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Das Klassenfoto entstand im Sommer 1938. In der mittleren Reihe links: Hans-Peter Olschowski, neben ihm Günter Grothe.

© privat

Von Henry Klix: „Plötzlich nicht mehr unter uns“

Historiker Röhn dokumentierte Schicksal eines Werderaner Holocaust-Opfers

Werder (Havel) - Er war 19, als er im April 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. Die Jugend des Hans-Peter Olschowski war schon vorher vorbei: In der Pogromnacht wurden die Rollläden des Textilgeschäftes seiner Eltern in der Brandenburger Straße 20 mit Äxten zerschlagen, die Schaufenster zerschmettert. Der Vater, Kurt Olschowski, war SPD-Mann und wurde nach dem Pogrom für einen Monat im KZ Sachsenhausen inhaftiert, danach war er Zwangsarbeiter im Eisenbahnbau. Der Rest der Familie flüchtete aus dem heimatlichen Werder nach Berlin, Hans-Peter kam als Gärtnerlehrling unter, bevor er die Reichshauptstadt mit dem „37. Osttransport“ verlassen musste.

In Werder ließ er auch seinen Freund Günter Grothe zurück. Dem ließ noch Jahrzehnte später keine Ruhe, was mit seinem jüdischen Schulkamerad passiert war. „Hans-Peter war in unserer Klasse (er saß neben mir) und war nach dem 9. November 1938 dann plötzlich leider nicht mehr unter uns“, schrieb Grothe vor fünf Jahren ans Rathaus Werder. Er bat darum, für seinen im KZ ermordeten Freund einen Stolperstein verlegen zu dürfen – die Gedenktafeln im Trottoir sind in ganz Europa vor früheren Wohnstätten der Holocaust-Opfer zu finden. Es hat gedauert, bis jemand die nötigen Fakten zusammentrug.

Der pensionierte Werderaner Historiker und Philologe, Professor Hartmuth Röhn, recherchierte in den vergangenen Monaten im Auftrag des Toleranzbündnisses „Kurage“ zum Schicksal Hans-Peter Olschowskis. Umstände und Zeitpunkt seines Todes waren ungeklärt. Inzwischen ist sicher, dass er – unmittelbar vor der Befreiung des Lagers durch die Sowjetarmee – von Auschwitz nach Mittelbau-Dora verschleppt wurde. Auf einer Liste der Neuzugänge des Arbeitslagers vom 28. Januar, in dessen Werksstollen in den letzten Kriegsmonaten Flugbomben produziert wurden, taucht unter der Nummer 108390 der Name des jungen Mannes auf. Es ist die letzte dokumentierte Spur von Hans-Peter Olschowski. Als sich im April 1945 die Amerikaner näherten, wurde Mittelbau-Dora evakuiert. Todesmärsche führten zu den Lagern Bergen-Belsen, Sachsenhausen und in die Lübecker Bucht, wo viele Lagerinsassen bei der Versenkung von Schiffen durch alliierte Bombardierungen ums Leben kamen. Über 1000 Häftlinge wurden in der Isenschnibber Feldscheune bei Gardelegen lebendig verbrannt. Auch Hans-Peter Olschowski hat diese Wochen nicht überlebt, sagt Hartmuth Röhn.

Im Gedenkbuch des Bundesarchivs sind neun Bürger aus Werder und neun aus Glindow dokumentiert, die der nationalsozialistischen Judenvernichtung zum Opfer fielen. Die Ossietzky-Oberschule will jetzt in einem Schulprojekt den Geschehnissen nachgehen. Am Montag treffen sich Schul- und Rathausvertreter mit Mitarbeitern der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem, um sich abzustimmen. Auch Hartmuth Röhn wird dabei sein, nach seinen Recherchen zu Hans-Peter Olschowski wird er das Projekt beraten.

Um das Schicksal des Werderaner Juden nachzuzeichnen, hat der Historiker, der früher in der Humboldt-Universität tätig war, neun Archive kontaktiert. Auch das Kriegsschicksal seiner Eltern und Geschwister trat dabei zutage. Röhn hält es für bemerkenswert, dass drei Mitglieder der fünfköpfigen Familie den Holocaust überlebten. Erschwert wurde die Recherche, da sich die Familie – offenbar im Zuge des Namensänderungsgesetzes für Juden – neue Vornamen zulegte. Aus Kurt, Ruth, Hans-Peter und Anita wurden Berl, Bela, Bud und Zilla. Offenbar konnten die Olschowskis so die für Juden vorgeschriebenen Zwangsnamen „Sara“ und „Israel“ umgehen. Mutter und Schwester von Hans-Peter Olschowski konnten, möglicherweise durch einen Wohnungswechsel – die Deportation lange hinauszögern – erst im Oktober 1944 mussten sie Berlin mit dem „58. Osttransport“ in Richtung Auschwitz verlassen. Ruth Olschowski wurde dort vergast, ihre Tochter Anita wurde verlegt und erlebte die Befreiung des KZ Bergen-Belsen am 15. April 1945.

Dem Vater, Kurt Olschowski, gelang es, im Februar 1943 unterzutauchen, er lebte bis zum Kriegsende illegal in Berlin, leitete danach die Spedition Fitzner in Werder, trat in die SED ein und machte trotz seiner offenbar ungefestigten Einstellung Karriere in der Politik: „Ideologisch nicht klar. Kann sich nicht von der früheren SPD lösen“, steht in seiner Personalakte. Von 1958 bis 1961 war Kurt Olschowski Bürgermeister von Werder. Er verstarb 1971, sein kleinster, nach der Werderaner Pogromnacht in Polen versteckter Sohn Heinz 1998 in Plauen. Er war 61.

Hartmuth Röhn wird am kommenden Dienstag (19 Uhr, Hotel Zur Insel) zum Schicksal Hans-Peter Olschowskis und seiner Familie referieren. Er hofft, dass sich noch Zeitzeugen auf den Weg machen.

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