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Bejubelt. An Wochenenden strömten vor allem Gäste aus Berlin zum Teltower Flugplatz. Neben einigen Hangars gab es eine Tribüne und eine Piloten-Kneipe. Gustav Witte startete im März 1912 in Teltow zum ersten Nachtflug der deutschen Fliegergeschichte (r. u.). Einhundert Jahre nach seiner Eröffnung ist von dem Teltower Flugplatz allerdings nichts mehr zu sehen. Auf dem ehemaligen Flugfeld stehen heute die Häuser der Post-Siedlung.

© Heimatverein

Von Tobias Reichelt: Als Fluglärm noch eine Attraktion war

Die Flugrouten vom BBI erhitzen die Gemüter, noch vor 100 Jahren jubelten die Teltower den Fliegern zu

Teltow - Sie knatterten und ratterten, flogen dicht über die Dächer der Stadt, landeten mal hier, mal dort – wo sich ihnen ein Platz bot – und zogen Scharen beigeisterter Zuschauer in ihren Bann: Flugzeuge über Teltow. Während die Teltower heute vehement gegen den drohenden Fluglärm vom künftigen Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg International protestieren, bejubelten ihre Vorfahren die Piloten in ihren Maschinen. Fluglärm über Teltow war vor einhundert Jahren eine wahre Attraktion. Auf dem Flugfeld am Rande der Stadt wurden Rekorde gebrochen, der erste Nachtflug gestartet und in großen Hangars Doppeldecker konstruiert – ein fast vergessener Teil der Geschichte.

„Jeder der damals was auf sich hielt, hat Flugzeuge gebaut“, erzählt Teltows Heimatvereinschef Peter Jaeckel die Geschichte vom einstigen Briefträger Gustav Witte. Er war es, der auf dem im Oktober 1910 gegründeten „Flugübungsfeld Teltow“ mit seiner Pilotenschule für den entscheidenden Entwicklungsschub sorgte. Gemeinsam mit seinem Freund Carl Mohus hatte sich Witte einen stark beschädigten Flugapparat der Gebrüder Wright gekauft und repariert. Witte, der noch nie ein Flugzeug geflogen hatte, verpasste dem Fluggerät einen stärkeren Motor und eine bessere Kühlung, ehe er sich im Selbstversuch in die Lüfte wagte. Im Jahr 1911 flog er auf einem seiner ersten Flüge von Frankfurt/Oder nach Teltow. Dabei erwarb Witte sein „Flugmaschinenführerzeugnis“. Auf dem Teltower Flugübungsfeld am Ende der heutigen Beethovenstraße, die damals noch Flugplatzstraße hieß, fand Gustav Witte nahezu ideale Bedingungen für seine Berufung vor. Neben dem großen Acker zum Starten und Landen gab es drei Flugzeug-Hangars, eine Tribüne für Flugschauen, ein Kassenhäuschen und eine Flieger-Kneipe – was fehlte, war eine Flugschule.

Unter Fluglehrer Witte nahm die Zahl der Piloten in und rund um Teltow schnell zu, erzähltJaeckel „Ein Pilot kam aus Kleinmachnow“, weiß er. „Da kam es schon mal vor, dass sich seine Kollegen bei ihm zum Kaffeetrinken verabredeten.“ Mit ihren Fluggeräten schwebten sie in Kleinmachnow ein, landeten unweit des Hauses auf einem freien Acker. „So war das damals.“ Vor ein paar Jahren konnte sogar noch ein Mitglied des Heimatvereins von seinen ersten Flugerfahrungen berichteten: Als Junge hatte er einen Piloten beobachtet, wie er am Biomalz-Gelände landete. Als er näher kam, sprach ihn der Pilot an. „Willste du eine Runde fliegen?“, erzählt Jaeckel die Geschichte von seinem Bekannten. „Ohne dass die Eltern davon wussten, nahm er den Jungen mit und brachte ihn wohlbehalten zurück.“

Viele Einwohner der Stadt waren stolz auf ihren Flugplatz, sagt Jaeckel. Etliche Postkarten der Zeit warben mit Flugzeugen am Himmel. „Es konnte gar nicht laut genug sein“, so der Heimatforscher. Auch ein Nachtflugverbot kannte man nicht. Im Gegenteil: Gustav Witte war es, der im März 1912 in Teltow zum ersten Nachtflug der deutschen Fliegergeschichte startete. Damit ging er in die Geschichtsbücher ein, verunglückte aber schon wenige Tage später tödlich vor einer Flugschau. Doch auch nach Wittes Tod entwickelte sich der Teltower Flugplatz weiter. 1912 gründeten sich die „Union Flugzeugwerke“. In den Teltower Hangars wurden „Pfeildoppeldecker“ hergestellt, über 400 Menschen waren beschäftigt. Die Flugzeuge durchbrachen mehrere Höhenrekorde der Zeit. Im Jahr 1913 wurden in Teltow 1434 Starts durchgeführt. Auch ein viermotoriger Doppeldecker-Bomber wurde gefertigt, kam aber nie zum Einsatz. Der Holzflieger war zu langsam und stürzte ab. „Es war eine Zeit, in der Teltow mit seinem Flugbetrieb etwas bedeutete“, sagt Jaeckel. Erst mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde das vorerst letzte Kapitel der Teltower Fluggeschichte geschrieben. Die Betriebe gingen in Konkurs, statt Fliegern wurden wieder Pferde und Pflanzen auf den Äckern entdeckt. Endgültig aufgelöst wurde der Flugplatz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Jahrelang war dann von tieffliegenden Flugzeugen über Teltow keine Rede mehr, sagt Heimatvereinschef Jaeckel. „Wäre es doch bloß so geblieben.“ Auch er war schon gegen die Flugrouten-Entwürfe über Teltow demonstrieren. Zu vergleichen wäre der Krach von damals mit dem jetzt drohenden Lärm nicht, sagt er. „Vor hundert Jahren flogen die Flugzeuge ja nicht so oft, wie bald vom BBI.“

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