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Erinnerung. Martin Valentin fotografiert den Stolperstein, der an seinen Vorfahren Ernst Valentin erinnert. Der Teltower Ingenieur musste 1939 nach Brasilien flüchten.

© Kirsten Graulich

Teltow: Zu Tränen gerührt

Die ersten Stolpersteine für einstige jüdische Mitbürger wurden am Freitag in Teltow verlegt. Für den Architekten Lattey und fünf weitere Nachfahren von Ernst Valentin, die aus Brasilien, den USA und der Schweiz kamen, war das gestrige Ereignis auch Anlass für ein Familientreffen.

Teltow – Es ist nicht mehr viel vom Glanz der alten Gründerzeitvilla geblieben, die auf dem Teltomatgelände steht. Doch das Haus, das seit einigen Jahren leer steht, hat Peter Lattey gestern zu Tränen gerührt. Der Architekt aus Los Angeles ist der Großneffe von Ernst Valentin, der hier fast über ein Jahrzehnt lebte, ehe er 1939 nach Brasilien auswanderte. Zuvor hatte er Haus und Grundstück seinem Nachbarn Kurt von Grubert verkauft. Gestern wurde für den Ingenieur Ernst Valentin an der Teltower Straße 20 ein messingfarbener Stein verlegt. Jens Leder von der Teltower Projektgruppe „Stolpersteine“ erinnerte daran, dass Valentin 1911 das Flugübungsfeld Teltow gegründet hatte und später ein international gefragter Fachmann für Automotoren war. Doch seine Verdienste wurden nach dem Machtantritt der Nazis weggewischt, denn Valentin war gemäß ihrer Rassenideologie Jude.

Über 20 Namen und Biografien ehemaliger jüdischer Mitbürger hat die Gruppe unter Leitung der Historikerin Gabriele Bergner seit 2008 recherchiert und sich auch dem Kunstprojekt Gunter Demnigs angeschlossen. Der Kölner Künstler, der 2003 die Aktion ins Leben rief, hat inzwischen europaweit 32 000 Stolpersteine für von den Nazis Verfolgte verlegt. Die Steine, auf denen Name und die wichtigsten Lebensdaten eingraviert sind, werden vor dem letzten Wohnort verlegt und es ist durchaus Absicht, dass Vorübergehende über diese „messingfarbene“ Erinnerung stolpern. Für den Architekten Lattey und fünf weitere Nachfahren von Ernst Valentin, die aus Brasilien, den USA und der Schweiz kamen, war das gestrige Ereignis auch Anlass für ein Familientreffen.

Aus München war Elena Fraunhofer gekommen, eine Großnichte von Martin Baumann. Der Leiter einer Kartoffelflockenfabrik aus Müncheberge hatte sich einst bei seinem Geschäftsfreund Walter Zehden in der Teltower Kleiststraße 13 versteckt. Beide wurden offenbar denunziert. Baumann starb im Juni 1940 im KZ Dachau und Walter Zehden, der seiner nichtjüdischen Ehefrau Haus und Grundstück schenkte, starb 1941 im Jüdischen Krankenhaus Berlin. Beide werden seit gestern mit jeweils einem Stein geehrt. Auch an Ernestine Gumpert, die in der Potsdamer Straße 39 wohnte, erinnert seit gestern ein Stein. Sie starb im Mai 1943 in Theresienstadt. Die alte Dame hatte das Glück, dass sich ihre Nachbarn, die Familie Brademann, bis zu ihrer Verhaftung um sie kümmerten und sie mit Lebensmitteln versorgten. Aber auch sie wurde von Teltowern denunziert.

Die 12 Steine für die Familien Glaser, David und Dreyfuss konnten gestern nicht mehr in der Max-Sabersky-Allee 4 verlegt werden, da der Untergrund nicht ausreichte. Bürgermeister Thomas Schmidt versprach, dass der Bauhof die Arbeit in der nächsten Woche vollenden wird. Die Repressalien der Nazis bekam vor allem Alfred Dreyfuss frühzeitig zu spüren, als er im März 1933 von SA-Leuten verhaftet und nach Berlin-Moabit überführt wurde. Dem jüdischen Kaufmann wurde vorgeworfen, mit SPD-Leuten zu sympathisieren. Zwei Monate später wurde er wieder freigelassen. Für Teltows Stadtgeschichte ist in diesem Zusammenhang interessant, dass der damalige Teltower Bürgermeister Steffen sich derartige Übergriffe von Zehlendorfer SA-Leuten im Teltower Stadtgebiet verbat. Einige Monate später wurde er von einem Nazi namens Pilling abgelöst.

Kirsten Graulich

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