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Im Hinterhof dieses Hauses in der Brandenburger Straße hatte Andreas E. am 8. Februar mit einer Schrotflinte auf seinen Nachbarn geschossen.

© dpa

Tödliche Schüsse in Werder (Havel): Nach drei Flaschen Rotwein griff Nachbar zur Schrotflinte

Prozess vor dem Landgericht Potsdam: Mit einer Schrotflinte schoss Andreas E. im Februar auf seinen Nachbarn und traf ihn tödlich. Jetzt sagte er vor dem Landgericht Potsdam aus.

Werder (Havel) - Nur einzelne Bilder habe er noch vom Geschehen des 8. Februar 2019 im Kopf, sagte der wegen Mordes Angeklagte Andreas E. am Freitag vor dem Landgericht Potsdam. An jenem Tag hatte der  60-Jährige seinen zwei Jahre jüngeren Nachbarn mit zwei Schüssen aus einer Schrotflinte getötet. Er sei zu diesem Zeitpunkt stark alkoholisiert gewesen. Daran, die Schüsse ausgelöst zu haben, erinnere er sich demnach nicht.

Es ging um zwei kleine Mischlingshunde

Die Tat hatte sich am frühen Abend im Hinterhof eines Hauses in der Brandenburger Straße ereignet. Der Nachbar, der noch am Tatort seinen Verletzungen erlegen war, hatte in einer anderen Wohneinheit desselben Hauses gelebt. Monatelang soll sich ein Konflikt zwischen Andreas E. und dem späteren Opfer aufgeschaukelt haben, bei dem es vorrangig um zwei kleine Mischlingshunde ging. Die beiden Tiere gehörten der Lebensgefährtin des Angeklagten, die dieser im April 2018 an einer Bushaltestelle in Werder (Havel) kennengelernt hatte. „Bei unserem ersten Gespräch hat sie mir erzählt, dass sie unglücklich verheiratet ist“, schilderte Andreas E. auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Theodor Horstkötter. Seine neue Freundin sei bereits wenige Tage später bei ihm eingezogen. Nach einigen Monaten habe sie die Hunde nachgeholt. „Ich habe ihr von Anfang an gesagt, wir müssen dafür sorgen, dass die Tiere niemanden belästigen“, sagte Andreas E.
Zwei Nachbarn beschwerten sich jedoch mehrfach über die beiden Tiere und ihr Bellen. Das spätere Opfer soll dabei wiederholt grobe Schimpfwörter für die Hunde sowie auch für Andreas E. und dessen Lebensgefährtin benutzt haben. Er habe sich nicht provozieren lassen wollen, sagte Andreas E. dem Gericht: „Ich habe darauf gar nicht reagiert.“

Der mutmaßliche Täter war Alkoholiker

Seine Lebensgefährtin und er waren bereits mehrmals wegen ihrer Alkoholsucht in stationärer Behandlung gewesen. Nach einem gemeinsamen Entzug im September 2018 hätten beide beschlossen, von nun an nur noch höchstens eine Flasche Wein täglich zu zweit zu leeren, sagt Andreas E. Nach einigen Monaten sei dieser Entschluss allerdings wieder ins Wanken geraten. Seine Lebensgefährtin war schließlich wegen psychischer Probleme in eine Klinik eingewiesen worden. Am Abend vor der Tat hatte Andreas E. aus Frust darüber große Mengen Wein konsumiert und auch am darauffolgenden Tag weiter getrunken. So habe er allein am Nachmittag des 8. Februar drei Flaschen Rotwein geleert.

Der böse Gesichtsausdruck weckte Erinnerungen

Während des Mittagsspaziergangs mit den Hunden sei an jenem Tag der Plastikverschluss an einer der Hundeleinen kaputtgegangen, sagte Andreas E. Als er heimkehrte, lief somit eines der Tiere zunächst frei auf dem Hof herum. Der Nachbar habe ihn erneut wegen der Hunde beschimpft und dabei „wieder diesen bösen Gesichtsausdruck gehabt“. Jener Gesichtsausdruck, so sagt E., habe ihn an ein schlimmes Erlebnis aus dem Jahr 1991 erinnert. Damals habe er, ein gebürtiger Sachse, nur knapp einen Angriff durch eine Gruppe Skinheads überlebt. Die Neonazis hätten ihm vor einer Kneipe aufgelauert und ihn bewusstlos geprügelt. „Einer der Täter, ein riesengroßer, tätowierter Kerl, hatte auch so einen  Gesichtsausdruck“, erinnerte sich Andreas E. in seiner Aussage. Seine Stimme klingt angespannt. E.s Verteidiger Christoph Stoll bittet kurz darauf um eine Pause.

Am Nachmittag des 8. Februar habe er bei seinem Nachbarn geklingelt, um den Streit endlich zu schlichten, sagte Andreas E.: „Ich habe ihm gesagt, dass der Hund nur aus Versehen frei über den Hof gelaufen ist.“ Die weiteren Erinnerungen vom Verlauf des Nachmittags seien bruchstückhaft. Der Nachbar habe von seiner Terrassentür etwas herüber gerufen. Er selbst habe daraufhin seine Schrotflinte aus dem Schrank genommen, so Andreas E.. Ursprünglich habe er mit der Flinte in den Wald gewollt, „um ein bisschen herum zu schießen und Frust abzubauen“.

Plötzlich fiel der Nachbar rückwärts auf die Terrasse

An die Probeschüsse, die er offenbar im eigenen Badezimmer abfeuerte, wie Fotos  später belegten, erinnerte sich der mutmaßliche Mörder vor dem Landgericht hingegen nicht mehr. Nur einen Erinnerungsfetzen davon, wie der Nachbar auf seiner Terrasse plötzlich stöhnend rückwärts fiel, den habe er noch vor Augen. Danach flüchtete Andreas E. mit der Waffe unter der Jacke Richtung Friedhof. Hinter einem Container versteckt, sei er im Kopf seine Optionen durchgegangen, sagte er vor dem Richter: „Auf die Polizei schießen und mich umlegen lassen, einen Amoklauf starten oder Selbstmord.“ Schließlich habe er sich dann aber dazu entschlossen, in Richtung des Sondereinsatzkommandos vor seiner Wohnung zurückzugehen und sich zu ergeben.

Beim nächsten Verhandlungstermin am Mittwoch, dem 4. September, sollen weitere Zeugen vernommen werden.

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