ökosystems Wald auch für das Erreichen der Klimaziele sei der Insektizid-Einsatz für ihn das kleinere Übel. Die gesundheitlichen Bedenken der Bürgerinitiative teilt er nicht. „Wir haben alle Einwohner und Gemeinden informiert, Versammlungen abgehalten, Schilder aufgestellt und die Sicherheitsabstände zu den bewohnten Gebieten noch einmal erhöht“, sagt er.

Wald darf dann für 48 Stunden nicht mehr betreten werden

Der Einsatz müsse aber jetzt und aus der Luft erfolgen. „Die Raupen sind geschlüpft, nach oben gekrochen und fressen jetzt die Wipfel der Kiefern kahl.“ Das Zeitfenster sei klein. Deshalb werde der Einsatz im Landkreis Potsdam-Mittelmark auch wie geplant ab heute stattfinden. Es sei denn, der Wind weht zu stark oder es regnet. Dann sei die Aktion nicht effektiv genug, sagt Kraut. Wenn das Gift über den Baumwipfeln versprüht ist, darf der Wald für 48 Stunden nicht betreten werden. Waldfrüchte, Kräuter und Pilze sollte man drei Wochen lang nicht sammeln, sagt Hubertus Kraut.

Wenn man sich daran halte, sei der Einsatz von „Karate“ unbedenklich. Im übrigen komme das Insektizid auch in der Landwirtschaft zum Einsatz – etwa bei der Produktion von Lebensmitteln wie Kartoffeln. Die Kritiker der Aktion, zu denen auch der Nabu gehört, werden auch diese Argumente nicht überzeugen.

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