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Der Gasthof „Zur Goldenen Kugel“ in der Berliner Straße war der älteste Gasthof der Vorstadt.

© Erhard Schulz/privat

Von Inselbier und hartem Kunststoff in Werder (Havel): Das steht im neuen Band der Werderaner Orts-Chronik

Der sechste Band der Werderaner Chronik erzählt von den Fabriken, Betrieben und dem Dienstleistungswesen der Stadt.

Von Sarah Stoffers

Werder (Havel) - Die Werderschen waren nicht nur dem Wein angetan, auch auf der Insel hergestelltes kühles Bier rann in den vergangenen Jahrhunderten süffig die Kehlen herunter. Fontane schrieb in einem seiner Aufsätze über Werder gar eine kleine Lobeshymne auf das Werdersche Braunbier: „Und ehe Dich, o Bayrische, wir hatten, Erschien, ankündigend, in braunem Schaum. Die Werdersche. Ihr Leben war ein Traum.“

Im 19. Jahrhundert erblühte in Werder die Industrie. 
Im 19. Jahrhundert erblühte in Werder die Industrie. 

© Um 1900/Kreiskalender 1940

Der neue Band nimmt Industrie und Dienstleistung in Werder in den Blick

Von der Geschichte der Brauereien der Inselstadt berichtet Manfred Baarsch vom Berliner Verein für Brauereigeschichte im sechsten Band der Werderaner Chronik. Am Donnerstag stellten die drei Herausgeber Baldur Martin, Klaus-Peter Meißner und Klaus Froh das neue Werk gemeinsam mit Rainer Lambrecht, Geschäftsführer des Knotenpunkt Verlags vor. In den insgesamt sieben Bänden der Chronik wird die 700-jährige Geschichte der Stadt und ihrer Ortsteile aufgearbeitet. Der nun sechste Band nimmt die geschichtliche Entwicklung von Industrie und Dienstleistung in Werder in den Blick. „Wir haben uns auf die Dinge konzentriert, die in den vorigen Bänden noch nicht in entsprechender Weise gewürdigt wurden und die Priorität hier in Werder haben“, so Martin bei der Buchvorstellung.

Im ersten Teil des Buches legt Martin die geschichtlichen Rahmenbedingungen der Entwicklungen dar, wie die Gesundheitsdienste, die Wasserversorgung, Brandschutz, die Post oder den Handel in der Stadt. Im zweiten Teil erläutern die Autoren allgemeine Industrien und Dienstleistungen in Werder (Havel), wie das Feuerlöschwesen, den staatlichen Straßenunterhaltungsdienst oder die Brauereien.

Vom Aufstieg und Zusammenbruch der Brauereien

So hatten etwa die Mönche des Lehniner Zisterzienserordens die Kunst des Bierbrauens bereits im 14. Jahrundert in die Region gebracht, wie Baartsch in seinem Beitrag erläutert. Bereits 1617 entstand Werders älteste gewerbliche Brauerei mit Schankrecht in der Schützengasse. Im 19. Jahrhundert gab es in Werder fünf große industrielle Brauereien und das Bier erfreute sich großer Beliebtheit, wie Manfred Baarsch berichtet. Nur mit den Fischern gab es hin und wieder Streit, weil die Brauereien Eis aus der Havel abzwackten, um das Getränk auch im Sommer kühl anbieten zu können. Der Untergang des Brauereiwesens in der Stadt begann nach dem Zusammenschluss der vier größten Brauereien 1875 zur Werderschen Brau AG, die bereits wenig später Pleite ging. Auch der Versuch, eine Aktiengesellschaft zu gründen, misslang. Die Berliner Konkurrenz war damals zu groß. 1912 wird das Konkursverfahren eingeleitet. Die Geschichte des Werderschen Bieres war damit vorbei.

Weitere Beiträge zu ausgewählten traditionsreichen Industriebetrieben, die Werder geprägt haben, runden den sechsten Band ab. Insgesamt haben 14 Autoren an der Publikation gearbeitet, davon viele ehemalige Mitarbeiter und Leiter der Betriebe und Produktionsstätten, die im Band beschrieben werden. Wie etwa das Schaltgerätewerk, die Stuhlfabrik Hermann-Saß-KG oder auch die Haus und Grundstückgesellschaft Werder (Havel) (HGW). „Alle waren mit tatsächlicher Begeisterung dabei, weil sie ihr Schaffenswerk damit darstellen konnten“, so Martin.

„Zäh wie Leder - Hart wie Stein“

Wie etwa Hubert Rießner, der seit 1969 im VEB Vulkanfiberfabrik als Leiter für Ausbildung und Forschung, später als technischer Leiter und von 1990 bis 1992 als Geschäftsführer tätig war. Die Fabrik wurde bereits 1916 in Betrieb genommen. Der Berliner Importkaufmann Martin Schmid ließ die Produktionsstätte für den Kunststoff Vulkanfiber während des Ersten Weltkrieges aufbauen. Schmid kaufte ein Grundstück im Mittelweg, der heutigen Adolf-Damaschke-Straße 62. Bereits in den 20er Jahren arbeiteten hier 150 Mitarbeiter. Für ihren Kunststoff hatte sich der Eigentümer bereits vor dem Zweiten Weltkrieg einen knackigen Werbeslogan ausgedacht: „Zäh wie Leder - Hart wie Stein“ titelte die Fabrik auf ihrer hauseigenen Reklame.

Auch nach dem Krieg konnte sich die Produktion halten, obwohl das Werk ursprünglich wegen der zu tätigenden Reparationsleistungen an die Sowjetunion demontiert werden sollte. Doch ein russischer Ingenieur erkannte den Wert des Betriebes und setzte sich für den Erhalt ein. In der DDR war die Vulkanfiberfabrik die einzige ihrer Art und exportierte nicht nur in die sozialistischen Nachbarländer, sondern auch in den Westen. Doch nach der Wende war es vorbei: Trotz hoher Auftragslage wurde der Betrieb von der Treuhand abgewickelt. 150 Mitarbeiter verloren damals ihren Job.

— Martin, Meißner, Froh (Hrsg.): Werder (Havel) 700 Jahre Ortsgeschichte. Band 6 Dienstleistungen und Industrie. Für 17, 50 Euro in der Buchhandlung Hellmich und dem Kartenhaus im Werderpark erhältlich.

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