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Muss das Land jetzt für die Schäden geradestehen? Rechtsanwalt Ingo Zeutschel sagt: Ja.

© Lutz Hannemann

Urteil über Abwasseranschlüsse aus DDR-Zeiten: Vier Jahre sind vier Jahre

Rechtsanwalt Ingo Zeutschel steht im Kampf gegen die Zweckverbände an der Seite Hunderter Altanschließer. Er hat die Konsequenzen des Karlsruher Urteils als einer der Ersten analysiert.

Potsdam - Es ist 18 Jahre her, dass Dieter Wörn für sein Gartengrundstück in Michendorf einen Abwasseranschluss bekam. Er wollte gar keinen, konnte sich aber nicht wehren und zahlte schließlich brav die gut 4739 D-Mark Anschlussgebühr. Als vom Mittelgraben-Verband jetzt erneut ein Bescheid kam, wonach er 2184 Euro für den damaligen Anschluss nachzahlen sollte, traute Wörn seinen Augen nicht. „Ich bin ja Laie, aber ich glaube einfach nicht, dass man das Recht verbiegen kann, wie es einem gerade passt.“

Sein Rechtsempfinden hat Dieter Wörn nicht getäuscht, das Bundesverfassungsgericht hat es gerade klargestellt (PNN berichteten). Am Vertrauensschutz, dem Rückwirkungsverbot und der vierjährigen Verjährungsfrist für Abgabenbescheide lässt sich nicht rütteln. Das Land Brandenburg kann das Kommunalabgabenrecht nicht den fiskalischen Bedürfnissen anpassen und Grundgesetz und die Abgabenordnung links liegen lassen. So interpretiert das Urteil auch der Potsdamer Rechtsanwalt Ingo Zeutschel.

Wer sein Geld zurückverlangen kann

Der Verwaltungsrechtler hat sich den Karlsruher Richterspruch in den vergangenen Tagen genauer angeschaut. Seine Kanzlei vertritt Kunden aus sechs Abwasserzweckverbänden in Brandenburg, vor allem aus der Nuthetaler „Interessengemeinschaft Wasser und Abwasser“ IWA, die sich mit Betroffenen des Mittelgraben-Verbandes über das Urteil freuen dürfen. Nuthetal ist im Protest gegen Altanschließer-, Vor- und Neuanschließerbeiträge eine der am besten organisierten Gemeinden, meint Zeutschel. Allein die IWA hat fast 700 Mitglieder.

Zeutschel ahnt, dass die Landesregierung nun nach Möglichkeiten suchen wird, durch Umdeutung des Urteils den Schaden gering zu halten. Der Kampf sei erst beendet, „wenn wirklich jeder sein Geld zurück hat“. Betroffenen empfiehlt er, mit Nachdruck ihr Geld zurückzuverlangen. Anspruch auf Rückzahlung hätten in jedem Fall alle, deren Verfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen sind.

Verbände wie der Mittelgraben, in dem auch Dieter Wörn zu den Betroffenen zählt, haben Widerspruchsverfahren bis zum Abschluss klärender Leitverfahren ruhend gestellt, auch diese Betroffenen hätten nach dem Karlsruher Urteil einen Anspruch auf Rückerstattung. Doch Zeutschel rät auch Betroffenen, die dem Beitragsbescheid nicht widersprochen haben oder gegen Widerspruchsbescheide nicht gerichtlich vorgingen, bei ihren Zweckverbänden die Aufhebung der Beitragsbescheide und die Rückzahlung der rechtswidrig kassierten Gelder – oft mehrere Tausend Euro – zu reklamieren. „Es handelt sich immerhin um ein verfassungswidriges Vorgehen“, sagt er.

Was das Urteil klarstellt

Aus seiner Sicht lässt das Urteil aus Karlsruhe keine Deutungsspielräume. „Die Kommunalabgabenordnung des Landes ist hinsichtlich der Fristenregelung nicht verfassungskonform und muss geändert werden.“ Die im Jahr 2004 „im fiskalischen Eifer“ eingefügte Formulierung, laut der die in der Abgabenordnung festgelegte, vierjährige Verjährungsfrist nicht mehr mit dem Anschluss und dem Inkrafttreten einer Satzung, sondern erst mit der ersten „rechtswirksamen“ Satzung beginne, müsse „unverzüglich“ zurückgenommen werden.

„Das Land hatte sich damit den Umstand zunutze gemacht, dass die Gebührensatzungen der Verbände wegen Anfechtungen von Bürgern immer mal wieder geändert werden müssen“, erklärt Zeutschel. Jede neue Satzung ließ die Verjährungsfrist neu beginnen, aus den gesetzlich vorgeschriebenen vier Jahren konnten so Jahrzehnte werden. Als das Bundesverfassungsgericht schon vor zwei Jahren für einen Fall aus Bayern klarstellte, dass Beiträge nicht zeitlich unbegrenzt festgelegt werden können, kittete die Landesregierung das Kommunalabgabengesetz notdürftig mit einer zeitlichen Obergrenze für den Vorteilsausgleich von 15 Jahren, den Fristlauf hemmte sie wegen der Sondersituation nach der deutschen Einheit bis Oktober 2000.

Bis Ende dieses Jahres konnten damit nicht nur DDR-Altanschließer zur Kasse gebeten werden, die ihren Abwasserkanal bereits weit vor der Wende gelegt bekamen, sondern auch jene, die nach der Wende ans Netz kamen, bevor die 100 Abwasserverbände im Land – meist Mitte der 1990er-Jahre – ihre Satzungen aufstellten. Drittens konnten binnen 15 Jahren auch Neuanschließer zur Kasse gebeten werden, die in der bestehenden Rechtsordnung ihren Beitrag entrichtet hatten – wenn in späteren Satzungen höhere Anschlussbeiträge festgelegt wurden. So wie es Dieter Wörn passierte.

Auch wenn Karlsruhe nicht explizit darüber geurteilt hat, so ist für Rechtsanwalt Zeutschel auch eine zehnjährige Verjährungshemmung sowie daran anschließend eine nochmalige Verjährung von 15 Jahren „ein Witz“. „Da sind gewisse Energien sichtbar geworden, an das Geld der Leute zu kommen“, sagt er. Die Verbände seien nach der Wende durchaus handlungsfähig gewesen, hätten Millionen investiert, kommentiert er die angebliche „Sondersituation“ nach der Wende.

Welche Zahlungsfrist jetzt gilt

Allein für Ausnahmen von der vierjährigen Verjährung setzt das Bundesverfassungsgericht sehr enge Grenzen, die es in Brandenburg in seinem Urteil deutlich überschritten sieht. Für den Vertrauensschutz des Bürgers komme es darauf an, ob er noch mit Heranziehung zum Beitrag rechnen musste, wie es im Urteilsspruch heißt. Schreibe das geltende Recht die rückwirkende Inkraftsetzung einer Satzung auf einen über vier Jahre zurückliegenden Zeitpunkt vor, sei der Vertrauensschutz dahin. In Brandenburg sehen die Richter deshalb „das Vertrauen in die Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit der Rechtsordnung als Garanten einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung ernsthaft gefährdet“.

Vier Jahre sind vier Jahre – am Beispiel Nuthetal erklärt Zeutschel, was die Richter als unumstößlich ansehen: Im Mittelgrabenverband sei 1995 eine erste Kanalbeitragssatzung erstellt. Für alle, die davor angeschlossen wurden, endete die Beitragspflicht nach der Verjährungsfrist am 31. Dezember 1999. Für alle anderen gelte, dass die vier Jahre am Ende des Jahres beginnen, in dem der Abwasseranschluss erfolgte. „Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig klargestellt, dass das Land bereits verjährte Sachverhalte nicht mit neuen Gesetzen aus der Verjährung holen kann“, betont Zeutschel.

Wer für den Schaden aufkommen muss

Zeutschel schätzt, dass Brandenburgs Zweckverbände durch den Gesetzesbruch zwischen 500 Millionen und eine Milliarde Euro eingenommen haben. Wer bei der Rückzahlung dafür geradestehen muss, sei ebenfalls im Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg zu finden: „Das Land hat den Verbänden dort versprochen, für nicht mehr einbringliche Beiträge aufzukommen“, so Zeutschel. Wörtlich heißt es im Gesetz: „Das Land erstattet den Gemeinden die von ihnen nachzuweisenden Mehrbelastungen, die ihnen ohne Verschulden ... entstehen.“ Von der „Mohrrübe an der Angel“ spricht Zeutschel, damit die Verbände auch wirklich das Geld eintreiben.

Wenn sich die Landesregierung jetzt, wie aus den jüngsten Aussagen von Ministerpräsident Woidke hervorgeht, aus der Verantwortung stehlen und die Kommunen im Regen stehen lassen will, sollten die Zweckverbände, so empfiehlt es Anwalt Zeutschel, gerichtlich gegen die Landesregierung vorgehen. Die Erfolgsaussichten seien, wie er meint, recht gut.

Gar nicht erst gezahlt

Dieter Wörn aus Michendorf will kein Geld zurück. Er hat den neuen Beitragsbescheid gar nicht erst bezahlt, die Zahlungsfrist vom Montag verstreichen lassen. „18 Jahre später, das muss man sich mal überlegen“, sagt der 77-Jährige. Von möglichen Nachzahlungen habe 1997 nichts auf der Rechnung gestanden.

Dass Zweckverbände, die sich nach der Wende häufig übergroße Kläranlagen aufschwatzen ließen, ohne jede Rechtsgrundlage auf dem Rücken der Bürger saniert werden sollten, sieht er nicht ein. Er sei da der falsche Ansprechpartner. Dieter Wörn weiß sich mit den Karlsruher Richtern auf der sicheren Seite, einen Anwalt brauche er nicht mehr. „Die ganze Nachbarschaft in der Poststraße ist sich einig“, erzählt der Rentner. „Wir zahlen nicht.“

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