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Teltower Ökobauer: Madige Rübchen

Der Teltower Ökobauer Szilleweit muss nach einem Vergleich beim Arbeitsgericht Lehrgeld nachzahlen. Er ist offenbar nicht der einzige Biobauer, der seine Auszubildenden mit sittenwidrigen Taschengeldern abspeist.

Potsdam - Es ist ein Fingerzeig an Agrarbetriebe, die ihren Lehrlingen nur ein Taschengeld bezahlen, dafür freie Kost und Logis gewähren. Diese Praxis, daran ließ Richterin Anette Frölich am Mittwoch keine Zweifel, ist rechtswidrig. Beim Gütetermin im Potsdamer Arbeitsgericht, den sie moderierte, musste Rübchenbauer Axel Szilleweit für viele seiner Kollegen herhalten – und wird seiner früheren Auszubildenden Calida S.* im Ergebnis eines Vergleichs 2750 Euro nachzahlen. Mit einem richterlichen Urteil wäre es voraussichtlich deutlich teurer für ihn geworden.

Calida S. hatte den Teltower Biolandwirt verklagt, weil sie zwischen November 2011 und Februar 2013 für ihre Ausbildung weniger als die Hälfte dessen bekommen hatte, was im Lohn- und Gehaltstarifvertrag zwischen dem Landesverband Gartenbau und der IG Bauen-Agrar-Umwelt vereinbart wurde: im zweiten Lehrjahr 475 Euro, im dritten 505 Euro. Szilleweit hatte mit seiner Auszubildenden eine Vergütung von läppischen 202 Euro ausgehandelt. Er ist zwar nicht Mitglied im Gartenbauverband. Richterin Frölich betonte aber mehrfach, dass die Vergütung so oder so angemessen zu sein hat und zum Lebensunterhalt beitragen muss.

„Unter Zugrundelegung der tariflichen Maßstäbe haben sie zu wenig gezahlt“, so die Richterin. Und gibt es keine andere Norm, habe sich der Ausbildungsvertrag am Tarif zu orientieren, auch ohne Tarifbindung. Frölich: „Das Bundesarbeitsgericht hat sich bei der Diakonie und in der Altenpflege viel mit dem Thema befasst.“ Der Anwalt von Calida S., der Berliner Arbeitsrechtler Klaus Stähle, hatte wohl nicht zu Unrecht zumindest 80 Prozent des Tarifs geltend gemacht. Die Richterin sprach von einer „unteren Grenze“, zumal der Biolandbau-Verband Demeter noch deutlich höhere Lehrgelder als der Gartenbautarif vorsieht.

Der schillernde Fall hatte nach einem PNN-Bericht im Februar mehrere Medien beschäftigt. Calida S. hatte sich an die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft Fau gewandt, die wiederum hatte den Rübchenbauer auf Wochenmärkten und auf der Grünen Woche mit Protestaktionen ins Visier genommen – mit bissigen Parolen wie „Madige Rübchen kommen uns nicht in die Tütchen“. Calida S. sagte gestern am Rande der Verhandlung, dass Axel Szilleweit nicht der einzige Biolandwirt ist, der seine Lehrlinge mit einem Taschengeld abspeist.

In ihrer freien Ausbildung, die bei Demeter angebunden ist, hat sie drei andere Landwirtschaftsbetriebe kennengelernt. Wegen der unzumutbaren Arbeitszeiten dort hatte sie sich mit Szilleweit bereits auf eine Teilzeitausbildung geeinigt. „50 bis 60 Stunden auf dem Hof waren mir zu viel.“ Der Rübchenbauer selbst rechtfertigte sich gestern damit, dass er ein branchenübliches Lehrgeld zahle.

100 bis 150 Euro und freie Kost und Logis seien die Regel. „Ich habe immer was draufgepackt, wenn Lehrlinge gut gearbeitet haben.“ Er bilde so aus, dass die Lehrlinge möglichst im Betrieb bleiben, 2005 habe er sogar den besten Lehrling des Jahrgangs gehabt. Bei Calida S. habe es Abzüge geben müssen, weil sie nur 30 statt der üblichen 50 Wochenstunden arbeiten wollte, sagte Szilleweit, der in Teltow auch als Kommunalpolitiker der Grünen aktiv ist.

Das allerdings hatte ihr Anwalt bei der Gesamtforderung von 4360 Euro bereits einberechnet. „Man fragt sich, wozu die Verbände Tarifverträge abschließen, wenn das Luftnummern sind“, so Stähle. Als die Richterin um einen Vergleichsvorschlag bat, schlug er drei Viertel der geforderten Summe vor. Szilleweit zeigte sich verwundert, dass sich jemand auf einen Lehrvertrag einlässt „und im Nachhinein so agiert“.

Damit beide Seiten ihr Entgegenkommen zeigen, sollte der Betrag auf die Hälfte reduziert werden, meinte Szilleweit. Damit kam er nicht durch. Nach einer Sitzungsunterbrechung einigte man sich auf die 2750 Euro, auszuzahlen als Abfindung. Szilleweit: „Es bewegt mich nicht dazu, Hurra zu schreien.“

Die Anwaltkosten von Calida S. wird der Staat übernehmen, sie hatte erfolgreich Prozesskostenhilfe beantragt. Im März hatte sie die Ausbildung bei Szilleweit abgebrochen. Zum Abschluss ihrer Lehrausbildung fehlen ihr noch ein paar Monate. Sie sucht jetzt nach einem fairen Ausbildungsbetrieb. *Name geändert

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