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Vorsichtiger Widerstand. Kritiker der Erweiterungspläne von Herbstreith & Fox aus der Kolonie Zern und den Havelauen trafen sich auf einem Gartengrundstück auf der anderen Straßenseite vom Pektinwerk.

© Henry Klix

Von Henry Klix: Gerüche in der Wohnidylle

Anwohner besorgt über Erweiterungspläne für Pektinfabrik / Firma und Stadt wollen Interessenausgleich

Werder (Havel) - Es ist ein krisenfestes Produkt: Wegen seiner Fähigkeit zu gelieren, ist Pektin ein unverzichtbarer Bestandteil vieler Alltagsprodukte. In Marmeladen, Süßwaren, Backwaren, Getränken, in Arzneimitteln und Kosmetikprodukten findet sich das Verdickungsmittel, das mit einem erheblichen technischen Aufwand aus Apfel-, Zitrus- oder Rübentrester hergestellt wird. Der führende Pektinhersteller in Deutschland – und einer der größten weltweit – ist die Herbstreith & Fox KG in Neuenbürg (Baden-Württemberg). Und dass die Firma ihren Produktionsstandort in Werder erweitern will, sollte eigentlich eine gute Nachricht sein. Doch nach dem PNN-Bericht über die Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplanes regt sich unter den Bewohnern der benachbarten Kolonie Zern und der Havelauen vorsichtiger Widerstand.

Als Hans-Friedrich Rockstuhl vor zwölf Jahren mit seiner Frau in ein Reihenhaus der Havelauen zog, sei von der Pektinfabrik noch nichts zu spüren gewesen: „Den Käufern wurde von einer Industrieanlage auch nichts erzählt.“ Das Pektinwerk, das sich, wie Rockstuhl schätzt, 300 Meter Luftlinie von seinem Haus entfernt befindet, wurde zwar schon 1988 in der DDR in Betrieb genommen. Herbstreith & Fox übernahm das Werk gleich nach der Wende, die kontinuierliche Pektinproduktion wurde aber erst im Jahr 2000 wieder aufgenommen. „Wie konnte die Stadt Werder überhaupt einen Bebauungsplan für die Havelauen erstellen lassen, wenn der Bestandsschutz für das Pektinwerk noch wirkte?“, fragt sich Rockstuhl. „Konflikte waren da doch vorprogrammiert.“

Die gab es dann auch: Mal fiepten die Lüfter, mal blieb eine Tür des Maschinenraums offen stehen, dann wieder war eine Schallschutzisolierung defekt oder es wurde ein Sicherheitsventil ausgelöst. Der Rentner Martin Pfeifer, der mit seiner Frau in der Wohnidylle der Elkawerft – auf der anderen Straßenseite des Werksgeländes – lebt, hat auf all seine Beschwerden beim Landesumweltamt Begründungen für den Krach geliefert bekommen. Auch Hans-Friedrich Rockstuhl, als er vor drei Jahren wegen der Geruchsbelästigung an die Behörde schrieb: Beim Trocknen des „entpektinisierten“ Apfeltresters, der danach an Schweine verfüttert wird, kann es eben schon mal etwas riechen. Eine Geruchsbelästigung von 876 Stunden pro Jahr habe er aber als Nachbar einer gewerblichen Anlage auch hinzunehmen, wie das Landesumweltamt damals mitteilte.

Viele der Störungen, dass räumen auch Bewohner wie Siegfried Bußmann ein, sind mit den Jahren abgestellt worden. Wenn das Werk jetzt allerdings an der anderen Straßenseite um eine Obsttrester-Trocknungsanlage und ein Geothermie-Kraftwerk erweitert wird, fürchten die Anwohner neues Ungemach auf sich zukommen. „Auf dem jetzigen Level haben wir uns ja mit der Industrieanlage arrangiert, aber mehr machen wir nicht mit“, sagt Bußmann. Kurt Schulz, der zwischen Autobahn und Industrieanlage wohnt, verweist darauf, dass mit der in den nächsten Jahren geplanten Autobahnverbreiterung auch neue Lärmschutzwände an der Auffahrt erkämpft wurden. „Aber wenn mir von der anderen Seite das Pektinwerk auf die Pelle rückt, nutzt mir das gar nichts.“

Nach Angaben des Kemnitzer Ortsvorstehers Joachim Thiele leben allein in der Kolonie Zern „100 hauptwohnsitzlich gemeldete Personen in Ein- und Mehrfamilienhäusern und in zwei Wohnblocks“ – ein Drittel der Einwohner von Kemnitz also. Alle diese Menschen seien von den Auswirkungen betroffen, die die Erweiterung des Pektinwerkes möglicherweise mit sich bringt. Was die Havelauen angeht, versichert Mega-Büroleiter Steffen Lehmann derweil, dass die Mindestabstände für Wohnbebauung zu Industrieanlagen von 500 Metern eingehalten wurden und werden, einige an sich gut gelegene Grundstücke könnten deshalb nicht bebaut werden. „Ich habe hier aber auch noch nie etwas von Lärm oder Gerüchen mitbekommen“, versichert er.

Auch für das brandenburgische Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz ist das Werderaner Pektinwerk kein Problem: Die Emissionen der Anlagen würden alle vier Jahre geprüft, zuletzt im Jahr 2008, so Ministeriumssprecher Hans-Joachim Wersin-Sielaff. „Die Prüfung ergab keine Beanstandungen.“ Vor allem der Lärmschutz sei aufgrund von Anwohnerbeschwerden in den Jahren 2001 und 2004 nachgebessert worden, die an den nächstgelegenen Wohnhäusern zulässigen Grenzwerte würden „nachweislich sicher eingehalten“. Und technische Änderungen zur Minderung der Geruchsimmissionen, die beim Betrieb der Trestertrocknungsanlage entstehen, seien schon im Jahr 2000 durchgeführt worden.

„Auch zukünftig werden von uns keine unerträglichen Immissionen ausgehen“, sagt der Geschäftsführer der Herbstreit & Fox KG, Gerhard F. Fox auf die Frage, womit die Nachbarn mit der Werkserweiterung zu rechnen haben? „Wir werden den Standort Werder weiterhin verantwortungsvoll führen und ausbauen und so unseren Beitrag zur Stärkung der Region leisten.“ Bei allen Neuentwicklungen sei sich Herbstreith & Fox seiner Verantwortung gegenüber der Umwelt und dem Umfeld bewusst. „So überprüfen wir auch laufend unsere derzeitigen Produktionsprozesse, um Immissionen auf ein Minimum zu beschränken.“ Um den Standort auszubauen, sei Planungssicherheit unabdingbar, sagt Fox: Mit dem Bebauungsplanverfahren werde man in einen Dialog mit allen Beteiligten und Nachbarn eintreten, einen Ausgleich aller Interessen herbeiführen, „um weiterhin ein gutes Miteinander zu gewährleisten“.

Darauf hofft auch Werders Bürgermeister Werner Große. „Ziel des Bebauungsplanverfahrens ist es ja gerade, Konflikte zu vermeiden.“ Der Bürgermeister appelliert aber auch an die Bürger und Bewohner der Kolonie Zern und der Havelauen, etwas Verständnis mitzubringen. Herbstreith & Fox sei neben Miele und der Stadtverwaltung Werders größter Arbeitgeber. „Wir müssen dem Unternehmen hier eine Perspektive geben.“ Immerhin: Für die Pläne eines „Havelcamps“ mit günstigen Übernachtungsplätzen am Zernsee stellt auch eine erweiterte Pektinfabrik kein Hindernis dar, versichert Andreas Scheffner, dessen AS Immobilien GmbH das touristische Projekt gemeinsam mit dem Diakonischen Werk Potsdam umsetzen will. „Wegen des großen Abstands von 500 Metern werden wir uns nicht ins Gehege kommen“, ist sich Scheffner sicher. „Und wenn es doch mal nach Bratäpfeln riechen sollte, dann ist das auch kein Problem.“ Pektin und Erholung - für Scheffner geht beides. Mit oder ohne neuer Obsttrester-Trocknungsanlage in der Nachbarschaft – in knapp zwei Jahren soll das Havelcamp stehen.

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