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Was bedeutet ...? Mit Begriffen wie Schweigepflichtentbindungserklärung hat Rigobert Bashisha-Muja (r.) noch seine liebe Mühe. Ganze 20 Minuten hat Anwältin Katharina Storch gebraucht, um das Wort in einzelne Teile zu zerlegen und ihrem neuen Praktikanten deren Bedeutung zu erklären.

© Andreas Klaer

Vom Flüchtlingsheim in eine Anwaltskanzlei: Ein ungewöhnliches Duo

Eine Kleinmachnower Anwältin hat einen kongolesischen Flüchtling als Praktikanten eingestellt. Auch wenn es mühsam ist, profitieren beide voneinander.

Von Eva Schmid

Kleinmachnow - Es sind Wörter wie Schweigepflichtentbindungserklärung oder Schadensersatzanspruch, die Rigobert Bashisha-Muja die Hände über den Kopf zusammenschlagen lassen. Der 38-jährige Kongolese hat sich in Gesetzestexte vertieft, neben ihm liegt das Wörterbuch. Bashisha-Muja, der vor zwei Jahren über Südafrika nach Deutschland geflüchtet ist, wälzt freiwillig Gesetzestexte. Er macht ein Praktikum in einer Kleinmachnower Rechtsanwaltskanzlei.

„In einem fremden Land muss ich die Regeln und Gesetze des Landes kennen“, sagt der Mann mit den breiten Schultern und dem neugierigen Blick. Er sagte sofort zu, als er im vergangenen Jahr gefragt wurde, ob er ein Praktikum in einer Rechtsanwaltskanzlei machen wolle. Angestellt hat ihn die Kleinmachnower Rechtsanwältin Katharina Storch. Sie ist an der Elfenbeinküste aufgewachsen und hat in Frankreich studiert. Einen Flüchtling in das deutsche Rechtssystem einzuarbeiten oder zumindest die Grundrechte, wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde, näher zu bringen, war der 55-Jährigen wichtig. „Ich liebe diesen Rechtsstaat und versuche das zu vermitteln“, sagt die auf Bau- und Vertragsrecht spezialisierte Anwältin.

Ein Flüchtling in einer Kanzlei: Ein Novum in der Region

Ein Flüchtling, der für eine Rechtsanwältin arbeitet, das ist in der Region ein Novum. Die rund 100 Flüchtlinge, die die Potsdamer Arbeitsagentur seit vergangenem Sommer an Betriebe vermittelt hat, arbeiten überwiegend als Reinigungskräfte oder in der Auto-Branche. Die Potsdamer Behörde ist für einige Flüchtlingsheime im Landkreis zuständig. Dort wurden laut Pressesprecherin Doreen Ließ Flüchtlinge über die Möglichkeiten, in Deutschland zu arbeiten, informiert. Wie viele von ihnen derzeit eine Arbeit oder einen Ausbildungsplatz haben, kann Ließ nicht sagen. Darüber führe man keine Statistik. Es gebe nur Zahlen zur Erwerbstätigkeit von Arbeitnehmern nichtdeutscher Herkunft – darunter viele, die schon lange in Deutschland leben. „Entscheidend sind die Veränderungen in den Zeitreihen, die im Zusammenhang mit der aktuellen Migration gesehen werden können“, so Ließ. So waren im Landkreis 2013 knapp 3000 Ausländer beschäftigt. Zwei Jahre später waren es bereits 4200 Arbeitnehmer. Der Großteil von ihnen ist sozialversicherungspflichtig angestellt. „Die Datenerfassung endet im Sommer 2015, als es mit der Flüchtlingskrise losging“, sagt Ließ. Für 2016 erwarte sie daher einen deutlichen Anstieg der Zahlen.

Die Behörde in Potsdam wollte auch Bashisha-Muja eine Ausbildung vermitteln – ohne Erfolg. „Sie wollten, dass ich Lkw-Fahrer, Maurer oder Maler werde.“ Der Kongolese suchte nach etwas, das seinem Politik- und Soziologiestudium nahe kam. Ein ganz normaler Praktikant ist der Mann aus dem Kongo nicht: „Klageschriften oder Widersprüche kann ich ihm nicht vorlegen“, so Storch. Das liege an den dafür nicht ausreichenden Sprachkenntnissen. Storch finanziert ihm Sprachkurse in der Volkshochschule Potsdam. In der Kanzlei kümmert er sich um den Posteingang, hilft bei der Buchhaltung, begleitet die Rechtsanwältin zu Gerichtsterminen und nimmt an Gesprächen mit Mandanten teil.

Katharina Storch schätzt den Blick von außen

Auch wenn Storch ihrem Praktikanten viel erklären müsse, gebe es Vorteile. Sie profitiere von seinem Blick von außen, „sein Eindruck nach Gerichtsterminen oder Mandantengesprächen ist mir wichtig“. Ein Jahr lang ist Bashisha-Muja Praktikant, nebenher besucht er die Berufsschule. Er schnuppert sozusagen in die Ausbildung hinein.

Die Arbeitsagentur bezuschusst Bashisha-Muja mit 324 Euro im Monat. Mühsam sei der Kampf gewesen, bis die Behörde das Praktikum genehmigt hätte, so Storch. Arbeitgebern würden beim Versuch, Flüchtlinge einzustellen, Steine in den Weg gelegt. Für jede Kleinigkeit müsse man zur Ausländerbehörde des Kreises nach Werder (Havel). Und der unsichere Aufenthaltsstatus vieler Flüchtlinge mache die Sache nicht einfacher: „Ein potentieller Arbeitgeber wird nicht besonders motiviert sein, einen Geduldeten, mit dessen Weggang jederzeit zu rechnen ist, einzustellen“, so Storch. Auch Bashisha-Muja ist nur geduldet, obwohl ihm verfahrensrechtlich laut Storch der Status „Gestattung“ zusteht. Im Gegensatz zur Duldung, wo man jederzeit Angst haben muss, abgeschoben zu werden, ist man mit einer Aufenthaltsgestattung während des laufenden Asylverfahrens rechtmäßig im Land, erklärt die Anwältin. Sie ist mittlerweile Expertin im Asylrecht.

Wie geht es weiter?

Mit Asylrecht kennt sich Bashisha-Muja auch gut aus. Je mehr er sich damit befasst, umso unsicherer wird er. Nicht zu wissen, wie es weitergeht, ob er als politisch Verfolgter anerkannt wird, das nagt an ihm. Zumindest ist er dem eintönigen Alltag im Flüchtlingsheim in der Potsdamer Straße in Teltow entkommen. Nur schlafen, essen, lesen und die Zeit totschlagen, das belastete ihn. Mittlerweile hat er eine kleine Wohnung in einem Dachgeschoss für sich. Eine Familie aus Kleinmachnow hat ihn bei sich aufgenommen. Dort kommt er zur Ruhe. Am wohlsten fühlt er sich aber in den Räumen in der Kanzlei von Storch. Eigentlich muss er nur vier Tage die Woche kommen, so steht es in seinem Vertrag, aber er kommt an fünf Tagen, blättert in der Baurechtsordnung, dann wieder im Übersetzungswerk. Neben ihm liegt ein Block voller Vokabeln. Im Nebenzimmer sitzt seine Chefin, man hört die Tastatur klackern.

Bashisha-Muja fühlt sich so integriert; einen Arbeitsalltag zu haben, hilft ihm, nicht ganz den Kopf in den Sand zu stecken. Ab und an schaut Storch bei ihm vorbei, dann fragt er sie nach Vokabeln, die nicht in seinem Wörterbuch stehen. Die Schweigepflichtentbindungserklärung gehört dazu. Er weiß mittlerweile, was das ist – auch wenn es mit der Aussprache dieses langen Wortes noch hapert. Ganze 20 Minuten hat Storch gebraucht, um das Wort in einzelne Teile zu zerlegen und deren Bedeutung zu erklären. Am Ende hat der Mann aus dem Kongo freudig genickt, er hat es verstanden – seine Skepsis aber blieb. Es gebe zu viele Regeln und Gesetze, aber irgendwie mag er die auch.

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