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Gemischte Gefühle: Die Caputher Künstlerin Siegrid Müller-Holtz brachte ihr Bild Gemischte Gefühle erneut auf der Mauer in Berlin auf. Die East-Side-Gallery ist nach 20 Jahren komplett saniert worden.

© privat

Von Thomas Lähns: Die Wende noch einmal erlebt

Die Caputher Malerin Siegrid Müller-Holtz erneuerte ihr Bild an der East-Side-Gallery

Schwielowsee - Die unglaubliche Nachricht vom Mauerfall, die unbändige Freude danach – und Begegnungen mit Menschen aus aller Welt an der Schnittstelle des Kalten Krieges: All das hat Siegrid Müller-Holtz jetzt noch einmal durchlebt. Nach fast 20 Jahren hat die Caputher Künstlerin ihr großflächiges Bild auf der East-Side-Gallery in Berlin erneuert. Der bunt bemalte Mauerstreifen zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke ist jetzt komplett restauriert worden und die insgesamt 105 Werke, die im Sommer 1990 im Rausch der Wende gemalt worden sind, mussten neu aufgebracht werden. Viele der über hundert Künstler von damals kehrten aus aller Herren Länder noch einmal zurück nach Berlin.

Auf 1,3 Kilometern schlängelt sich die East-Side-Gallery am Nordufer der Spree entlang, verläuft durch den Trend-Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. „Alles bestes Bauland, Filetgrundstücke am Wasser“, erläutert Müller-Holtz den schwierigen Stand des Kunstwerkes. Doch dank der Künstlerinitiative East-Side-Gallery e.V. konnte der letzte Mauerstreifen dieser Länge vor dem Ausverkauf bewahrt werden. Noch immer sieht man hier den Trabbi, der durch den Beton sprengt, oder das Gemälde vom Bruderkuss zwischen Honecker und Breschnew mit dem Untertitel „Mein Gott, hilf mir diese tödliche Liebe zu überleben“.

Auch Müller-Holtzens Bild ist dabei, sie war damals eine der ersten, die ihre Wende-Eindrücke hier verewigt haben: „Gemischte Gefühle“ zeigt einen Erdball, der aus einer Landschaft erwächst. Daneben steht ein Gedicht in Mädchenschreibschrift: „Schau mit wachsamen Augen auf die Welt. Stelle Fragen! Das Unheil abzuwehren, gemacht von Menschenhand“, heißt es am Schluss. Es geht um die Einwirkungen des Menschen auf die Welt, positive und negative. „Es ist als Aufforderung gemeint, seine Handlungen zu überdenken um die Menschheit nicht ins Unglück zu stürzen“, erläutert die Künstlerin.

Dass ihre Eltern kritisch waren und deshalb mit ihr 1957 in die BRD flohen, hatte Siegrid Müller-Holtz als Neunjährige noch nicht verstehen können. „Ich fühlte mich verschleppt“, berichtet sie heute über ihre Kindheit. Erst im Nachhinein sei ihr klar geworden, dass sie in der DDR wohl kaum hätte studieren können – von künstlerischer Entfaltung ganz zu schweigen. Der Vater war Handwerker in Stralsund, passte als mittelständischer Unternehmer nicht in die utopische Gesellschaft von Arbeitern und Bauern. Ihre Mutter arbeitete als Ärztin. Über ein Flüchtlingslager kam die Familie nach Krefeld und baute sich eine neue Existenz auf. Die Tochter studierte in Münster Kunst und Pädagogik und kam 1971 als Lehrerin nach West-Berlin.

„Durch die Mauer waren einem Grenzen gesetzt, oft verfuhr ich mich, weil die Straßennamen im Stadtplan gleich waren und landete davor“, beschreibt sie das lästige Betonwerk inmitten der Stadt. Aus Berichten ihrer Verwandten im Osten kannte sie aber auch die andere, weitaus schlimmere Seite. Ein Cousin von ihr nahm sich sogar das Leben, weil er keinen anderen Ausweg aus der Diktatur sah.

Und plötzlich war alles vorbei. Als Müller-Holtz am Morgen des 10. November 1989 zur Schule kam, war ihre Klasse außer Rand und Band. Die Nachricht vom Mauerfall wollte sie ihnen nicht glauben, ließ sich erst von den Kollegen überzeugen. Mit ihren Schülern ging sie dann zum Checkpoint Charlie, um hier überwältigende Momente menschlicher Begegnungen zu erleben. Im Sommer 1990 stand sie dann mit Künstlern aus aller Welt an der East-Side-Gallery. Sie hatte gerade erst als Künstlerin Fuß gefasst, ihre erste Ausstellung lag nur wenige Monate zurück. Und nun wurde sie Teil eines solch kreativen und ambitionierten internationalen Projektes.

„Ich hatte Zweifel, ob ich das Bild auf der sanierten Fläche neu malen sollte – schließlich ist jedes Bild ein Unikat. Außerdem habe ich mich gefragt, ob ich diese Größe noch bewältigen kann“, berichtet die Künstlerin in ihrem Caputher Atelier. Das hat sie sich Mitte der 90er in der Weinbergstraße eingerichtet. Hier arbeitet sie und stellt regelmäßig Bilder aus. Die „Kunsttour Caputh“, auf der Kunstfreunde überall im Ort Galieren besuchen können, hat sie mit initiiert. Vor zwei Jahren ist Siegrid Müller-Holtz mit ihrem Mann gänzlich an den Schwielowsee gezogen und wurde hier heimisch.

Dass sie nun doch noch einmal für ihr Mauerbild zum Pinsel gegriffen hat, erklärt Müller-Holtz damit, dass die Mauer ein Stück ihrer Lebensgeschichte geworden ist. „Und Teil einer weltbekannten Galerie zu sein ist schon ein erhebendes Gefühl“, sagt sie. Mit Schwamm, Pinsel und mit ihren bloßen Händen hat sie ihren „Gemischten Gefühlen“ erneut Ausdruck verliehen – und wurde ausgerechnet am 17. Juni fertig, dem Datum des Volksaufstandes in der DDR 1953, der bis zur Wende im Westen als Tag der Deutschen Einheit gefeiert wurde.

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